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Grünen-Politikerin über Bildungspolitik„Stapel von Arbeitsblättern“

Margit Stumpp kritisiert die Digital-Strategie der Bildungsministerin. Für Fortschritte sei mehr Geld nötig – und ein anderer Fokus.

Im Vorteil, wer schon digitale Strukturen hat: Lernplattform „mebis“ in Bayern Foto: Stefan Puchner/dpa
Interview von Christian Füller

taz: Frau Stumpp, Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) will den Ländern 100 Millionen Euro Corona-Soforthilfe für digitale Medien geben. Reicht das denn?

Margit Stumpp: Erstens ist das viel zu wenig Geld, denn wir stehen vor der größten Schulkrise seit Gründung der Kultusministerkonferenz. Und zweitens ist das ja überhaupt kein frisches Geld. Frau Karliczek stellt hier Bundesmittel bereit, die für die Länder durch den Digitalpakt längst freigegeben waren. Das ist Etikettenschwindel. Man konnte auch bisher schon Schulclouds aus dem Digitalpakt bezahlen.

Das klingt nach grüner Mäkelei. Die Schulen brauchen jetzt dringend Mittel für Fernlernen mit digitalen Medien, Clouds und so weiter.

Natürlich müssen wir die Schulen gerade jetzt unterstützen. Wir sehen eine gigantische Nachfrage nach Tools und Plattformen für das Lernen in der digitalen Welt. Das ist in meinen Augen eine große Chance. Nur ist leider noch völlig unklar, in welche Strukturen das Geld fließen soll, das Frau Karliczek und die Präsidentin der Kultusminister, Stefanie Hubig, gerade umdeklarieren.

Wieso? Es soll für länderübergreifende Modelle benutzt werden – und Inhalte in die Schulen bringen.

Die deutsche Schule leidet an vielem – aber einen Mangel an Inhalten gibt es gewiss nicht. Das sieht man gerade in den Zeiten des Fernunterrichts. Fragen Sie mal die Eltern der Schüler, ob sie zu wenig oder zu viele Inhalte zu Hause haben.

Homeschooling, das heißt im Moment für die meisten, Stapel von Arbeitsblättern auszufüllen oder massenweise PDF zu bearbeiten. Auf der anderen Seite fehlt vielen Lehrkräften aber die Orientierung im Dschungel der Möglichkeiten – von der eigenen Dienstmail ganz abgesehen. Und nun sollen weitere 100 Millionen Euro in Inhalte fließen? Das ist doch absurd.

Was schlagen Sie vor?

Ich habe selbst als IT-Lehrerin gearbeitet und ein Schulnetz administriert. Was die Schulen jetzt brauchen, sind liquide Mittel, um die digitale Kommunikation zwischen Lehrern und Schülern möglich zu machen. Das bedeutet, man sollte sich mit den Ländern darauf verständigen, den Schulträgern eine halbe Milliarde Euro aus dem Digitalpakt zu geben – ohne das Ausfüllen komplexer Antragspapiere.

Damit könnten sie sofort sichere Messenger buchen oder ihre bestehenden Lernmanagementsysteme und Schulclouds aufrüsten – und den Leh­re­rIn­nen näherbringen. Mit anderen Worten: Es ist strategisch zielführender, das Geld für das Etablieren der notwendigen Basisstrukur in die unterversorgten Schulen zu geben. Dazu braucht es auch IT-Fach­kräfte, die das schnell installieren können und in der Lage sind, die Lehrkräfte einzuweisen.

Im Interview: Margit Stumpp

56, ist Lehrerin und bildungspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag.

Und das soll ausgerechnet jetzt geschehen, in den Coronaferien?

Ja, einen besseren Zeitpunkt gibt es doch gar nicht. Rund die Hälfte der Schulen in Deutschland hat bereits ein Lernmanagementsystem und Zugang zu einer Cloud – aber oft weiß nur ein Bruchteil der Lehrkräfte, wie man das anwendet. Die Bereitschaft dieser Lehrkräfte, sich darauf einzulassen, ist jetzt aber so hoch wie noch nie. Diese Zeit sollten wir nutzen.

Wir brauchen also ab sofort Tausende kleiner Fortbildungen. Das können die digital bereits kundigen Lehrer machen oder IT-Freelancer, die aktuell ihre Aufträge verlieren. Die sollten wir jetzt an die Schulen holen – eine Win-win-Situation. Damit sind sie nicht auf die Rettungsmaßnahmen draußen angewiesen, sondern können zusammen mit den digital erfahrenen Lehrkräften ihren KollegInnen die Cloud und die Chat-Kom­mu­ni­ka­tion erklären. Das ist keine Raketenwissenschaft!

Frau Karliczek will die Nationale Schulcloud, die gerade vom Hasso-Plattner-Institut in Potsdam (HPI) entwickelt wird, mit 15 Millionen Euro bezuschussen. Das ist doch das, was auch Sie wollen.

Nein, denn wenn meine Information zutrifft, steckt die Ministerin auch hier Geld in Inhalte. Und zwar in Inhalte, die über einen einzelnen Anbieter angewickelt werden, der nur von einem Bruchteil der Schulen genutzt wird. Damit ist vor allem den Schulen, die weder Erfahrung noch Zugang zu Clouddiensten haben, in keinerlei Hinsicht geholfen.

Denen nützt auch die wolkige Ankündigung nichts, dass die HPI-Cloud für die Zeit der Krise allen Schulen zur Verfügung stehen soll. Die Schulen brauchen sofort die Freiheit, sich Zugänge zu Clouds und sicheren Chats zu beschaffen. Auf dem Markt gibt es bereits ein Dutzend pädagogisch ausgereifter Systeme, die über Nacht einsatzbereit sind. Dass die Bundesmittel ausschließlich der HPI-Cloud zugute kommen sollen, ist mehr als kritikwürdig.

Aber, Frau Stumpp, Sie selbst haben vor ein paar Tagen eine „Bundeszentrale für digitale und Medienbildung“ vorgeschlagen. Da ist gleichfalls von Schulclouds die Rede.

Stimmt, aber der Unterschied ist, dass wir weder den Schulen noch den Schulträgern vorschreiben, welche Cloud sie zu nutzen haben.

Was unterscheidet Ihre Cloud von der des Bundes?

Wir wollen keine neue Cloud installieren, sondern eine zentrale Anlaufstelle der Vernetzung und Qualitätssicherung. Schauen Sie, das Problem im Moment ist doch, dass die Länder bereits viele Bildungsinstitute und Schulclouds haben, die aber selbst bei den eigenen Lehrkräften viel zu wenig bekannt sind. Außerdem gibt es viele gute Initiativen abseits der institutionalisierten Strukturen. Wir wollen den Lehrkräften und allen Interessierten eine Orientierung in dieser Vielfalt geben. Die sollen sehen, was diese Systeme jetzt bereits können.

Und was sollen die Schulclouds in Ihrer neuen Bundeszentrale?

Wir haben in den Ländern bereits Moodle, Mebis und eine Reihe kleiner mittelständischer Cloud-Anbieter. Während die Bildungsministerin denen mit ihren Millionen für die HPI-Cloud das Leben schwer macht, respektieren wir sie – und bieten ihnen eine Plattform zum Austausch. Nennen Sie es eine Konferenz der Vielfalt. Die Anbieter sollen sich nicht gegenseitig platt machen, sondern voneinander lernen!

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