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Haftung für Rechtsverletzung im InternetOhne Links stirbt das Netz

Wer Links setzt, ist für den Inhalt dahinter verantwortlich – so haben zwei Gerichte geurteilt. Das rüttelt an der Grundidee des Netzes.

Erst die Verknüpfungen schaffen ein Netz Foto: photocase/ Dirk Hinz

Bei der Online-Enzyklopädie Wikipedia haben sie ein Spiel daraus gemacht: Start ist ein willkürlich ausgewählter Lexikon-Artikel, ein weiterer dient als Ziel. Die Mitspieler haben die Aufgabe, über möglichst wenige Links vom einen zum anderen Artikel zu navigieren, wer den kürzesten Weg findet, gewinnt.

Man muss sich nicht dafür begeistern, dass man über nur drei Schritte von Björk zu Václav Havel kommt (Björk – Dancer in the Dark – Czech – Václav Havel – funktioniert allerdings nicht in allen Sprachen), um die Tiefe dieses Spiels zu verstehen: Es illustriert perfekt die Bedeutung von Links als Essenz des World Wide Web. Als Bindeglieder zwischen den einzelnen Teilen einer Kette, die Element um Element zusammenknüpfen und so aus vielen, aus einer unendlichen Zahl einzelner Bestandteile erst ein Ganzes machen. Etwas, das zusammengehört. Ein Netz. Und wenn nun, wie es aussieht, zwei Gerichtsurteile letztlich dazu führen werden, dass die Verlinkung im Netz erst risikoreicher, dann seltener wird und – im schlechtesten Fall – schließlich ausstirbt, dann ist dieses Problem deutlich größer, als es auf den ersten Blick vielleicht scheinen mag.

Die Idee des Europäischen Gerichtshofs und des Landgerichts Hamburg: Wer als gewerblicher Betreiber einer Website – und das ist schon, wer nur seine Tagebucheinträge online stellt und auf der Seite Werbebanner einbindet – einen Link setzt, ist verantwortlich. Nicht nur für den Link. Sondern auch für das, was sich auf der verlinkten Webseite insgesamt befindet.

Eine Urheberrechtsverletztung? Tja, hätten Sie mal vorher besser geprüft, ob jedes Foto auf der Zielseite tatsächlich den korrekten Urheber angibt. Wie das gehen soll? Ach, nun stellen Sie doch nicht so kleinliche Fragen.Die Urteile sind noch nicht alt. Aber wenn Abmahnanwälte erst einmal das Potenzial der Entscheidungen erkannt haben und sich herumspricht, dass ein arglos gesetzter Link ziemlich teuer werden kann, beginnt der vorauseilende Gehorsam. Wer einen teuren Rechtsstreit vermeiden will, wird auf Links verzichten. Und wenn diese Auswirkungen nicht von anderen Gerichten mit gegenteiligen Entscheidungen gestoppt werden, dann werden die Urteile zum letzten Baustein. Zum letzten Baustein, der eine Entwicklung, die sich schon seit einigen Jahren abzeichnet, beschleunigt und schließlich zum Ende bringt. Und bei der das Netz immer mehr in Einzelteile zerfällt.

Konzerneigene Ökosysteme

Ein Teil dieser Entwicklung ist die zunehmende Zentralisierung des Internet. Zentralisierung ist so etwas wie die Antithese zur Vernetzung, die auf dem Gedanken der Dezentralität beruht.

Doch die großen IT-Konzerne handeln nach dem Motto: Du sollst keinen Dienst haben neben mir. Damit das möglich ist, stellen sie die eigene Angebots­palette so breit auf, dass Nutzer das konzerneigene Ökosystem fast nicht mehr verlassen müssen. Außer vielleicht, um duschen zu gehen, aber vermutlich bringt die Google-Tochter Nest (das sind die mit den vernetzten Thermostaten und Rauchmeldern) irgendwann auch eine vernetzte Duschbrause auf den Markt.

Links auf Quellen: Ein guter Teil der herumgeisternden Fake News wäre so schon widerlegt

Vorteil für den Konzern: Solange die Nutzer im eigenen Ökosystem sind, lassen sie sich auf Klick und Mausbewegung verfolgen. Links nach außen sind da hinderlich bis überflüssig – wie etwa der Knowledge Graph der Google-Suche zeigt: Wer den Namen des US-Präsidenten, den des höchsten Bergs der Erde oder eines großen Konzerns eingibt, bekommt direkt neben den ersten Suchergebnissen einen Kasten mit Infos angezeigt: Alter, Höhe, Aktienkurs. Weiterklicken? Überflüssig.

Der jüngste Beweis dafür, dass Links immer unwichtiger werden, findet sich in einer nicht großartig beachteten Veröffentlichung von Facebook in der Nacht des 2. November, Seite sieben. Da steht: Im dritten Quartal lag demnach die Zahl der Nutzer, die Facebook ausschließlich über die App ansteuern, erstmals über einer Milliarde. Tendenz: weiter steigend.

Jagen und vor allem: Sammeln

Es ist das Symptom einer weiteren Entwicklung: Immer mehr Menschen verbringen einen immer größeren Anteil ihrer Zeit im Netz mittels mobiler Endgeräte. Und wer mobil ins Netz geht, verwendet in der Regel keinen Browser, sondern Apps. Laut US-Marktforscher verbringen Nutzer an ihren Mobilgeräten 90 Prozent ihrer Zeit mit Apps und nur 10 mit dem Browser. Apps wiederum sind traditionell eine eher Link-arme Umgebung. Denn die App-Anbieter würden alles dafür geben, dass die Nutzer so viel Zeit wie irgend möglich innerhalb der App verbringen. Die Nutzer verfolgen, Daten sammeln, Geld verdienen.

Diese Unsitte ist übrigens auch auf den Portalen von Medienunternehmen zu finden: Da wird – wenn etwa der Text eine ältere Studie erwähnt – lieber auf die damalige Berichterstattung verlinkt als direkt auf die Originalstudie. Mit den Urteilen aus Luxemburg und Hamburg dürfte das zur Regel werden. Denn wer weiß schon, ob die Website der Uni, die die Studie durchgeführt hat, nicht auch irgendwo auf ihren Seiten ein unerlaubt übernommenes Foto verwendet.

So weit der Status quo, zugegeben: schon ausreichend düster. Doch es geht noch weiter. Denn das nächste große Ding werden, darin sind sich in der IT-Welt die meisten einig, Chatbots sein. Wer Blumen kaufen will, bemüht nicht erst mal eine Suchmaschine, um einen Blumenladen zu suchen, sich dorthin zu bemühen oder auf der Webseite die Bestellung zusammenzuklicken. Sondern gibt den Wunsch einfach in die verwendete Chat-App ein, den Rest übernehmen dann mehr oder minder intelligente Bots. Das sieht auf den ersten Blick nur nach einem kleinen Schritt aus. Doch weitergedacht wird so das WWW nur noch zu einem Hintergrundrauschen, zu einer Art Datenbank, deren sich die Bots bedienen können.

Und es gibt noch etwas, das diese Entwicklung weiter ins Extrem treiben kann: Sprachsteuerung. Wer seinen smarten Assistenten fragt, wie alt Angela Merkel ist, bekommt eine Antwort, bei Amazons Alexa sogar auf den Tag genau. Oder den Wetterbericht, Informationen zur Verkehrslage, eine Übersicht der aktuellen Nachrichten. Links? Würden gesprochen wohl eher für Belustigung sorgen.

Diese schleichende Entlinkung des Netzes kann man zum Beispiel mal zusammendenken mit der aktuellen Debatte über Fake News. Nehmen wir einen realen Fall, der auch erst ein paar Wochen alt ist: Auf Facebook postete ein Nutzer ein Zitat der Grünen-Politikerin Renate Künast zum Umgang mit dem Verdächtigen in einem Mordfall. Problem eins: Das Zitat war gefälscht. Problem zwei: Als Quelle war zwar die Süddeutsche Zeitung angegeben. Alleine: Es fehlte ein Link. Das hätte misstrauisch machen können. Sollen. Müssen.

Deshalb muss die Entwicklung eigentlich eine gegenteilige sein. Mehr Links statt weniger. Quellen, die im Netz zu finden sind, sollten mit einem Klick verifiziert werden können. Studien, Zitate, Veröffentlichungen. Ein guter Teil dessen, was heute als Fake News durch das Netz geistert, wäre damit schon widerlegt.

Dass ausgerechnet dieser, der einfachste und sinnvollste Weg, nun gerichtlich verbaut wird, ist skurril. Und verkennt völlig den Gewinn der Verlinkung. So wird, wenn sich die Rechtsprechung nicht ändert, der Link vermutlich eines Tages zu etwas sehr Klandestinem. Etwas, das wir nur privat austauschen, nicht vor den Augen der Öffentlichkeit. Per E-Mail, falls es die dann noch gibt, aber vermutlich nicht, sondern eher über eine Art verschlüsseltes Hologramm, das wir per charakteristisches Blinzeln mit dem linken Auge verschicken. Und Wikipedia wird zu einem Museum. In dem man noch mal erleben kann, wie das World Wide Web mal aussah, damals, als die Links noch überall waren.

Aktenzeichen zu den Urteilen: 310 O 402/16 (Landgericht Hamburg) und C-160/15 (Europäischer Gerichtshof)

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15 Kommentare

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  • Die Frage ist dann auch, was passiert, wenn die verlinkte Seite zum Zeitpunkt der Linksetzung legal war und dann verändert wird.

     

    Somit müsste jeder alle Links immer wieder prüfen, ob die verlinkten Seiten auch aktuell noch legal sind. Dies ist nicht möglich !

  • Überwachung und zu viel Kontrolle ist tödlich für das Netz: https://www.mustard.cool/

  • Mir scheint, die Konsequenz nicht zu Ende gedacht:

    Link = Verantwortung für das Ziel (einschließlich der Links = einschließlich der Verantwortung für deren Ziele (einschließlich der Links = ...).

    Also ist jeder für das gesamte Internet verantwortlich.

    Das ist doch mal toll!

  • [...] Beitrag entfernt. Bitte beachten Sie die Netiquette. Vielen Dank! Die Moderation

  • Das in dem Artikel beschriebene 'geschlossene Netz' eines Betreibers, im Idealfall via Apps, gibt es schon - in Ländern wie China, zB. Vielleicht sollte man dieses Beispiel eines 'freien Netzes' mehr mit diesen absurden Urteilen konfrontieren, um einigen realitätsfernen Leuten die Folgen ihres Tuns zu verdeutlichen!

  • Ganz großer Mist und ganz dringender Handlungsbedarf für die Legislative. Das verhindert wie im Artikel angesprochen jegliche Überprüfbarkeit. Folgendes ist nicht mehr möglich: "Dorfpolitiker X leugnet den Holocaust, siehe [link]". Weil ich mich durch den link dann selbst zum Holocaustleugner mache?

  • ist denn schon April, oder waren hier die Schildbürger am Werk?

    In welchen Intervallen ist denn zu prüfen ob gesetzter Link frei von Rechten dritter ist?

     

    *Kopf/Tischplatte*

  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    Was heißt 'Pflicht einer "zumutbaren Nachforschung zur Frage der Rechtmäßigkeit der Zugänglichmachung"', wie es bei Heise steht, wohl genau? Wie sieht das bei Suchdiensten aus oder Indexseiten, die können unmöglich alles prüfen?! Das scheint sehr von Fall zu Fall abzuhängen, wie groß diese Pflicht ist.

    Mir ist das auch immer noch rätselhaft, wie ich als Nutzer entscheiden soll, ob ein Inhalt rechtmäßig ist oder nicht. Auch ein Video bei YouTube muss nicht automatisch legal sein (wenn etwa die kommerzielle Nutzung gänzlich untersagt ist) und andersherum ist ein Video auf kinox nicht automatisch illegal (z.B. bei alten Schwarz-Weiß-Filmen). Man kann auch ein Video (z.B. von Pornhub) schlecht in eine Suchmaske eingeben. Ein Bild als Suchparameter einzugeben, das geht ja noch auf gewissen Seiten, aber dann hat man aber noch lange keine Copyrightinformationen.

    Das gegenwärtige Urheberrecht ist eine Farce, weil es ein Recht ohne Pflichten ist. Reichtum verpflichtet, aber das gilt anscheinend nicht für geistiges Kapital. Zuallererst wäre da die Pflicht, überhaupt erst einmal transparent zu machen, bei wem welche Rechte überhaupt gerade liegen. Ansonsten kann keiner nachprüfen, ob die Seite, die er gerade verlinkt oder besucht, diesen konkreten Inhalt legal zur Verfügung stellt. Beim EU-Gerichtsurteil ging es wohl um geleakte Playboybildchen und es war den Seitenbetrieben wohl ziemlich klar, woher die Bilder stammten und dass ihre Quelle keine Rechte an diesen Bildern hatte. Ich würde in meiner Rechtsauffassung davon ausgehen, dass sich für den normalen Seitenbetreiber der "zumutbare" Aufwand für eine Nachforschung in Sachen Urheberrecht in Grenzen hält, besonders, wenn der Ursprung der Inhalte nicht klar erkennbar ist.

    Wie soll man denn rausfinden, ob ein Urheberrecht verletzt ist, wenn es keine Möglichkeit gibt, die Inhalte einem Rechteinhaber zuzuordnen?

    Aber das ist nur meine Rechtsauffassung und die gilt leider nicht.

    • @85198 (Profil gelöscht):

      Da wir Lizenzvereinbarungen zwischen Seitenbetreibern und Inhaltsanbietern (Texte, Bilder, Videos, Musik) nicht einsehen/kontrollieren können, ist es doch in keiner Weise zumutbar oder umsetzbar. Suchmaschinen dürften gar nicht mehr existieren.

      Es gibt höchstens Seiten, wo es ganz offensichtlich ist, wie in diesem Playboy Fall.

  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    Teil 2: Viel kritischer würde ich zunächst einmal das Ziel der Industrie sehen, jeden kleinsten Informationsschnipsel noch mit Kopierrecht zu versehen, das macht jedes Zitieren unmöglich und bedeutet nichts weniger als das Ende der künstlerischen Freiheit, der freien Rede und des demokratischen Diskurses, da dann schon einfache Redewendungen unter Urheberrecht gestellt werden können. Wenn das so weiter geht, dann wird es bald Sätze geben, die darf nur sagen, wer das Geld hat, dafür auch zu bezahlen.

  • Nach allem, was ich gesehen habe, kann es wirklich so schrecklich werden.

     

    Aber Gerichtsurteile sind nur eine Auslegung von Gesetzen. Und Gesetze lassen sich ändern. Beim EuGH dürften das die EU-Richtlinien sein — was eher schwer werden könnte. Urteil: http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=183124&pageIndex=0&doclang=DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1

     

    Die Leute bei Heise haben das Urteil übrigens schön kommentiert: Sie haben das Gericht gebeten, ihnen rechtsverbindlich, dass es auf der Webseite des Gerichtes keine illegalen Materialien gibt. Das LG Hamburg hat sich geweigert: https://www.heise.de/newsticker/meldung/LG-Hamburg-will-Rechtmaessigkeit-seiner-Online-Inhalte-nicht-rechtsverbindlich-erklaeren-3568292.html

  • Hallo TAZ.

     

    Hier hätten wir gern einen Link gesehen, wo man diese Urteile nachlesen kann. Ob es also wirklich so schrecklich ist wie im Artikel ausgemalt

    • @Gerhard Roth:

      Ich möchte es gerne als Ironie der Autorin verstehen, dass weder das einen noch das andere Urteil verlinkt sind. Ich möchte wirklich gerne.

  • Da darf ich gerne an die Kollegen von Heise.de errinnern die vom Gericht in Hamburg wissen wollten ob deren Verlinkungen denn rechtens seien. Woraufhin das Gericht natürlich keine Haftung übernommen hat.....

    https://www.heise.de/newsticker/meldung/Warum-heise-online-derzeit-keine-Links-zum-LG-Hamburg-setzt-3567571.html

     

    Am Ende des Artikels ist dann auch noch der Link zur Antwort. Sowas kann sich kein Kabaretist ausdenken!