Hate-Speech im Internet: Auch verbaler Hass ist Gewalt
Das Internet darf nicht die virtuelle Kloake für Wut und Hass bleiben. Schärfere Gesetze, mehr Expert*innen und härtere Sanktionen sind nötig.
D a ist er wieder: der Online-Hass. Raus aus der vermeintlichen virtuellen Blase mitten rein ins echte Leben. Der Fall Renate Künast und die – gelinde gesagt – verwunderliche Einschätzung des Berliner Landgerichts, wüsteste Beschimpfungen gegen die Grünen-Politikerin zwar als geschmacklos, aber hinnehmbar zu bezeichnen, hat die Debatte über Hate Speech im Netz wieder in die Schlagzeilen katapultiert.
Vor allem Frauen sind den Angriffen programmierter Attacken und Angreifern, auch unter Klarnamen, ausgesetzt. Politische Themen wie Rassismus, Geflüchtetenpolitik, Klimaschutz polarisieren. Haltungen von rechts bis links, krude Ansichten, selbst Verschwörungstheorien mögen ja unter dem Label Meinungsfreiheit akzeptabel sein. Aber Beschimpfungen? Anfeindungen bis hin zu Bedrohungen jeglicher Art? Die Grenzen des digital Aushaltbaren verschwimmen.
Kein Wunder also, dass sich nach dem Künast-Urteil etliche Initiativen gründeten oder Petitionen anstießen, die fordern: Hate Speech im Netz stoppen. Der Hype um das Urteil ist ein Aufhänger, brenzliger ist aber die Datenlage. Laut einer Studie des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft haben mehr als 80 Prozent der Teilnehmer*innen Hate Speech im Netz gesehen, jede dritte Person wurde selbst beleidigt, weit über 10 Prozent wurde Gewalt angedroht.
Die Slogans der Aktivist*innen klingen plakativ und eindeutig, sind aber bei Weitem nicht simpel in der Umsetzung. Prompt hinterlassen die Kritiker*innen – darunter vermutlich auch viele Hater – alles andere als freundliche Kommentare. So zu lesen zum Beispiel unter den Campact-Aufrufen auf Facebook. Auf anderen Plattformen attackieren sie die Organisation HateAid, diffamieren die Autor*innen, die sich zu Hate Speech äußern.
Im Netz greifen die Regeln offenbar nicht
Die Kritiker*innen sehen die Meinungsfreiheit in Gefahr, gar von Zensur im ach so freien Internet ist die Rede. Aber nicht vom schmalen Grat zwischen der freien Rede, Geschmacklosigkeit und schlicht der Würde der Person, die mit verbalen Angriffen auf Persönlichkeit, Körper, Leib und Leben angetastet wird. Doch genau darum geht es. Im anonymen Netz greifen für viele die eindeutigen und unmissverständlichen Regeln, die den Schutz jedes Einzelnen, aber vor allem besagter Meinungsfreiheit gewähren, offenbar nicht.
Ganz blank steht der Gesetzgeber aber nicht da. Es gibt bereits Werkzeuge, wie die Hater im Netz in ihre Schranken verwiesen werden können. Vor genau zwei Jahren trat das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) in Kraft. Einen sperrigen Namen hatte sich der damalige Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) da ausgedacht für ein Gesetz, das der unkontrollierten Wut von Meinungsmachern in digitalen Netzwerken Einhalt gebieten sollte.
Im Kern geht es darum, dass Plattformen wie Facebook, YouTube oder Twitter Beschwerdestellen in den Unternehmen einrichten, an die sich die Betroffenen wenden können. Liegen rechtswidrige Inhalte vor, müssen die Anbieter sozialer Netzwerke diese Einträge entfernen oder den Zugang dazu sperren. Außerdem müssen sie die Bestandsdaten der Hater offenlegen – wenn dies Richter anordnen. Die Idee ist richtig, schließlich ist die zunehmende Verbreitung von Hasskriminalität kein Geheimnis. Ein Bollwerk gegen Hate Speech ist das NetzDG leider nicht geworden.
Die Zahl der Anfragen ist enorm
Könnte es aber werden. Die Behörden, die für die Umsetzung des Gesetzes zuständig sind, brauchen dringend mehr Personal, um die Anfragen überhaupt zu bewältigen. Aber nicht nur zahlenmäßig, sondern auch mit entsprechender Expertise. Damit Betroffene nicht nur auf Antwort aus Berlin hoffen, braucht es zuständige Stellen in den Ländern.
Ähnlich der Beschwerdeeinrichtungen, die sich um das Einhalten von Datenschutz, besonders der Vorgaben der EU-Datenschutzgrundverordnung (kurz DSGVO) kümmern. Auch hier ist die Zahl der Anfragen bundesweit enorm. Allerdings sind die Wege zur Beschwerde kompliziert, brauchen Ausdauer und Geduld. Die obersten Datenschützer*innen in den Ländern beklagen seit Monaten, dass die Bearbeitung von Fällen viel Zeit erfordert.
Was für die staatlichen Stellen gilt, ist bei den Unternehmen ähnlich. Wer weiß schon, wie er sich bei Facebook, Twitter oder YouTube über diffamierende Kommentare und Nutzer*innen beschweren kann? Die Kontaktdaten der Sicherheitscenter sind meist gut versteckt in den Einstellungen der Nutzer*innen. Die Verpflichtung, per Gesetz überhaupt eine Beschwerdestelle einzurichten, ist aber immerhin ein Anfang. Nun muss es empfindliche Strafen geben, wenn Bearbeitungszeiten nicht eingehalten werden, Sicherheitseinstellungen nicht nutzer*innenfreundlich sind und auch keine Kampagnen gefahren werden, um auf den Schutz der Persönlichkeitsrechte im Netz aufmerksam zu machen.
Das Netz ist kein Paralleluniversum
Renate Künast ist einer der prominentesten Fälle. Tatsächlich ist jede Person, die sich im Netz bewegt, ganz gleich, ob sie sich äußert und wie aktiv sie ist, potenzielles Opfer von Hasskriminalität. Bis der Gesetzgeber reagiert, Expert*innen gegen Hate Speech in den Unternehmen verpflichtend fordert oder Algorithmen verletzende und beschämende Kommentare automatisch blockieren, braucht es mehr Bewusstsein gegen die Gewalt aus dem virtuellen Raum. Denn um nichts Geringeres handelt es sich.
Künast nutzt ihren Promi-Faktor für Aktionen gegen den Hass im Netz – und hat zudem Beschwerde gegen die Entscheidung des Berliner Gerichts eingelegt. Die unterschiedlichsten Kampagnen gegen Hate Speech verbreiten sich rasend schnell – natürlich online – und finden zahlreiche Unterstützer*innen. Das Netz ist eben keine virtuelle Blase. Es ist kein Paralleluniversum, kein Ort, in dem sämtliche Regeln des respektvollen Umgangs miteinander plötzlich außer Kraft gesetzt sind. Und es ist kein gesetzloser Raum. In unserer durchdigitalisierten Welt gerät dies zunehmend in Vergessenheit.
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