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Gymnasium in BerlinPalitücher statt Zeugnisse

Weil sie propalästinensische Proteste befürchten, sagt ein Gymnasium eine Abiturverleihung ab. Eltern wünschen sich einen anderen Umgang.

Ein Berliner Gymnasium sorgt sich, dass die Schü­le­r*in­nen nicht nur Luftlballons zur Zeugnisübergabe mitbringen Foto: Martin Schutt / dpa

BERLIN taz | Die Entscheidung des Gymnasiums Tiergarten, die offizielle Verleihung der Abiturzeugnisse abzusagen, stößt in der Elternschaft auf Unterverständnis und teils auch Frust. Die Schule habe Gesprächsangebote bisher ausgeschlagen, sagt ein Elternteil eines Kindes aus dem Abiturjahrgang der taz. Die Person möchte nicht namentlich in der Zeitung genannt werden.

Die Schulleitung hatte die Zeugnisverleihung abgesagt, weil sie eine propalästinensische Protestaktion befürchtet. Die Zeugnisse sollten am 5. Juli an einem Ort außerhalb der Schule überreicht werden. Doch „aus sicherer Quelle“ hätten sie erfahren, dass ein großer Teil des Jahrgangs „massive konfrontative politische Kundgebungen“ bei der Veranstaltung geplant habe, heißt es in einem Brief der Schulleitung an die Ab­itu­ri­en­t*in­nen und Eltern. Der Brief liegt der taz vor. Möglicherweise könne es zu Ausschreitungen kommen. Die Sicherheit der Veranstaltung könne nicht gewährleistet werden.

„Anscheinend hatten einige der Ab­itu­ri­en­t*in­nen im Klassenchat gefragt, wer bereit sei, sich bei der Zeugnisverleihung für Palästina einzusetzen“, berichtet das Elternteil. Knapp die Hälfte der rund 120 Chatmitglieder hätte sich dafür ausgesprochen. Dabei sei völlig unklar, wie ein Protest hätte aussehen sollen. In Medienberichten hieß es, dass Schü­le­r*in­nen wohl mit Palästinensertüchern zur Verleihung kommen wollten.

„Nie wieder“ mit Leben füllen

„Ich bin erschrocken, wie schnell die Situation eskaliert ist“, sagt das Elternteil. Bei dem Gymnasium handele es sich um eine „typische Berliner Innenstadtschule“ mit Schü­le­r*in­nen aus rund 100 Nationen. Als Eltern hätten sie dort stets den Anspruch gespürt, allen Schü­le­r*in­nen einen guten Start ins Erwachsenenleben zu ermöglichen.

Das Gymnasium habe regelmäßig Gedenkveranstaltungen zur Shoah mit den Schü­le­r*in­nen gestaltet, die Schule bemühe sich sehr, den Anspruch „Nie wieder“ mit Leben zu füllen, sagt der Elternteil. „Aber offensichtlich haben wir es nicht geschafft, das „Nie wieder“ so aufzuladen, dass es die Schü­le­r*in­nen emotional erreicht.“

Auf Seiten der Schü­le­r*in­nen sei ein „ehrliches Leiden“ angesichts der Entwicklung in Gaza deutlich. Eine strikte Absage würde die Möglichkeiten, darüber ins Gespräch zu kommen, noch mehr verengen. „Wir gehen nicht gut mit der Gemütslage der Jugendlichen um“, kritisiert das Elternteil. Das Handeln der Rektorin sei insofern verständlich, als dass diese wohl die wachsenden Gefahren für jüdische und israelische Menschen – und Schü­le­r*in­nen – in Berlin im Blick habe.

„Eine Absage einer für viele Schü­le­r:in­nen wichtigen Veranstaltung, sollte nur das äußerste Mittel sein, da dabei ein ganzer Jahrgang kollektiv darunter leidet“, kritisiert auch der Landesschülerrat auf Nachfrage der taz. „Es sollte versucht werden, die Abiverleihung doch stattfinden zu lassen, ohne dass dabei Antisemitimus oder Völkerfeindlichkeit Raum bekommen.“ Außerdem sollten die Verantwortlichen mit der Schülerschaft in den Dialog treten und herausarbeiten wo die Grenzen zwischen legitimen Meinungsäußerungen und in einer Demokratie nicht tolerierbaren Äußerungen und Gesinnungen liegen, fordert der LSA. Die Schulbehörde dürfe die Schulleitung dabei nicht allein lassen.

Aus der Bildungsverwaltung hieß es, man bemühe sich darum, eine Lösung zu finden und eine Übergabe der Abiturzeugnisse in einem angemessenen Rahmen zu organisieren. Im Brief der Schulleitung hieß es noch, die Schü­le­r*in­nen sollten sich ihre Zeugnisse Anfang Juli in der Schule abholen.

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13 Kommentare

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  • Wenn es wirklich keine Gespräche zur Situation gab, finde ich das unglücklich. Genau daran krankt unsere Gesellschaft doch, dass es kaum noch einen Austausch über Meinungen und Haltungen gibt. Jeder möchte immer nur Recht haben und der Gegenseite möglichst keine Chance geben.



    Ich bin zwar über bisherige Proteste zugunsten der Palästinenser nicht glücklich, obwohl ich eine kritische Haltung gegen die Strategie der israelischen Armee habe. Bei zu vielen Gelegenheiten trat aber wirklich Antisemitismus zu Tage. Ich kann aber unterscheiden zwischen der Kommando-Ebene und der Regierung und der auch in Teilen kritischen Israelis.



    Vielleicht wäre es ja auch den Schülern geglückt, eine solche Differenzierung in ihrem Protest hinzukriegen. Man sollte sie das ausprobieren lassen und sie so einen nächsten Schritt zum Erwachsenen gehen lassen. Gerne auch mit vorheriger Aussprache zu Bedenken.

    • 2G
      2422 (Profil gelöscht)
      @dol-fan:

      Ach ja, immer dieses "Nie Wieder". Wer glaubt noch daran? Während Europa zur Festung gegen Geflüchtete ausgebaut wird und sich rechtdextreme Parteien im Höhenflug befinden. SCHON WIEDER!

  • irre, welche blueten das alles treibt. 18-jaehrige schueler werden jetzt alle ueber einen kamm geschert und ihnen wird radikaler anti-semitismus unterstellt.



    wo bleibt der raum fuer junge menschen, sich mit dem leid eines ganzes volkes zu solidarisieren?



    wird es nicht mal zeit, das auch von staatlicher seite zu trennen?



    in der logik waere jede pro-israelische versammlung sofort von der polizei mit scharfer gewaltanwendung aufzuloesen, da es auch in israel und der gewaehlten regierung extremistische antimuslimische tendenzen gibt, die das palaesitnensische volk vertreiben oder sogar ausloeschen wollen.

    • @the real günni:

      Wo sehen Sie das Über-einen-Kamm-Scheren?

      Wäre es Ihnen lieber, die Schule würde nur manche von der Veranstaltung ausschließen?

      Der Raum für Solidarität ist für junge Menschen groß.

      Deshalb muss es keine "massive, konfrontative politische Kundgebung " bei der Zeugnisverleihung sein.

      Ihr logische Konsequenz konnte ich nicht mehr nachvollziehen.

  • Die Darstellung in dem Artikel darf man dann doch ergänzen. Teile der besagten pro-palästinensischen Schüler sind im Vorfeld bereits deutlich durch wiederholte Beleidigungen und Teils gewalttätige Aktionen aufgefallen. Diese Erfahrungswerte haben die Schulleitung zu der Einschätzung bewogen die Sicherheit der Teilnehmer der geplanten Abiturfeier nicht gewährleisten zu können. Daher die Absage. Die Eltern sind nicht angesäuert wegen einer vermeintlichen politischen Positionierung der Schulleitung, sondern weil bestimmte Leute ihnen und ihren Kindern rücksichtlos die schöne Feier versauen.

    • @Nachtsonne:

      Was ist an dieser Schule los, dass die Konflikte nicht schon im Vorfeld in einen gemäßigten Diskurs übergehen konnten, sondern auf die Abi-Feier getragen werden?

  • Doch „aus sicherer Quelle“ hätten sie erfahren, dass ein großer Teil des Jahrgangs „massive konfrontative politische Kundgebungen“ bei der Veranstaltung geplant habe, heißt es in einem Brief der Schulleitung an die Ab­itu­ri­en­t*in­nen und Eltern.

    Wer's glaubt.

    Sicher hat die Schulleitung diese Hinweise an die Polizei weitergegeben die daraufhin geraten hat die Veranstaltung abzusagen.

    Oder hat die Schulleitung gar so ganz allein im stillen Kämmerchen ... ?

    Ich denke seitens der Schulverwaltung muss jetzt mal ganz genau hingeschaut werden ob die Behauptungen der Schulleitung plausibel sind oder ob da vllt ganz andere Beweggründe hinter stecken.

  • Ist die Ablehnung pro-palästinensischer Proteste eine gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit?

    • @Brombeertee:

      Das hängt davon ab, ob die Proteste ihrerseits eine gruppenbezogene (anti-jüdische) Menschenfeindlichkeit ist. Da ich bisher keine erlebt/gesehen habe, die es _nicht_ wären, ist die Gegenwehr (in Ihren Worten "Ablehnung pro-palästinensischer Proteste") durchaus von dem Verdacht freizusprechen.

      • @Chris Demian:

        im Prinzip einverstanden mit dieser Argumentation. Mir kommt jedoch die Ablehnung zu pauschal. Pro-palästinensisch ist genauso legitim und richtig wie pro-israelisch. Aber es wird zu schnell das Anti-... in bezug auf die andere Seite unterstellt.

  • Einfach schockierend die Reaktion der Schulleitung. Der Support für Zivilisten in Gaza ist nicht erwünscht. Nie wieder heißt ebenfalls Menschenrechte zu schützen egal wo sie herkommen. Als Schüler würd ich mir denken, jetzt erst recht!

    • @Sara D:

      Bislang fallen pro palästinensische Proteste leider immer wieder durch antisemitische Ausfälle auf, das Existenzrecht Israels wird infrage gestellt, der 7. Oktober oder das Leid der Geiseln geleugnet, oft werden nur lautstark Parolen gebrüllt, darunter auch welche, die die Hamas verharmlosen oder sogar feiern.



      Die andere Seite ist, dass es für alle, die sich an diesem Gymnasium nicht so einseitig pro palästinensisch positionieren wollen, zum Beispiel weil sie Kontakte nach Israel haben, weil sie sich intensiv mit den Nahostkonflikt auseinandergesetzt haben, weil sie dem Schwarz-weiß-Denken nicht folgen möchten, sehr schnell zu Ausgrenzung und Diffamierung kommt.



      Das macht es alles sehr schwierig, insofern kann ich die Bedenken der Schulleitung schon verstehen. Die Frage ist, ob eine Abiturfeier der richtige Rahmen ist für den sicher gut gemeinten Protest. Die Abiturient*innen könnten zum Beispiel Geld sammeln, das sie für die Zivilbevölkerung in Gaza spenden könnten. Und es würde sicher nichts dagegen sprechen, eine Schweigeminute für alle Opfer von Gewalt & Terrorismus einzulegen.

  • Berlin ist hysterisch, autoritäre und verabschiedet sich von demokratischen Grundrechteten