Grünen-Parteitag in Wiesbaden: Grüne wählen neue Arbeiterführer
Die Grünen setzen im Wahlkampf auf soziale Gerechtigkeit und Harmonie. Bei der Wahl des neuen Vorstands reicht es aber lediglich für ein Traumergebnis.
Banaszak spricht von „Tekin, Ali, Susanne, Dirk und ihre Kolleginnen und Kollegen vom Betriebsrat.“ Dafür gibt es wieder Jubel: Für Grünen-Verhältnisse hat der studierte Sozialwissenschaftler einen richtigen Kleine-Leute-Hintergrund.
Drei Monate vor den Neuwahlen haben die Grünen einen neuen Fokus gefunden: Soziale Gerechtigkeit, Zukunftsängste und Alltagsprobleme fehlen auf dem Parteitag in Wiesbaden in kaum einer Rede. Annalena Baerbock redet am Freitagabend über gestiegene Dönerpreise und teure Wocheneinkäufe. Der designierte Kanzlerkandidat Robert Habeck spricht nach ihr von „Gerechtigkeit und Sozialstaat“ als einen Wahlkampfschwerpunkt. Und auch bei Franziska Brantner, die sich neben Banaszak um den Parteivorsitz bewirbt, kommt das Thema prominent vor.
Einen so passenden biografischen Hintergrund wie Banaszak hat die Heidelbergerin zwar nicht. Immerhin hat sie aber einen kleinen Erfolg aus der Ampel vorzuweisen: Als Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium hat sie die Novelle des Postgesetzes mitverhandelt, die vorsieht, dass Paketboten zumindest im Regelfall nur noch Pakete unter 20 Kilo alleine ausstellen müssen. „Um genau diese Menschen geht es mir in der Politik. Genau für sie will ich Politik machen“, sagt die 45-Jährige, und erhält dafür ebenfalls einen kurzen Jubel.
Als Duo bewerben sich der Parteilinke Banaszak und die Realo-Vertreterin Brantner um die Nachfolge von Ricarda Lang und Omid Nouripour, die nach den verlorenen Landtagswahlen des Septembers ihre Rücktritte angekündigt hatten. Der Fokus auf die Verteilungsgerechtigkeit verbindet die beiden Neuen am Samstag bei ihren Auftritten auf der Parteitagsbühne. Ansonsten halten sie aber zwei sehr unterschiedliche Reden.
Rio Reiser und Attacke
Brantner befindet sich in ihrem Beitrag bereits im Wahlkampfmodus, teilt ausgiebig gegen die Konkurrenz aus: Von einer „pseudo-sozialistischen Spitzenverdienerin wie Sahra Wagenknecht“ wolle sie sich nicht vorwerfen lassen, dass die Grünen eine Partei der Besserverdienenden seien. Annalena Baerbock dankt sie dafür, dass sie sich „den Irrungen und Wirrungen aus dem Kanzleramt immer so sehr entgegenstellst“. Und wenn Friedrich Merz die Wahl gewinnt? Dann sei klar, dass er „die Förderungen von Wärmepumpen wieder einstellt“ und die Leute blöd dastünden mit ihren teuren Gasheizungen.
Banaszaks Rede ist dagegen in die Partei gerichtet, soll fürs Gefühlige und den Zusammenhalt sorgen. Mit dem Satz „Wir haben nichts zu verlieren außer unsere Angst“ zitiert er Rio Reiser, das grüne Publikum zieht er damit noch ein bisschen weiter auf seine Seite. Die Partei wolle er künftig nicht mehr als „ausgelagerte Pressestelle der Regierung“ verstehen, sondern als deren Motor. Und in der Migrationspolitik wolle er weiter „an der Seite derer stehen, die an ein weltoffenes Deutschland glauben“ – wenn auch natürlich weiterhin bei „aller Notwendigkeit, Kompromisse einzugehen“.
Am Ende kommt Banaszak unter den Delegierten deutlich besser an als seine künftige Co-Vorsitzende: Mit 92 Prozent erzielt er bei der anschließenden Abstimmung ein gutes Ergebnis. Brantner erhält mittelmäßige 78 Prozent. Möglicherweise diente die Abstimmung für viele der Anwesenden auch als Ventil für ihre Unzufriedenheit, die an irgendeiner Stelle doch rausmusste.
Harmonie trotz Unbehagen
Grundsätzlich ist in Wiesbaden auf der einen Seite zwar viel Wille zur Harmonie zu spüren. In drei Monaten ist Bundestagswahlkampf, auf offener Bühne will man sich da nicht streiten. Robert Habeck abzustrafen, über dessen Kanzlerkandidatur am Sonntag abgestimmt wird, wäre misslich.
Auch in inhaltlichen Fragen, wo man teils weit auseinander ist, gab es in Verhandlungen hinter den Kulissen viele Einigungen. Eine Kampfabstimmung vermieden haben die Grünen zum Beispiel beim Thema Vermögenssteuer, die viele Parteilinke fordern, etliche Realos wie Brantner aber vermeiden wollen. In einem Formelkompromiss wird die Steuer jetzt zwar genannt, aber nur als eine Option unter vielen.
Aber bei all der demonstrativen Einigkeit: Vor allem an der Basis ist weiterhin auch Unmut zu spüren über all die Verrenkungen, die die Grünen in drei Jahren Ampel hingelegt haben. Sie schlägt sich nicht nur im durchwachsenen Ergebnis von Brantner nieder, sondern zuvor auch schon in Gegenkandidaturen zum Personaltableau des Partei-Establishments. Fünf Stück gibt es insgesamt.
Susanne Bauer aus Oberfranken etwa kandidiert gegen Brantner. Als Vorsitzende wolle sie rote Linien ziehen, „die wirklich nicht überschritten werden“. Das sei für sie ganz klar da, wo es um grüne Werte geht: „Menschenrechte stehen nicht zur Disposition und die Natur verhandelt nicht.“
Auch für Matthias Ilka, der gegen Banaszak antritt, ist die Partei zu kompromissbereit und selbstgewiss. „Es fehlt mir ein bisschen das Selbstkritische. Uns nur zu feiern, ist zu wenig“, sagt er. Und weiter: „Robert stellt sich wieder als Kanzler auf, obwohl er mit dem Scheitern der Ampel verbunden ist.“ Da gibt es sogar ein bisschen Applaus.
Tränenreicher Abschied
Für mehr reicht es freilich nicht. Um das Personaltableau hatte das Partei-Establishment im Vorfeld in vielen Runden gerungen – und am Ergebnis wird nicht ernsthaft gerüttelt. Neben Banaszak und Brantner sitzt künftig Pegah Edalatian als Politische Geschäftsführerin im Vorstand. Bei der Wahl erhält sie wie Sven Giegold als Parteivize 81 Prozent der Stimmen. Damit schnitten die beiden Parteilinken knapp besser ab als die Realos Heiko Knopf als Vize (77 Prozent) und Manuela Rottmann als Schatzmeisterin (78 Prozent).
Vor den Wahlen waren die alten Vorsitzenden wort- und zum Teil auch tränenreich verabschiedet worden. Die Laudatio auf Omid Nouripour hielt bereits am Freitagabend Wolfgang Ischinger, der ehemaligen Leiter der Münchener Sicherheitskonferenz. Ischinger, der Nouripour als Außenpolitiker schon lange kennt, bescheinigte den Grünen, in diesem Themenfeld einen längeren Weg gegangen zu sein als jede andere Partei: „Chapeau, Hochachtung vor dieser Partei!“
Klimaschutz-Aktivistin Luisa Neubauer würdigte Ricarda Lang, die sie als Freundin bezeichnete, nicht nur politisch. Beide erlebten sie seit Jahren, dass man als junge Frau mit politischen und gesellschaftsverändernden Ambitionen eigentlich nur alles falsch machen könne. Sie lobte mit Blick auf Lang die „gelebte Rollenverteilung“ zwischen der Klimabewegung und den Grünen und empfahl der Partei einen „echten Klimawahlkampf“. Und: „Mehr Ricarda wagen, dann kann es was werden.“
Lang selbst verabschiedete sich mit einer sehr klaren Rede. „Wir erleben eine tiefe Krise des demokratischen Systems“, sagte sie und betonte, es reiche nicht, gegen Rechtsextremismus zu sein. Notwendig sei, das Leben von Menschen zu verbessern. Und: „Wer die liberale Demokratie schützen will, muss die Menschen im Land wie Erwachsene behandeln und Antworten geben, die so groß sind wie die Probleme.“
Sie forderte mehr Klartext von ihrer Partei. Es sei falsch, nach Misserfolgen zu sagen, man müsse seine Politik nur überzeugender verkaufen. Und: „Wir sind nicht die Staubsaugervertreter der Demokratie. Wir müssen Politik nicht nur besser erklären, wir müssen bessere Politik machen.“
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