Haushaltsstreit und Bürgergeld: Wieder nur Vorurteile
In klammen Zeiten wachsen Ressentiments gegenüber Empfängern von Sozialleistungen. Am Ende müssen arme Menschen die Ideenlosigkeit der Regierung ausbaden.
E s gibt eine paradoxe Dynamik in der Debatte über die Grundsicherung und diese lässt sich derzeit wieder beobachten. Das Bürgergeld beinhaltet zwei Verdachtsmomente, die zu jeder Sozialleistung für Nichtarbeitende gehören, die von Erwerbstätigen finanziert wird. Vorwurf Nummer eins lautet: Die Sozialleistung ist zu hoch im Vergleich zu den Löhnen, das ist ungerecht. Vorwurf Nummer zwei: Die Sozialleistung ist so hoch, dass die Menschen verleitet werden, nicht zu arbeiten.
Der Vorwurf, die Grundsicherung verleite zur Faulheit, wird paradoxerweise immer dann erhoben, wenn der Arbeitsmarkt nicht so gut läuft und die Zahl der Leistungsempfänger:innen steigt. Diese Dynamik erlebten wir in den Nullerjahren um das Jahr 2000, als es aufgrund des Jobabbaus und der Spätfolgen der Wiedervereinigung schwer war, eine Stelle zu finden und Massenarbeitslosigkeit herrschte.
Damals wurde die angeblich zu hohe Grundsicherung in Form der „Arbeitslosenhilfe“ als eine der Schuldigen ausgemacht und abgeschafft. Es kam zu Hartz IV. Nun trübt sich nach besseren Zeiten die Wirtschaft wieder ein und die Zahl der Leistungsempfänger:innen ist auch durch die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine gestiegen. Hinzu kommen die Haushaltsprobleme. Und wieder wachsen die Ressentiments gegenüber Bürgergeld-Beziehenden.
Befeuert wird die Debatte durch die neue ergänzende Fortschreibung des Bürgergeldregelsatzes. Diese wurde aufgrund der starken Preissteigerungen in den vergangenen Jahren eingeführt. Die Ampel hatte sich mit Zustimmung der Union darauf geeinigt. Die Formel ist in Paragraf 28 a des Sozialgesetzbuches XII festgelegt.
Anpassung an die Preissteigerungen
Danach steigen die Regelsätze ab Januar 2024 deutlich, nämlich um 12 Prozent, weil erstens die Inflation des zurückliegenden Jahres in die Erhöhung der Regelsätze einfließt und zweitens auch noch die Inflation im zweiten Quartal dieses Jahres als Berechnungsgröße obendrauf kommt. Die vergleichsweise starke Erhöhung ist also eine Folge der zurückliegenden Preissteigerungen und der neuen ergänzenden Fortschreibung. Die Erhöhung für das Jahr 2025 dürfte deutlich niedriger ausfallen, weil die Inflation inzwischen gesunken ist.
Man könnte den Paragrafen 28 a im SGB XII wieder ändern und 2025 zur alten Erhöhungsmethode zurückkehren oder gar für das Jahr 2025 eine Nullrunde fordern, was die FDP tut. Aber welches Signal ginge davon aus, wenn angesichts der Haushaltsprobleme und eines sich eintrübenden Arbeitsmarktes wieder bei den Armen gekürzt wird, die besonders unter den gestiegenen Preisen litten und leiden? Womit wir bei der Gerechtigkeitsfrage wären.
Ja, es gibt Missbrauch beim Bürgergeld und der Lohnabstand ist ein heikles Thema. Es gibt Leute, die Bürgergeld beziehen, in der Kneipe des Bekannten angeblich nur einen Minijob haben und in Wirklichkeit viel mehr „schwarz“ dazu verdienen, auf Dauer. Es gibt den Punkie, der vorrechnet, für 300 Euro mehr Einkommen im Vergleich zum Bürgergeld ackere er nicht den ganzen Tag, „das wären nur 2 Euro die Stunde, nein danke!“. Es gibt noch mehr an fragwürdigen Leistungsbezieher:innen.
Doch dies ist nur eine kleine Minderheit in der Grundsicherung. Nach der Statistik der Bundesagentur für Arbeit beziehen 5,4 Millionen Menschen Grundsicherung für Arbeitssuchende, darin inbegriffen sind rund 1,5 Millionen Kinder. Hinzu kommen 1,2 Millionen Leute auf Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. 6,6 Millionen Menschen sind also existenziell von der Berechnung des Regelsatzes abhängig.
Verschwindend wenige, die keine Lust auf Arbeit haben
Von diesen 6,6 Millionen Menschen gelten nur 1,7 Millionen in der Statistik als „arbeitslos“. Die nichtarbeitslosen erwachsenen Bürgergeldempfänger:innen betreuen kleine Kinder, pflegen, studieren oder gehen noch zur Schule, sind in Weiterbildungs- und Beschäftigungsmaßnahmen, sind Aufstocker:innen oder auch arbeitsunfähig erkrankt.
Aus der Forschung weiß man, dass von den sogenannten arbeitslosen Leistungsbezieher:innen wiederum viele keine Qualifikation haben, körperlich oder psychisch eingeschränkt sind, zu wenig Deutsch sprechen, Suchtprobleme haben, abgelegen wohnen ohne Führerschein. Es gibt einen Graubereich von arbeitslosen Leistungsbezieher:innen, das erzählen auch Sachbearbeiter:innen, wo man tatsächlich zu wenig Motivation vermutet und die Anpassungsbereitschaft fehlt.
Nur: Man kann nicht die überwältigende Mehrheit von 6,6 Millionen Leistungsbezieher:innen in Geiselhaft nehmen für die fehlende Arbeits- und Qualifikationsbereitschaft relativ kleiner Gruppen. Eine Politik der breiten Streichung in wirtschaftlich klammen Zeiten wird leider dann von vielen mitgetragen, wenn der Missbrauch bestimmten Minderheitengruppen zugeschrieben wird, gegenüber denen man Vorurteile mobilisieren kann.
Das sind nichtarbeitende und sich nicht qualifizierende junge Leute, kinderreiche Familien mit Migrationshintergrund oder jetzt auch aus dem Krieg geflüchtete Ukrainer:innen. Diese sind oft Mütter mit Kindern, denen neuerdings in der politischen Debatte eine zu niedrige Erwerbsneigung zugeschrieben wird, obwohl die Kinderbetreuung ein oftmals ungelöstes Problem ist und der Spracherwerb Zeit braucht.
Es ist nicht fair, den Sozialstaat auszunutzen. Es ist aber genauso wenig fair, die Grundsicherung für Arbeitslose, Alleinerziehende, Kinderreiche, Alte, Kranke und sonst wie Eingeschränkte grundsätzlich zu verringern und dies mit angeblich nötiger Disziplinierung aufgrund fehlender Arbeitsbereitschaft zu bemänteln. Wer Nullrunden oder Kürzungen verordnen will, lässt die Armen den Preis für die aktuelle Hilfs- und Ideenlosigkeit der Regierung zahlen. Das ist politisch verantwortungslos.
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