Halbzeitbilanz der Groko: Die Mitte ist müde
Es kann sein, dass die Regierung diese Krise überlebt. Trotzdem wird sie nur noch von Routine und der Angst vor Neuwahlen zusammengehalten.
Wir haben viel erreicht und umgesetzt – aber es bleibt auch noch viel zu tun.“ So steht es in der Halbzeitbilanz der Regierung, die etwas unfreiwillig Komisches hat. Die MinisterInnen bescheinigen sich selbst, prima Arbeit geleistet zu haben. Das ist so, als würden sich ein Konzern oder eine Universität selbst evaluieren und danach kräftig auf die Schulter klopfen.
Die Halbzeitbilanz hatte die SPD in den Koalitionsvertrag geschrieben. Es ist ein Placebo, das ein ungutes Gefühl im Magen vertreiben soll: Die SPD bleibt automatisch bis zum Ende in der Regierung. Und danach ist alles schlimmer denn je.
Die Große Koalition funktioniert, zum Teil, so wie immer. Die SPD-MinisterInnen setzen fleißig einiges durch – von besserer Kita-Betreuung bis zur Möglichkeit, von Teilzeit- in Fulltimejobs zu wechseln. Mehr jedenfalls als die UnionsministerInnen. Das Publikum ist – auch das ist wie immer – an den sozialdemokratischen Erfolgen herzlich desinteressiert.
Die Regierung liefert mehr (Franziska Giffey und Hubertus Heil) oder weniger (Andi Scheuer) gutes Handwerk ab. Aber ihr fehlt das überwölbende Dach und der gemeinsame Geist. Auch deshalb ist die Mängelliste sehr lang. Sie reicht vom verzagten Klimapaket über den Stillstand in der Agrarpolitik bis zu der diffusen Europapolitik und der gesichtslosen Außenpolitik.
All das ließe sich in normalen Zeiten missmutig oder achselzuckend zur Kenntnis nehmen. Aber es ist nicht mehr so wie vor drei vier Jahren. Mit der Großen Koalition geht es zu Ende. Selbst wenn die Regierung die beiden Parteitage von CDU und SPD übersteht – sie ist ein Auslaufmodell. Wenn sie jetzt nicht endet, wird das in knapp zwei Jahren der Fall sein. Denn die beiden Volksparteien ruinieren sich gegenseitig. Sie sind sich bis zur Ununterscheidbarkeit ähnlich geworden. Deshalb gibt es nun die hektische Suche nach Identitätsmarkern, die Eigenständigkeit und Differenz betonen. Ein Thema wie die Grundrente (Volumen weniger als 2 Milliarden Euro) wird deshalb zum alles entscheidenden Symbol stilisiert.
Früher hätte Angela Merkel all das am Ende irgendwie sanft gelöst. Die SPD hätte, ohne es an die große Glocke zu hängen, die Grundrente bekommen. Genau so hat ja die Sozialdemokratisierung der CDU funktioniert. Die Medien hätten die Weitsicht der Kanzlerin und CDU-Chefin gelobt. Doch Merkel ist Kanzlerin auf Abruf, und wer in der Union das Sagen haben wird, weiß niemand.
Es kann sein, dass die Regierung diese Krise noch mal überlebt. Doch auch wenn es bei der Grundrente am Ende einen notdürftigen Formelkompromiss gibt, auch wenn Olaf Scholz SPD-Chef wird und Annegret Kramp-Karrenbauer CDU-Chefin bleibt – die Mitte ist müde. Die Regierung wird nur noch von Routine und der Angst vor Neuwahlen zusammengehalten. Ein rasches Ende wäre besser als das erwartbare Siechtum.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen
Vorwürfe gegen Parlamentarier