Grundrechtereport 2021: Kontrolle mit Maschinenpistole

Der Grundrechtereport 2021 rügt die Polizei für ihre Strategie gegen angebliche Clan-Kriminalität. Auch Rechte von Geflüchteten wurden oft missachtet.

Ein Mann wird bei einer Razzia, mit einer Decke über dem Kopf, von der Polizei abgeführt.

Überzogen und stigmatisierend, sagen Aktivist:innen: Razzia in einer Shishabar in Berlin Foto: Christophe Gateau/dpa

FREIBURG taz | „Shisha-Rauchen ist nicht kriminell“, steht auf einem Plakat, das gelegentlich in Berlin-Neukölln zu sehen ist. Die Stigmatisierung arabischer Großfamilien im Kampf gegen sogenannte Clan-Kriminalität war ein Schwerpunkt bei der Vorstellung des neuen Grundrechtereports (GRR) am Mittwoch in Berlin.

„Vor dem Gesetz sind nicht alle gleich“, kritisiert Mohammed Ali Chahrour von der Neuköllner Initiative „Kein Generalverdacht“. Mit einer offen angekündigten „Politik der 1.000 Nadelstiche“ gehe die Berliner Polizei gegen Shishabars und andere Einrichtungen vor, die sie den Clans zurechne. Auch in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen verfolge die Polizei ähnliche Strategien.

„Die Polizei stört dabei den Alltag mit ihren ständigen anlasslosen Kontrollen“, so Chahrour. Es wirke auch mehr als stigmatisierend, wenn die Polizei einfache Gewerbekontrollen zum Beispiel in Shishabars mit Dutzenden oder Hunderten teils schwer bewaffneten Po­li­zis­t:in­nen absichere. Der Ertrag dieser Einsätze stehe oft in keinem Verhältnis zum martialischen Auftreten. „Meist entdeckt die Polizei dabei nur Ordnungswidrigkeiten“, argumentiert Chahrour.

Bei dem Begriff „Clan“ denke niemand mehr an schottische Großfamilien, so der Aktivist. Der Begriff werde heute fast schon gleichbedeutend mit „organisierter Kriminalität“ verwendet. „Clan“ habe den Begriff „Rasse“ als Kategorie der öffentlichen Stigmatisierung abgelöst.

Asylunterkunft abgeriegelt

Die Stigmatisierung arabischer Clans sei für die Betroffenen aber nicht nur lästig und diskriminierend. Es könne auch lebensbedrohlich sein, so Chahrour. Tobias R., der Attentäter von Hanau, habe „nicht nur aus einer Laune heraus“ in einer Shishabar gemordet. Die Berliner Integrationsforscherin Naika Foroutan stimmte zu: Es gebe wohl einen Zusammenhang zwischen den ständigen Razzien in Shishabars und den Morden von Hanau.

Ein zweiter großer Schwerpunkt der GRR-Präsentation war die Auswirkung der Coronapandemie auf die Grundrechte, insbesondere von Mi­grant:in­nen. Foroutan wies darauf hin, dass die hohe Zahl von Mi­gran­t:in­nen in den Covid-19-Intensivstationen auch mit deren Arbeitsbedingungen zu tun haben könne. Sie seien gerade in Bereichen mit viel Menschenkontakt stark überrepräsentiert, etwa in der Altenpflege, bei der Paketzustellung und in der Medizin.

Der aus dem Iran geflohene Kurde Kawe Fateh schilderte den fragwürdigen Umgang mit Covid-19-Infektionen in einer Flüchtlingsunterkunft in Halberstadt (Sachsen-Anhalt). Nachdem im Mai 2020 einzelne Fälle aufgetreten waren, habe die Polizei frühmorgens die drei Blocks umstellt, in denen rund 800 Menschen lebten. Niemand durfte mehr seinen Block verlassen, nur das Personal konnte sich weiter frei bewegen und auch zwischen Wohnung und Arbeit pendeln.

In den Unterkünften standen die Be­woh­ne­r:in­nen allerdings weiterhin in der Schlange bei der Essens­ausgabe, berichtet Fateh. Die Zimmer blieben mit bis zu vier Personen belegt, Masken gab es erst nach zwei Wochen, Tests ebenso. Die Quarantäne wurde mehrfach verlängert und dauerte letztlich fünf Wochen. Unter den Be­woh­ne­r:in­nen habe sich ein Gefühl der Schutzlosigkeit ausgebreitet. Es kam zu einer Vielzahl weiterer Infektionen unter den Bewoh­ner:in­nen. Das Land scheint das bewusst hingenommen zu haben.

Der Grundrechtereport (GRR) ist ein Taschenbuch, das im Buchhandel erhältlich ist und seit 1997 als eine Art „alternativer Verfassungsschutzbericht“ veröffentlicht wird – in diesem Jahr zum 25sten Mal.

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