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Grünen-Kreisvorsitzende über Koalition„Wir erreichen unsere Ziele nicht“

Die Grünen in Cloppenburg hadern mit der Ampel-Koalition. Nun haben sie einen Bundesparteitag beantragt, um über einen Koalitionsaustritt zu sprechen.

Grüne außen vor: Kanzler Scholz mit Finanzminister Lindner, Vizekanzler Habeck lauschend Foto: Michael Kappeler/dpa
André Zuschlag
Interview von André Zuschlag

taz: Frau Rameil, wollen die Cloppenburger Grünen die Ampel-Koalition im Bund stürzen?

Anne Rameil: Nein, das ist bei dem Antrag auf die Einberufung eines dringlichen Bundesparteitags definitiv nicht unsere Absicht. Aber wir brauchen als Grüne eine öffentlich wahrnehmbare Debatte darüber, was unsere roten Linien in dieser Koalition mit SPD und FDP sind.

Aber Sie wollen schon auch über einen Austritt der Grünen aus der Koalition debattieren, heißt es im Antrag.

Uns war von Anfang an klar, dass diese Koalition nicht einfach wird. Und natürlich gehört es dazu, dass wir in der Koalition Kompromisse schließen müssen. Wir vermissen aber deren Ausgewogenheit: Wir Grüne mussten schon ziemlich viele bittere Pillen schlucken, die ihre Ursache in der Energiekrise hatten und die wir mittragen mussten. Nun machen aber SPD und FDP gegen uns gemeinsame Sache und torpedieren die Klimaziele.

Das heißt?

In dieser Koalition erreichen wir unsere politischen Ziele nicht im erforderlichen Maß. Nun darf aber nicht der Eindruck entstehen, dass wir Grüne an der Macht kleben und um jeden Preis regieren wollen. Warum sollten bisherige Grünen-Wähler*innen bei kommenden Wahlen sonst noch einen Grund haben, uns ihre Stimmen zu geben? Deshalb ist klar, dass ein Austritt aus der Koalition auch eine Option ist, über die wir diskutieren sollten.

Privat
Im Interview: Anne Rameil

56, ist Co-Vorsitzende der Grünen im Kreis Cloppenburg. Beruflich leitet sie einen ambulanten Pflegedienst.

Stoßen Sie damit in der Partei- und Fraktionsspitze auf offene Ohren?

Uns teilte der Bundesvorstand mit, dass er den Antrag als Misstrauensvotum versteht. Dabei ist das gar keine Kritik an unserer Parteispitze: Viel mehr wollen wir ihnen und ihren Forderungen gegenüber den Koalitionspartnern Nachdruck verleihen, wir wollen sie unterstützen. In den Koalitionsgesprächen kann unsere Parteispitze der SPD und der FDP künftig klar machen: Hier macht unsere Partei nicht mit und das stärkt sie.

Was sind denn die roten ­Linien?

Mit dem Aufweichen der Sektorenziele und dem beschleunigten Autobahnausbau befinden wir uns ganz nah an den roten Linien: Diese Ergebnisse des Koalitionsausschusses Ende März haben gezeigt, dass Kompromisse nicht mehr ausgewogen sind. Und auch der anhaltende Streit um die Kindergrundsicherung enttäuscht uns sehr – offensichtlich fällt uns jetzt auf die Füße, dass die Einigung zur Kindergrundsicherung im Koalitionsvertrag zu ungenau war und jetzt um die Finanzierung gerungen werden muss. Das alles sind Ergebnisse, bei denen selbst im konservativen Cloppenburg die grüne Seele leidet. Und zuvor mussten wir schon eine Menge bitterer Pillen schlucken, etwa bei der Verlängerung der AKW-Laufzeiten. SPD und FDP haben offenbar beschlossen, in uns die größte Konkurrenz zu sehen und uns deshalb permanent zu attackieren.

Was folgt daraus?

Für die Zukunft müssen wir also die grünen Kernthemen des Koalitionsvertrags definieren, die nicht verhandelbar sind.

Beschlossen hatte den Antrag eine Kreismitgliederversammlung – wie verlief darüber die Diskussion?

Es war sogar eine außerordentliche Mitgliederversammlung. Die findet erst statt, wenn sich mindestens zehn Prozent der Mitglieder dafür aussprechen. Ich bin seit Ende der 90er bei den Cloppenburger Grünen aktiv und das hat es seither bei uns noch nie gegeben. Es war dann eine sehr differenzierte Debatte, die aber im Tenor absolut einhellig war. Nur sehr wenige Mitglieder fanden die Form, also die Einberufung eines außerordentlichen Parteitags, zu scharf.

Glauben Sie, dass Ihre Wut über die Ampel-Koalition repräsentativ für die gesamte Grünen-Basis ist?

Das kann ich noch nicht mit Bestimmtheit sagen. Natürlich geht manchen unsere Forderung, auch über einen Austritt aus der Koalition zu sprechen, zu weit. Was aber offensichtlich ist: Es gibt mit dieser Koalition ein breites Unbehagen und unser Antrag trifft durchaus auf positive Resonanz.

Wie optimistisch sind Sie, dass sich zehn Prozent der Kreisverbände hinter Ihren Antrag stellen, damit der außerordentliche Parteitag stattfindet?

Wir haben sehr schnell Rückmeldungen einiger Kreisverbände erhalten, die uns unterstützen. Und viele Kreisverbände haben uns informiert, dass sie vor Ort über unseren Antrag diskutieren wollen. Noch kann ich aber nicht einschätzen, ob wir in den nächsten Wochen genügend Zustimmung bekommen.

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13 Kommentare

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  • Die Grüne Basis lebt! Die Aufgabe des Sektorziels im Klimaschutz ist nichts anderes als ein Freifahrtschein von Wissing (FDP) für die Ignoranz beim Klimaschutz im Verkehr.

    Die Lobby der Automobilindustrie verhinderte in der Vergangenheit Abgasminderung in der EU, damit deutsche Autokonzerne weiterhin große Autos verkaufen konnten.

    Die Folge: die deutsche Automobilindustrie droht deshalb gerade, den Anschluß an die Elektromobilität in China zu verlieren.

    Warum also will die FDP dieses Sektorziel unbedingt aufgeben, wenn der Deutschen Automobilindustrie der Worst Case (China, Japan, Taiwan übernehmen die Verkaufsspitze bei Elektroautos) in naher Zukunft droht?

    Kein Sektorziel im Verkehr hieße: kein allzu großer Druck auf die deutschen Automobilkonzerne, so schnell wie möglich auf Elektro umzustellen.

    Es geht der FDP vermutlich darum, dieser Industrie und dem Aufbau einer Ladeinfrastruktur eine Atempause zu verschaffen, weil sie mit dem Rücken an der Wand steht.

    Würde sich die Basis der Grünen mit dem Sektorziel im Verkehr durchsetzen, müsste es schon bald Fahrverbote oder Kilometerbegrenzungen für Verbrenner geben. Doch diese bittere Wahrheit den Bürgern mitzuteilen, trauen sich alle Parteien (auch die Grünen) nicht.

    Stattdessen sind alle Parteien in der Bundesregierung (Grüne insgeheim) froh, dass das Sektorziel im Verkehr von der FDP gekippt wurde.



    Manipulationsmöglichkeiten in der Bilanzierung mit fadenscheinigen Hochrechnungen gibt es nun genug.

    Die schlechte CO2-Bilanz im Klimaschutz im Verkehr wird rechnerisch in eine ferne Zukunft verlagert.



    Die grüne Basis ist also vollkommen auf dem richtigen Weg, weil sie mit der Forderung nach dem Sektorziel im Verkehr das vollkommene Versagen der Autobilindustrie und der Klimaschutzverhinderer von CDU, SPD und FDP im Verkehr kenntlich macht.

  • "Mit dem Aufweichen der Sektorenziele..."



    Die Sektorenziele haben zu so unsinnigem Zeugs wie E-Autos und Wärmepumpen geführt, die mit einem unsinnigen Aufwand die CO2-Emissionen nicht reduzieren, sondern nur in den Stromsektor verschieben. Das Kapital verschlingt, das dann z.B. für den Ausbau erneuerbarer Energien nicht mehr zur Verfügung steht.



    Ich sehe die Aufweichung eher positiv. Vielleicht setzt sich dann die Erkenntnis durch, dass man CO2 dort einsparen sollte, wo man es kann. Noch habe ich die Hoffnung nicht aufgegeben.

  • Deutschland bis 2045 klimaneutral?



    Ich behaupte, das wird nicht kommen. Wenn man sich die Kurve des CO2-Ausstoßes betrachtet, dann müsste es jetzt etwa 45 Grad nach unten gehen. Als Praktiker sage ich -wird leider nichts-.



    Die relativ einfache Reduktion seit 1990 ist geschafft durch den Wegfall des schmutzigen Industrie im Osten, aber jetzt wird’s haarig.

  • Die Cloppenburger Katholen! Hut ab!

  • Wenn die Grünen den klima und Umweltschutz noch ernst nehmen dann gibt es nur die Option die Regierung zu verlassen.

  • Die ganz dicke fette rote Linie liegt in der Beibehaltung vs Abschaffung der Sektor Ziele im KSG.!!

    Das sehen vermutlich sehr viele Menschen so..nicht nur bei den Grünen..

    Und da das Kabinett die Abschaffung nicht einfach beschließen kann, sondern Gestzesänderungen durch den Bundestag müssen, ist zu hoffen, daß sich ab jetzt ein möglichst großer Widerstand dagegen formiert..

  • ich finde diesen antrag auch sehr gut. anscheinend ist die parteispitze nicht mehr in gänze fähig die ziele der partei in der koalition zu vertreten und da ist eine abstimmung mit der basis ein sehr gutes mittel, um sich "zukunftsfähig" auszurichten.

  • Sehr gute Initiative! Endlich!



    Es geht ja nicht nur um die Erreichung der grünen Ziele, es geht um das Klimaschutzgesetz von 2019, welches die Klimaneutralität Deutschlands bis 2045 vorschreibt. Und es geht um die im Grundgesetz verankerte Pflicht zum Schutz der Freiheit auch der zukünftigen Generationen. (siehe Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom Anfang 2021)



    Die aktuell von der Bundesregierung eingeleiteten Massnahmen zur Erfüllung des Klimaschutzgesetzes sind bei weitem nicht ausreichend um Deutschland bis 2045 klimaneutral zu bekommen.



    Meine Meinung: Falls die Grünen es nicht schaffen sollten, auch SPD und FDP wieder in die Bahnen des Grundgesetzes zu bringen, müssen sie eben die Konsequenzen ziehen, und diese Regierung verlassen.

    • @Heinz Kuntze:

      und wo soll das hinführen?



      Nicht theoretisch.



      Was wären die praktischen Konsequenzen?

      • @Friderike Graebert:

        Ganz praktisch haben wir dann anstatt dessen eine Koalition von CDU, FDP und SPD. Auch eine solche Regierung muß sich an der Entscheidung des BVG ausrichten und dann hat dieses Volks keine Grünen als Ausrede mehr ...



        Diese könnten ihre Regierungsunfähigkeit kritisch aufarbeiten und ... wären je nachdem auch wieder wählbar. Jetzt sind sie es - an ihrer Performance gemessen - nicht. Es geht schließlich nicht um "dabei sein ist alles" und wenn die beiden Koalitions"partner" aktiv gegen die Grünen arbeiten, bringt das auch nix. Mittlerweile sind viele Unternehmer grüner, als die aktuelle Regierung es wahrhaben möchte. Es wird Zeit, daß die ganzen reaktionären Realitätsleugner eine echte, wirksame Opposition bekommen.



        Gefahren hat das natürlich auch, kann man nicht leugnen. Aber dieses Wursteln, dieses immer-Wegschauen, wenn doch hingeschaut werden müßte ...



        Ist ja toll, wenn alle Bürger ganz 'demokratisch' Flugzeuge benutzen und dem Leben auf unserem Planeten damit den Garaus machen. Zugunsten des Konsums und gewisser gewissenloser Konzerne werden doch fortwährend die Bemühungen von anständigen Menschen hintertrieben !

    • @Heinz Kuntze:

      Und sollten endlich damit aufhören, ständig aus irgendwelchen Gründen ihr Umfallen vor der FDP zu rechtfertigen versuchen....

    • @Heinz Kuntze:

      " Grundgesetz verankerte Pflicht zum Schutz der Freiheit auch der zukünftigen Generationen."

      Genauso im GG wie die Schuldenbremse