Grünen-Kandidatin Fegebank über die Wahl: „Natürlich ist Druck da“
Katharina Fegebank will Hamburgs Erste Bürgermeisterin werden. Ein Gespräch über Erwartungen, „Plastiksprech“ und den Fehler G20-Gipfel.
taz: Frau Fegebank, was ist wichtiger: die erste Grüne oder die erste Frau an der Spitze der Stadt zu werden?
Katharina Fegebank: Die Kombination macht’s. Die Zeit ist jetzt für eine noch sehr viel stärkere grüne Stimme und für eine Frau als Erste Bürgermeisterin. Es passt gut, dass sich das in einer Person vereint.
Was, wenn die Grünen nicht stärkste Kraft werden? Versuchen Sie es dann mit einer Jamaika-Koalition?
Ich habe eine deutliche Präferenz für Grün-Rot. Aber man darf nichts ausschließen. Man sieht gerade in Thüringen, was passiert, wenn Parteien von vornherein Ausschließeritis betreiben und in eine Verweigerungshaltung treten. Ich sage aber auch, dass ich eine Jamaika-Konstellation für sehr unwahrscheinlich halte.
Müssen die Grünen bei der einzigen Landtagswahl in diesem Jahr siegen, wenn sie die Welle weiter reiten wollen?
Natürlich ist Druck da. Wir liegen in Umfragen zurzeit bei 27 Prozent, das ist mehr als doppelt so viel wie vor fünf Jahren. Das weckt eine Erwartungshaltung aus dem direkten politischen Umfeld und natürlich auch bei den Wähler*innen.
Wäre es eine gefühlte Niederlage, Zweite zu werden?
Nein, aber wir setzen natürlich alles daran, dass wir erste Kraft werden. Robert Habeck hat gesagt: Bayern München wird ständig Deutscher Meister, und es wär’ doch auch schön, wenn mal jemand anders Deutscher Meister wird. Aber wenn das nicht passiert, dann ist das auch nicht so schlimm. Ich fand, das war ein schönes Bild.
Habeck gibt auch persönlich alles, damit es zur Meisterschaft reicht.
Ja, die Parteispitze gibt uns viel Rückenwind, ist präsent im Wahlkampf. Anders als beim Koalitionspartner hat der Bundesvorstand bei uns kein Kiez-Verbot.
Was hat Sie in den vergangenen fünf Jahren am meisten aufgeregt?
Definitiv G20. Das war eine kritische Situation für die Stadt und für die Koalition. Viele Menschen beschreiben das bis heute völlig zurecht als traumatisierendes Erlebnis. Man fragt sich im Nachhinein, an welcher Stelle wir hätten stärker intervenieren können oder müssen. Wir haben zu spät erkannt, dass der Gipfel hier nicht hätte stattfinden dürfen. Das ärgert mich, weil ich sonst eigentlich einen guten Kompass für Stimmungen und Situationen habe.
Besser als Olaf Scholz?
In der Situation auf jeden Fall. Nichts ist so eingetreten, wie er es prognostiziert hat. In unserer Partei gab es dagegen immer wieder Stimmen, die gesagt haben: Passt auf! Aber es gab ab einem Punkt kein Zurück mehr.
Eine Lehre aus G20 war, dass die Grünen Vermummung auf Demonstrationen von der Straftat zur Ordnungswidrigkeit herunterstufen wollten. Warum sind Sie nun zurückgerudert?
Unsere Idee war, Polizisten mehr Spielraum zu geben, um damit die Eskalation friedlicher Demonstrationen zu verhindern. Mein Eindruck war, dass das trotz ausführlicher Erklärung nicht verstanden wurde, sondern ganz große Sorge vor allem bei Bürgerinnen und Bürgern ausgelöst hat.
Zu kompliziert für den Wahlkampf …
Ja, das Thema hat in vielen Runden die für mich relevanten Zukunftsfragen überlagert. Ich will darüber sprechen, wie wir unsere Klimaziele schon vorzeitig, bis 2035, erreichen, wie die Mobilitätswende gelingt, wie wir das Thema „Klare Kante gegen rechts“ noch stärker in der Stadt verankern können.
42, ist Politikwissenschaftlerin und seit 2004 Mitglied und von 2009 bis 2015 Landeschefin der Hamburger Grünen, seit 2015 Hamburgs Wissenschaftssenatorin und Zweite Bürgermeisterin.
Welche Rückmeldungen haben Sie auf Ihr Zurückrudern bekommen?
Von Bürgerinnen und Bürgern sehr positive. Aber innerhalb der Partei sagen natürlich welche: Aber so haben wir das doch verabredet! Ich will mit der Stadtgesellschaft Dinge verändern und nicht gegen sie. Deshalb an dieser Stelle die Aussage, dass unser Fokus erst mal woanders liegt.
Gilt das Parteiprogramm ansonsten?
Unser Parteiprogramm gilt. Auch das Thema Vermummungsverbot steht im Programm und bleibt dort auch.
War das ein Versuch, sich dem bürgerlichen Spektrum zu öffnen?
Wir kommen von 12,3 Prozent und haben den Anspruch geäußert, stärkste Kraft zu werden. Das heißt natürlich auch, anschlussfähig zu werden für die unterschiedlichsten Bevölkerungsgruppen. Wir müssen unterschiedliche Interessen, Erwartungen und Bedürfnisse adressieren.
Alt-Bürgermeister Ole von Beust hat seiner CDU zu einer Jamaika-Koalition geraten, weil er sagt: Die Fegebank sieht nicht alles durch die grüne Brille.
Ich begreife mich als pragmatische Visionärin, habe in den letzten Jahren die Erfahrung gemacht, dass man im Gespräch, auf Augenhöhe und mit möglichst vielen Bündnispartnerinnen und Bündnispartnern die größten Erfolge erzielt. Das zeichnet meinen Politikstil aus. Bester Beleg dafür ist, wie ich den Bereich Wissenschaft von einem wenig beachteten Politikfeld zum Vorzeigeressort aufgebaut habe.
Aber da haben Sie gerade in zwei Studien ganz schlechte Noten bekommen.
Ich habe das als Rückenwind begriffen. Die OECD-Studie spielt uns in die Hände. Ich habe schon 2015 gesagt, dass wir große Anstrengungen unternehmen müssen, wenn wir es ernst meinen mit dem ökonomischen Strukturwandel: neben der stolzen Hafen- und Handelsstadt auch eine Wissensmetropole zu werden. Und die Daten dieser Studie von Herrn von Dohnanyi sind von 2016. Der Exzellenz-Titel, den die Studie einfordert, ist schon da. Wir haben unserer Technischen Universität einen Wachstumsschub verpasst. Wir haben Forschungseinrichtungen neu angesiedelt und mit der Science City in Bahrenfeld den Grundstein für einen durch die Wissenschaft angetriebenen Stadtteil geschaffen. Natürlich würde ich mir noch eine stärkere Verzahnung zur Wirtschaft wünschen.
Die Grünen haben die Kommunalwahl in vier von sieben Hamburger Bezirken gewonnen, tun sich aber schwer, was draus zu machen.
Das ist ihre Sicht auf die Dinge …
Im Bezirk Mitte haben sie die Migranten aus der Fraktion vergrämt. In Eimsbüttel sind sie zweimal damit gescheitert, den von ihnen gewählten Bezirksamtsleiter durch eine grüne Parteifreundin zu ersetzen. Ist das der neue, grüne Politikstil?
Ich spreche gern über die erste grüne Bezirksamtsleiterin überhaupt in Altona, oder über den Bezirk Nord, wo sich eine grün-rote Koalition gebildet hat. Über Mitte und Eimsbüttel habe ich mich sehr geärgert. Aber es ist tatsächlich unser Selbstverständnis, dass wir keine Partei sind, die von oben verordnet, sondern da wachsen Strukturen vor Ort und da werden die Entscheidungen getroffen. Natürlich muss man sich da auch selbstkritisch hinterfragen. Aber das darf uns jetzt nicht von unserem Kurs abbringen. Auf Landesebene haben wir erfolgreich, sehr geräuschlos und respektvoll miteinander regiert. Das ist mein Stil.
Dann klappt es mit der SPD besser als innerhalb der Grünen?
Der Vergleich hinkt. Es ist sehr ärgerlich, dass in Mitte eine Mehrheit gegen den Bürgerwillen gebildet wurde.
25.000 Flüchtlinge haben noch keine Wohnung und die ersten müssen ihre Sozialwohnungen wieder verlassen, um Platz für Einheimische zu machen. Wie wollen Sie damit umgehen?
Erst mal bezeichne ich unsere Integrationsanstrengungen ganz selbstbewusst als Erfolgsgeschichte. Wir haben von Anfang an sichergestellt, dass die Kinder schnell in die Kita oder in die Schule gehen. Wir haben das dank eines herausragenden bürgerschaftlichen Engagements im Zusammenspiel mit Verwaltung und Politik gewuppt. Ich sehe, dass wir in der öffentlichen Unterbringung immer noch Tausende haben, die gar nicht auf den regulären Wohnungsmarkt kommen. Ich sehe aber auch, dass wir durch die Bauinitiative, durch Boden- und mietrechtliche Regularien an vielen Stellen schon für Entlastung gesorgt haben.
Aber es entstehen zu wenige Sozialwohnungen. Muss die Stadt mehr bauen?
Erstens hat die Saga wieder angefangen zu bauen, zweitens haben wir jetzt schon von allen Bundesländern den höchsten Anteil von Sozialwohnungen im Neubau – und wir haben vereinbart, dass wir zukünftig in besonders nachgefragten Stadtvierteln bei Neubauprojekten deutlich mehr öffentlich geförderte Wohnungen bauen wollen.
Zumal mehr Sozialwohnungen aus der Bindung fallen als neu gebaut werden.
Die Bindungen müssen verlängert werden, auf 30 Jahre. Wir wollen an bestimmten Stellen auch von dem verabredeten Drittelmix abweichen, also bis auf einen Anteil von 50 Prozent Sozialwohnungen gehen.
Kommt die City-Maut?
Darüber haben wir sehr kontrovers diskutiert, auch aus Gerechtigkeitsgründen. Wer leistet sich dann noch eine Autofahrt in die Innenstadt und wer nicht? Wir setzen lieber auf eine Ausweitung unserer Radverkehrsstrategie und die weitgehend autofreie Innenstadt.
Auf einem Podium der Handelskammer haben Sie die Pläne der Volksinitiative für eine autofreie Innenstadt aber „irre“ genannt.
Das war eine Gefühlsäußerung in einer leidenschaftlichen Diskussion. Ich habe da für unser Konzept geworben, für das wir viel Zuspruch bekommen haben. Als die Initiative mit ihren Vorschlägen kam, dachte ich: Oh! Das ist zu viel des Guten für den ersten Schritt, da verhebt man sich. Ich war in dem Punkt der Diskussion sehr emotional, das gehört auch zu meiner Persönlichkeit. Oft wird kritisiert, dass Politikerinnen und Politiker auf abgeschliffene Sprache gedrillt sind. Manche nennen das „Plastiksprech“. Weicht man davon mal ab, wird großes Aufhebens drum gemacht.
Wie wollen Sie den Autoverkehr dann eindämmen?
Wir wollen weiter investieren in den Ausbau von Bahnen und Bussen. Wir brauchen eine Taktverdichtung und ein radikal verändertes HVV-Tarifsystem mit reduzierten Preisen in den Altersstufen, in denen der Umstieg aufs Auto Thema wird. Wir wollen Hamburg stärker zur menschengerechten statt zur autogerechten Stadt machen. Das erfordert Prioritäten. Der Straßenraum ist ja nicht mehr geworden. Und gleichzeitig haben wir pro Tag 20 Millionen Personenkilometer mehr als vor zehn Jahren, die zurückgelegt werden. Da müssen konsequent Entscheidungen fallen zugunsten von Radfahren, Zufußgehen und ÖPNV.
Also müssen auch Autospuren wegfallen?
Das schließe ich an der einen oder anderen Stelle nicht aus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste