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Hate-Speech im InternetAuch verbaler Hass ist Gewalt

Tanja Tricarico
Kommentar von Tanja Tricarico

Das Internet darf nicht die virtuelle Kloake für Wut und Hass bleiben. Schärfere Gesetze, mehr Expert*innen und härtere Sanktionen sind nötig.

Wurde im Netz schwer beleidigt: Renate Künast Foto: dpa

D a ist er wieder: der Online-Hass. Raus aus der vermeintlichen virtuellen Blase mitten rein ins echte Leben. Der Fall Renate Künast und die – gelinde gesagt – verwunderliche Einschätzung des Berliner Landgerichts, wüsteste Beschimpfungen gegen die Grünen-Politikerin zwar als geschmacklos, aber hinnehmbar zu bezeichnen, hat die Debatte über Hate Speech im Netz wieder in die Schlagzeilen katapultiert.

Vor allem Frauen sind den Angriffen programmierter Attacken und Angreifern, auch unter Klarnamen, ausgesetzt. Politische Themen wie Rassismus, Geflüchtetenpolitik, Klimaschutz polarisieren. Haltungen von rechts bis links, krude Ansichten, selbst Verschwörungstheorien mögen ja unter dem Label Meinungsfreiheit akzeptabel sein. Aber Beschimpfungen? Anfeindungen bis hin zu Bedrohungen jeglicher Art? Die Grenzen des digital Aushaltbaren verschwimmen.

Kein Wunder also, dass sich nach dem Künast-­Urteil etliche Initiativen gründeten oder Petitionen anstießen, die fordern: Hate Speech im Netz stoppen. Der Hype um das Urteil ist ein Aufhänger, brenzliger ist aber die Datenlage. Laut einer Studie des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft haben mehr als 80 Prozent der Teilnehmer*innen Hate Speech im Netz gesehen, jede dritte Person wurde selbst beleidigt, weit über 10 Prozent wurde Gewalt angedroht.

Die Slogans der Aktivist*innen klingen plakativ und eindeutig, sind aber bei Weitem nicht simpel in der Umsetzung. Prompt hinterlassen die Kritiker*innen – darunter vermutlich auch viele Hater – alles andere als freundliche Kommentare. So zu lesen zum Beispiel unter den Campact-Aufrufen auf Facebook. Auf anderen Plattformen attackieren sie die Organisation HateAid, diffamieren die Autor*innen, die sich zu Hate Speech äußern.

Im Netz greifen die Regeln offenbar nicht

Die Kritiker*innen sehen die Meinungsfreiheit in Gefahr, gar von Zensur im ach so freien Internet ist die Rede. Aber nicht vom schmalen Grat zwischen der freien Rede, Geschmacklosigkeit und schlicht der Würde der Person, die mit verbalen Angriffen auf Persönlichkeit, Körper, Leib und Leben angetastet wird. Doch genau darum geht es. Im anonymen Netz greifen für viele die eindeutigen und unmissverständlichen Regeln, die den Schutz jedes Einzelnen, aber vor allem besagter Meinungsfreiheit gewähren, offenbar nicht.

Ganz blank steht der Gesetzgeber aber nicht da. Es gibt bereits Werkzeuge, wie die Hater im Netz in ihre Schranken verwiesen werden können. Vor genau zwei Jahren trat das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) in Kraft. Einen sperrigen Namen hatte sich der damalige Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) da ausgedacht für ein Gesetz, das der unkontrollierten Wut von Meinungsmachern in digitalen Netzwerken Einhalt gebieten sollte.

Im Kern geht es darum, dass Plattformen wie Facebook, YouTube oder Twitter Beschwerdestellen in den Unternehmen einrichten, an die sich die Betroffenen wenden können. Liegen rechtswidrige Inhalte vor, müssen die Anbieter sozialer Netzwerke diese Einträge entfernen oder den Zugang dazu sperren. Außerdem müssen sie die Bestandsdaten der Hater offenlegen – wenn dies Richter anordnen. Die Idee ist richtig, schließlich ist die zunehmende Verbreitung von Hasskriminalität kein Geheimnis. Ein Bollwerk gegen Hate Speech ist das NetzDG leider nicht geworden.

Die Zahl der Anfragen ist enorm

Könnte es aber werden. Die Behörden, die für die Umsetzung des Gesetzes zuständig sind, brauchen dringend mehr Personal, um die Anfragen überhaupt zu bewältigen. Aber nicht nur zahlenmäßig, sondern auch mit entsprechender Expertise. Damit Betroffene nicht nur auf Antwort aus Berlin hoffen, braucht es zuständige Stellen in den Ländern.

Die Verpflichtung, per Gesetz eine Beschwerdestelle einzurichten, ist immerhin ein Anfang

Ähnlich der Beschwerdeeinrichtungen, die sich um das Einhalten von Datenschutz, besonders der Vorgaben der EU-Datenschutzgrundverordnung (kurz DSGVO) kümmern. Auch hier ist die Zahl der Anfragen bundesweit enorm. Allerdings sind die Wege zur Beschwerde kompliziert, brauchen Ausdauer und Geduld. Die obersten Datenschützer*innen in den Ländern beklagen seit Monaten, dass die Bearbeitung von Fällen viel Zeit erfordert.

Was für die staatlichen Stellen gilt, ist bei den Unternehmen ähnlich. Wer weiß schon, wie er sich bei Facebook, Twitter oder YouTube über diffamierende Kommentare und Nutzer*innen beschweren kann? Die Kontaktdaten der Sicherheitscenter sind meist gut versteckt in den Einstellungen der Nutzer*innen. Die Verpflichtung, per Gesetz überhaupt eine Beschwerdestelle einzurichten, ist aber immerhin ein Anfang. Nun muss es empfindliche Strafen geben, wenn Bearbeitungszeiten nicht eingehalten werden, Sicherheitseinstellungen nicht nutzer*innenfreundlich sind und auch keine Kampagnen gefahren werden, um auf den Schutz der Persönlichkeitsrechte im Netz aufmerksam zu machen.

Das Netz ist kein Paralleluniversum

Renate Künast ist einer der prominentesten Fälle. Tatsächlich ist jede Person, die sich im Netz bewegt, ganz gleich, ob sie sich äußert und wie aktiv sie ist, potenzielles Opfer von Hasskriminalität. Bis der Gesetzgeber reagiert, Expert*innen gegen Hate Speech in den Unternehmen verpflichtend fordert oder Algorithmen verletzende und beschämende Kommentare automatisch blockieren, braucht es mehr Bewusstsein gegen die Gewalt aus dem virtuellen Raum. Denn um nichts Geringeres handelt es sich.

Künast nutzt ihren Promi-Faktor für Aktionen gegen den Hass im Netz – und hat zudem Beschwerde gegen die Entscheidung des Berliner Gerichts eingelegt. Die unterschiedlichsten Kampagnen gegen Hate Speech verbreiten sich rasend schnell – natürlich online – und finden zahlreiche Un­­terstützer*innen. Das Netz ist eben keine virtuelle Blase. Es ist kein Paralleluniversum, kein Ort, in dem sämtliche Regeln des respektvollen Umgangs miteinander plötzlich außer Kraft gesetzt sind. Und es ist kein gesetzloser Raum. In unserer durchdigitalisierten Welt gerät dies zunehmend in Vergessenheit.

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Tanja Tricarico
Ressort ausland
Schreibt seit 2016 für die taz. Themen: Außen- und Sicherheitspolitik, Entwicklungszusammenarbeit, früher auch Digitalisierung. Seit März 2024 im Ressort ausland der taz, zuständig für EU, Nato und UN. Davor Ressortleiterin Inland, sowie mehrere Jahre auch Themenchefin im Regie-Ressort. Privat im Einsatz für www.geschichte-hat-zukunft.org
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4 Kommentare

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  • Die meisten Hass-Schreiber schreiben anonym, das ist der Unterschied zum viel gebrauchten Vergleich von sozialen Medien mit einem Stammtisch. Früher einmal hätten die Verfasser anonymer Briefe zurecht als als wahrscheinlich psychisch kranke Sonderlinge gegolten. Keinem wäre es eingefallen, damit anzugeben, viele anonyme Briefe zu schreiben. Es scheint gerade so, als würden diese neuen Möglichkeiten gefahrlos seinen Hass los zu werden, die dunklen Seiten im Charakter vieler Zeitgenossen enorm fördern. Die psychisch Kranken Sonderlinge sind so zahlreich geworden, dass man Angst bekommt.

    . Mir würde es besser gefallen, wenn man wüsste, mit wem man es zu tun hat. Klar, das wäre auch der Wunsch von Diktatoren und Geheimdiensten.

    Vielleicht sollte man die Option schaffen, seinen Namen zu nennen. Das würde anonyme Beiträge, ( in einer Demokratie), abwerten.

  • Als Herr Böhmermann seine Erdoğan-Tirade mit kaum harmloserem Vokabular losgelassen hatte und ein deutsches Gericht es wagte, diese auf strafrechtlich relevante Verfehlungen hin nur zu überprüfen, hat gerade auch die taz solch schändliche Zensur als Vorboten vom Untergang des Abenslandes betrachtet. Jetzt eine durchaus als akrobatisch zu bezeichende Wende. Oder passt der taz in diesem Fall das Opfer nicht?

    Und jetzt komme mir niemand damit, Böhmermanns Schmähgedicht sei doch als Satire einzustufen. Es gibt Ausdrücke in jeder Sprache, die sind nur dazu gedacht zu verletzen und zu vernichten. Sich dabei auf den vermeintlich unantastbaren Schutz der Satire zu berufen ist eher als Akt der Feigheit, denn der Rechtfertigung zu betrachten. Wie hat Tucholsky schon passen festgestellt: "Satire ist eine durchaus positive Sache. Nirgends verrät sich der Charakterlose schneller als hier..." Leider wird von diesem Text immer nur die verkürzende Überschrift zitiert.

  • Gewaltfreie Kommunikation für alle.



    Ab dem Kindergarten.

  • Jaa wir brauchen mehr Zensur!!! Uns ist der ganze Facebook-Mist auf die Füße gefallen, und jetzt schreien linke Blätter nach mehr staatlicher Steuerung im Internet.

    Und jetzt sollen eine handvoll Internet Megaklubs unkomplizierte Ankerzentren schaffen, bei denen dann auf Zuruf gefiltert wird.

    Ihr seid im Abbau schneller als vor ein paar Jahren zu vermuten war!