Hagia Sophia wird wieder Moschee: Der Triumph der Islamisten
Die Degradierung des berühmtesten Museums der Türkei zur Moschee sorgt für Empörung. Die Hagia Sophia war zuletzt Symbol des Laizismus.
Auf die Frage „Wem gehört die Hagia Sophia“, gibt es seit 1985 eine einfache Antwort. Der gesamten Menschheit, denn seitdem gehört das Wahrzeichen Istanbuls zum UNESCO Weltkulturerbe. Leider kann man das seit dem letzten Freitag nicht mehr sagen.
In einer Art „Rückfall ins Mittelalter“, so die griechische Kulturministerin, hat das oberste Verwaltungsgericht der Türkei auf Wunsch von Präsident Recep Tayyip Erdogan nach 86 Jahren den Status der Hagia Sophia als Museum aufgehoben und damit den Weg freigemacht, dass das Gebäude zukünftig wieder als Moschee genutzt werden kann.
Erdogan zögerte keine Minute und verordnete unmittelbar nach der Gerichtsentscheidung per Dekret, dass die Hagia Sophia ab sofort wieder eine Moschee ist und der Religionsbehörde Dianet unterstellt wird. Triumphierend wandte er sich anschließend im Fernsehen an die Nation und verkündete seinen Sieg über die Ungläubigen. „Damit teilte er der ganzen Welt mit, dass die Türkei kein laizistisches Land mehr ist“, kommentierte der türkische Nobelpreisträger Orhan Pamuk anschließend empört.
Die Degradierung der Hagia Sophia in eine Moschee sorgte fast auf der ganzen Welt für Empörung. Nicht nur in Russland und Griechenland, den beiden wichtigsten orthodoxen Ländern, auch in den USA und in der EU herrscht Zorn und Unverständnis über die Entscheidung. Für die orthodoxe Kirche, namentlich die russische und griechische Orthodoxie, ist die Hagia Sophia auch mehr als 500 Jahre nach der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen das spirituelle Zentrum ihres Glaubens.
Genau das machen ihnen die konservativen Muslime in der Türkei streitig. Schließlich war die Hauptkirche des Byzantinischen Reiches nach der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen 1453, fast 500 Jahre lang die Hauptmoschee des Imperiums, dessen Glorie die Islamisten sich sehnlichst zurückwünschen.
Mustafa Kemal Atatürk machte die Moschee zum Museum
Den Eiferern beider Religionen hatte der Gründungsvater der modernen Türkei, Mustafa Kemal Atatürk, 1934 einen Strich durch die Rechnung gemacht. Als Ausdruck der neuen Türkei, in deren Verfassung die Trennung von Kirche/Moschee und Staat verankert ist, veranlasste er, dass die Moschee in ein Museum umgewandelt werden soll.
Der Grund dafür ist die einmalige Geschichte und die Machtsymbolik, die mit dem Bau verbunden ist, seine bis heute überwältigende Schönheit und die emotionale Verbundenheit, die viele Menschen weltweit mit der Hagia Sophia empfinden.
Wer mit dem Schiff nach Istanbul kommt sieht den Bau bereits von weitem. Wie eine Landmarke thront er auf dem ersten der sieben Hügel der Stadt, fast auf der Spitze der Halbinsel, die vom Marmarameer und dem fjordähnlichem Goldenen Horn umgeben ist. Bis heute, auch angesichts der zahlreichen später gebauten großen Moscheen und den noch später entstandenen Wolkenkratzern der Stadt, ist die Hagia Sophia ein unübersehbares architektonisches Statement.
Wer sich ihr nähert bemerkt schnell, dass der Bau schon rein äußerlich als Hybrid daherkommt: nicht mehr Kirche und auch keine echte Moschee. An die vier Ecken des 80 Meter langen und 70 Meter breiten Baus sind im Laufe der Jahre nach der osmanischen Eroberung Minarette angebaut worden, die sich aber ganz harmonisch ins Bild fügen. Die alles überragende Kuppel und die typische Ziegelarchitektur der Spätantike, die in Istanbul quasi als Erkennungszeichen byzantinischer Bauten dient, weisen sie aber immer noch als ehemalige Kirche aus.
Wer bislang das Museum durch den überdachten Vorbau betrat, stand erst einmal in der so genannten Narthex, einem Flur, der die gesamte Breite des Bauwerks einnimmt und durch dessen rechte Flügeltür früher der oströmische Kaiser die Kirche betrat. Exakt in der Mitte der Narthex befindet sich das Kaisertor, früher immer geschlossen und nur für den Kaiser geöffnet war.
Über dem Kaisertor thront Christus als Panthokrator
Bevor man den Hauptraum des Gebäudes betrat, empfahl es sich, einmal den Blick zu heben, denn über dem Kaisertor befindet sich eines der berühmtesten Mosaiken von Byzanz, Christus als Panthokrator (Weltbeherrscher).
Noch „auf der Türschwelle stockt unwillkürlich der Schritt des Besuchers, geblendet vom Glanz des Tempels“, wie schon der berühmte Chronist der Spätantike, Prokop von Ceasarea schrieb. Tatsächlich ist der Eindruck auch heute noch überwältigend. Egal ob gläubig oder nicht, architekturinteressiert oder gänzlich Ahnungslos, es gibt kaum einen Besucher, der vor dem Bild das sich ihm bietet nicht staunend stehen bleibt.
Der riesige Raum samt seinen Porphyrsäulen über dem scheinbar schwebend in 55 Meter Höhe die Kuppel aufragt, durchbrochen von 40 Fenstern durch die das Licht in die Halle strömt, ist ein Erlebnis, das seines gleichen sucht. Der Marmorfußboden ist farblich sorgsam komponiert, genauso die marmorverkleideten Wände.
Heutige Besucher erlebten bisher im Innern eine perfekte Symbiose der christlichen und islamischen Geschichte des Hauses. Man hat die byzantinischen Mosaiken in der Apsis wieder freigelegt, die Engel an den Spitzen der vier Säulen die die Kuppel tragen sind restauriert worden doch gleichzeitig steht da, wo vordem der Altar war, jetzt der Mihrab, die islamische Gebetsnische und rechts davon die Kanzel, von der der Vorbeter sprach.
Unter den Emporen hängen drei große auffällige ovale Holzschilder auf denen in arabischer Schrift die Namen Allah, Mohammed und al Bakri (der erste Kalif nach Mohammed) verzeichnet sind. Gleichwohl sind im Marmorfußboden noch die Muster zu sehen, die die zeremoniellen Einmärsche von Kaisern und Bischöfen markierten, mit denen die wichtigsten Staatsakte von Byzanz vollzogen wurden.
Justinian, der letzte große römische Kaiser
Um die Bedeutung der Hagia Sophia zu verstehen, muss man von Kaiser Justinian sprechen, der die Kirche in der heutigen Form bauen ließ. Justinian wurde am 1. August 527 römischer Kaiser in Konstantinopel. Westrom war 100 Jahre zuvor endgültig untergegangen. In der Geschichtsschreibung gilt Justinian als der letzte große römische Kaiser, er eroberte Nordafrika und weite Teile Italiens zurück und herrschte noch einmal von Gallien bis Ägypten.
Vor seinen großen militärischen Erfolgen wurde er jedoch um ein Haar das Opfer eines von Konkurrenten geschürten Aufstandes, den er nur knapp überlebte. Bei diesem so genannten Nika-Aufstand im Januar 532, viereinhalb Jahre nach seiner Thronbesteigung, wurde das gesamte Zentrum Konstantinopels niedergebrannt, darunter die Basilika, die zuvor an dem Platz gestanden hatte, wo er dann die Hagia Sophia erbauen ließ.
Obwohl im römischen Reich seit Kaiser Konstantin, also 200 Jahre vor Justinian, das Christentum zur herrschenden Religion geworden war, hatte Konstantinopel bis dahin noch keine zentrale Kathedrale. Genau die beschloss Justinian nach dem Nika-Aufstand zu bauen, nicht zuletzt um seinen Untertanen zu zeigen, dass er nach wie vor der von Gott gesandte Kaiser ist. Er beauftragte den Architekten Anthemios von Tralleis und den Mathematiker Isidor von Milet mit dem Bau einer Kirche, die nicht ihres gleichen haben sollte.
Tatsächlich schufen die beiden Griechen einen Bau, der bis heute sprachlos macht und dessen statischen Geheimnisse erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts entschlüsselt werden konnten. Die 55 Meter hohe und 31 Meter breite Kuppel die lediglich auf vier Stützpfeilern ruht, war eine mathematische und ingenieurstechnische Revolution.
Justinian ließ sämtliche Ressourcen des Reiches für den Bau zusammenkratzen, sehr hilfreich war dabei, dass sein Feldherr Belisar ein Jahr nach Baubeginn die Vandalen in Nordafrika vernichtend schlagen konnte, Karthago eroberte und die Schätze dieses Königreiches für den Bau der Hagia Sophia beisteuerte. Die Säulen ließ Justinian aus paganen Tempeln überall im Reich herbeischaffen, der Marmor kam aus den besten Steinbrüchen.
Der orthodoxe, Reichtum und Macht verheißende Glaube
Am Ende entstand in nur fünf Jahren Bauzeit – große Kathedralen in Westeuropa wurden über Jahrzehnte wenn nicht Jahrhunderte gebaut – eine so eindrucksvolle, Gold- und Marmorblitzende Kirche, dass der Legende nach eine russische Abordnung nach einem Besuch der Hagia Sophia ihrem Zar empfohlen haben soll, sich dem orthodoxen Glauben anzuschließen, weil er Reichtum und Macht verhieße.
Fast tausend Jahre lang blieb die Hagia Sophia dann das Zentrum des östlichen Christentums, bis dem osmanischen Sultan Mehmet II. 1453 die Eroberung Konstantinopels gelang. Mehmet war zwar vergleichsweise tolerant gegenüber Christen und Juden, doch die orthodoxen Patriarchen mussten sich seitdem mit einer wesentlich kleineren Kirche in Konstantinopel begnügen.
Jetzt wird aus dem Museum, das allen Gläubigen und Ungläubigen zugänglich war, wieder eine exklusive Einrichtung der Muslime. Erdogan hat angekündigt, dass am Freitag dem 24. Juli das erste Gebet in der Ayasofia, wie sie im Türkischen heißt, stattfinden wird. Bis dahin wird umgebaut, das Museum ist ab sofort geschlossen. „Natürlich“, sagt Erdogan, dürfen Touristen das Gebäude auch zukünftig besuchen, wie alle anderen Moscheen auch.
Doch das wird nicht mehr der Besuch eines Museums sein, sondern man wird, Barfuß und die Frauen mit bedecktem Kopf, von einer Ecke aus einen Blick hineinwerfen dürfen, natürlich ohne die Gläubigen zu stören. Immerhin, die kunsthistorisch so wertvollen Mosaiken und Fresken in der Hagia Sophia sollen nicht zerstört sondern nur zugehängt werden. Vielleicht ist der religiöse Spuk ja bald wieder vorbei.
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