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„Hamburg enteignet“ in der BürgerschaftRege Debatte um Vergesellschaftung

Die Hamburger Volksinitiative präsentiert dem Stadtentwicklungsausschuss ihre Forderungen. Und bietet den Abgeordneten die Stirn.

„Enteignen“ in großen Buchstaben bei der Demo „Klassensturz statt Kassensturz“ am 1. Mai Foto: Christian Charisius/dpa

Hamburg taz | Eine rege Debatte gab es am Donnerstagnachmittag im Hamburger Ausschuss für Stadtentwicklung, nachdem vier Vertrauenspersonen der Kampagne „Hamburg enteignet“ ihre Volksinitiative präsentiert hatten. Im März gelang es der Initiative, über 18.000 Unterschriften zu sammeln und an den Senat zu übergeben. Sie fordert die Enteignung und Vergesellschaftung von profitorientierten Wohnungskonzernen, die einen Einfluss auf die immer weiter steigenden Mieten haben. Konkret wird die Vergesellschaftung von rund 100.000 Wohnungen anvisiert.

Mit Verweis auf Statista-Daten legten die Ini-Vertreter*innen dar, dass die Mieten in Hamburg seit 2011 im Durchschnitt um 26 Prozent gestiegen seien. Zugleich seien im Zuge der Inflation die Verbraucherpreise gestiegen, während die Reallöhne zum Vorjahr um 4,6 Prozent gesunken seien. Das Leben in Hamburg werde stetig teurer und die Wohnungssuche sei besonders für mehrfach diskriminierte und marginalisierte Personengruppen mühselig, so Marco Hosemann, einer der Spre­che­r*in­nen der Initiative.

Aus einer Recherche der Rosa Luxemburg-Stiftung trägt die Ini vor, dass rund 25 Prozent des Wohnungsmarktes privaten und börsenorientierten Unternehmen gehören, Immobilienkonzernen Vonovia, Nordelbe Heimstaden oder Potenberg. Unklar bleibe jedoch, wie die Verteilung konkret aussieht, da es aus datenschutzrechtlichen Gründen keinen Zugriff auf die Grundbücher gibt. Zusätzlich sinke der Bestand der Sozialwohnungen trotz der hohen Wohnungsbauzahlen, die der rot-grüne Senat in den vergangene Jahren vorweisen konnte.

In Anlehnung an die Berliner Modelle zur Vergesellschaftung von Wohnraum schlägt die Initiative die Einrichtung einer Anstalt des öffentlichen Rechts (AöR) vor, die 100.000 Wohnungen verwalten soll. Juristische Grundlage ist der Artikel 15 des Grundgesetzes, der die Vergesellschaftung von Grund und Boden, Naturschätzen und Produktionsmitteln zum Zwecke der Allgemeinheit gegen Entschädigungen per Gesetz ermöglicht. Diese und weitere Kosten sollen von der AöR berechnet werden. Die Kommission soll sich paritätisch zusammensetzen und verschiedene Perspektiven berücksichtigen.

Daten in Grundbüchern nicht zugänglich

Abgeordnete reagierten mit Skepsis. Auf deren Fragen hatte die Initiative aber immer eine souveräne Antwort parat. So schlug Ralf Niedmers (CDU) vor, der von der Initiative zur Verwaltung der Wohnungen vorgeschlagene AöR „Alice im Wunderland“ zu nennen. Weniger hochmütig kritisierte Niedmers die unzureichende Datenlage und fragte häufig nach der Finanzierbarkeit des Vorhabens. Dem entgegnete „Hamburg enteignet“, dass die von der Initiative geforderte Kommission genau solche Fragen zur Finanzierbarkeit behandeln solle. Das Argument mit der unzureichenden Datenlage wiesen sie mit Verweis auf die Intransparenz der Grundbücher zurück, genaue Zahlen und Fakten zur Eigentümerstruktur seien nicht öffentlich bekannt.

Auch der SPD-Fraktionsvorsitzende Dirk Kienscherf reagierte skeptisch. Volksabstimmungen bräuchten eine gewisse Klarheit, sagte er. „Sie sagen selber: Sie haben keine Ahnung davon. Das soll alles eine Komission machen. Ham­bur­ge­r*in­nen sollen darüber entscheiden, was noch gar nicht klar ist.“ Marleen Neuling von der Initiative entgegnete: „Wir wollen eine Rekommunalisierung und Demokratisierung der Wohnungen, das ist doch ziemlich einleuchtend.“ Die SPD habe aber Sympathie, so Kienscherf, „wenn es um gewisse Unternehmen auf dem Wohnungsmarkt gibt. Auch wir glauben, dass man mit Wohnraum nicht spekulieren darf.“

Weniger skeptisch ist Heike Sudmann von den Linken. Über Vergesellschaftung zu reden sei sinnvoll, die Initiative sei der „absolut saubere Weg“. Wenn es so weiterginge „mit dieser Politik der ganz kleinen Stellschrauben, dann muss man den Mie­te­r*in­nen sagen, dass die sich die Wohnungen nicht leisten können“.

Neuling von der Initiative versteht die Skepsis nicht. „Demokratie kostest nun mal Geld. Wir haben 18.000 Gespräche geführt. Ham­bur­ge­r*in­nen haben Skepsis, ob sie sich noch eine Wohnung leisten können und ob die Politik etwas bewirkt. Wir haben Gemeinsamkeiten: Spekulationen mit Wohnraum ist nicht gut. Lassen Sie uns eine Kommission einrichten“.

Unterstützung hat bislang nur die Linke signalisiert, alle anderen Parteien lehnen sie ab oder haben sich nicht eindeutig geäußert. Übernehmen wird die Bürgerschaft sie also wahrscheinlich nicht. Der nächste Schritt wäre nun ein Volksbegehren. Dafür muss die Ini nun in einer Frist von drei Wochen 65.000 Unterschriften sammeln.

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6 Kommentare

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  • Alles Land werde zu Pachtland!



    Die mafiöse Spekulation mit Grund und Boden wäre mit einem Schlag vorbei!

  • Dass solche Enteignungen mit Entschädigung stattfinden sollen, entspricht sicherlich der Rechtslage. Aber mein Rechtsempfinden sagt: wenn ein Eigentum ok ist, nur an der falschen Stelle (weil da gerade z. B. eine Straßenbahn gebaut werden soll), dann soll entschädigt werden. Wenn aber die Ausübung des Eigentumsrechts in diesem Umfang an sich der Missstand ist, dann soll nicht entschädigt werden, weil sonst ja wieder ein unsozial hohes Eigentum in einer Hand und zwar nicht demokratisch kontrolliert, entstehen würde. Wir brauchen Maßstäbe, bis zu welcher Grenze Eigentum legitim ist und wo es zugunsten des Gemeinwohls gestoppt werden soll und dies dann entschädigungslos.

  • Danke für den Bericht.

    Flankierend zur „Hamburg enteignet Initiative, braucht es die Rückkehr zur Gemeinnützigkeit von Wohnungsbaugenossenschaften, um Wirkung am Wohnungsmarkt zu entfalten, die seit 1988 genötigt werden, wohnungsmarktkonform mietsteigernd über Rücklagenbildung hinaus für Instandhaltung Erträge zu erwirtschaften, diese in eigens gegründete Stiftungen zu überführen für wohnungsnahe Zwecke, statt wie zuvor mit Erträgen aus Mieteinnahmen, Mietenniveau zu stabilisieren, wenn nicht gar abzusenken. Darüberhinaus gehören Bestandsmieten, Häuser-, Wohnungsleerstand, erfasste Wohnungsnachfrage auf Basis noch zu schaffen bundesweitem Registers Wohnungssuchender mietsenkend in Mietspiegel eingepreist, Anreize zu sozialem Wohnungsbau zu schaffen, Wohnungsunternehmen wie Vonovia, Deutsche Wohnen zu signalisieren, dass das Einstellen von Wohnungsbau wie gegenwärtig geschehen unterm Strich von Gewinn und Verlustrechnung teurer werden könnte als der Wohnungsbau auch bei anziehendem EZB Leitzins, anziehendem Immobilien Kreditzins.



    Vor allem ist es notwendig, Mieter in vorherig rechtlichen Stand zu versetzen, jederzeit Einsicht in Grundbücher nehmen zu können, ihr Recht auf Information wahrzunehmen, wer ihr Vermieter Grundeigentümer ist

    • @Joachim Petrick:

      Nicht zu vergessen, dass Hamburger Bürgerschaft beschließt, städtischen Boden, Grund und Boden, gemäß Grundgesetz Art. 14, 15, Spekulation zu entziehen, das Erbbaurecht zu stärken, den Erbpachtzins nicht marktkonform sondern diversifizierend nach Leistungsvermögen von Bauherrn vor allem im Fall Baugenossenschaften als Bauherrn festzulegen, sich bei allen Liegenschaften Veräußerungen des Finanzsenators das Vorkaufsrecht für die Stadt Hamburg zu sichern

  • Das ist hartes Brot für die Hamburger Sozialdemokraten, die gwohnt sind, in der Hansstadt alles im Griff zu haben. Ähnlich wie in Berlin stellen sich die Bürger*innen, wem die Stadt und ihre Anwesen denn gehören, wenn Mieter 'durch den Markt' gerupft werden wie die Weihnachtsgänse, ohne jemals eine persönliche Perspektive aufbauen zu können. Steht das nicht etwas in einem Grundgesetz wie 'Eigentum verpflichtet' oder war es doch so nicht gemeint ? Gerade Sozialdemokraten, die massgeblich das Projekt 'Neue Heimat' versemmelten und sich gern in den Großstädten als die alles im Griff habenden Politiker aufspielten, haben hier ihre Unschuld verloren....

  • Eine Mietensteigerung von 26% über die letzten 12 Jahre (