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Grüne unter DruckKein Grund zur Zerknirschung

Gastkommentar von Ralf Fücks

Der Zeitgeist steht derzeit ungünstig für die Grünen. Doch die Partei bleibt der unverzichtbare Motor der ökologischen Transformation.

Es gibt Grund für selbstkritische Reflexion, nicht aber für grüne Zerknirschung Foto: Yevgeniy Sam/Panthermedia/imago

D ie 40-Jahr-Feier zum Einzug der Grünen in den Bundestag hätte fröhlicher ausfallen können. Sie war getrübt durch sinkende Umfragewerte, das Gezerre um das Gebäudeenergiegesetz und den internen Konflikt um den europäischen Asylkompromiss. Aber das sind nur Oberflächenphänomene. Das aktuelle grüne Tief hat viel damit zu tun, dass die Stimmung im Land wie in Europa am Kippen ist. Grüne Hegemonie in bestimmten Mi­lieus ist weit von politischer Mehrheitsfähigkeit entfernt. Der Zeitgeist bläht nicht mehr das grüne Segel.

In der Klimapolitik wachsen die Widerstände, wenn es ans Eingemachte geht. Forcierte Zeitpläne und ordnungspolitische Unklarheit – wie viel ökologische Marktwirtschaft, wie viel engmaschige Top-down-Regulierung – verschärfen das Problem.

Auch in kulturellen Streitfragen baut sich massiver Widerstand auf. Das Wutbürgertum – beim Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 scheinbar noch Verbündeter der Grünen – richtet sich jetzt voll gegen sie. Grüne Anliegen und Diskurse sind nicht mehr wie selbstverständlich in der Offensive. Vielfach geht es – wie in der Flüchtlingspolitik – eher um die Verteidigung elementarer Standards. Darauf muss sich grüne Politik neu einstellen, sonst gibt es ein unsanftes Erwachen.

Das Ende der Schönwetterpolitik gilt nicht nur für die Grünen. Alle Parteien müssen Antworten auf die Akkumulation von Krisenfaktoren jenseits des Klimawandels finden: Krieg, Teuerung, Steuer- und Abgabenlast, Regulierungsdickicht, Fachkräftelücke, Wohnungsnot. Das „Modell D“ trudelt in eine Krise, die nicht nur den Wohlstand, sondern auch die demokratische Stabilität gefährdet. Vertrauen und Wahlen gewinnt, wer den Mut zum Wandel mit Augenmaß, Fairness und einer neuen Idee von Fortschritt verbindet.

Es gibt Grund für selbstkritische Reflexion, nicht aber für grüne Zerknirschung. Grüne bleiben der unverzichtbare Motor der ökologischen Transformation. Und sie halten die Ampel auf Kurs bei der Unterstützung der Ukraine. Das ist schon viel.

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10 Kommentare

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  • Treffend formuliert: "Vertrauen und Wahlen gewinnt, wer den Mut zum Wandel mit Augenmaß, Fairness und einer neuen Idee von Fortschritt verbindet."



    Den Grünen wirft man zur Zeit vor, es an Augenmaß und Fairness mangeln zu lassen.



    Diejenigen, die ihnen das vorwerfen, präsentieren "weiter wie bisher (nur technologieoffen)" als ihre Idee vom Fortschritt und haben gar keinen Mut, sondern schüren die Angst vorm Wandel, weil sie selbst die Hosen voll haben.

  • "Forcierte Zeitpläne und ordnungspolitische Unklarheit – wie viel ökologische Marktwirtschaft, wie viel engmaschige Top-down-Regulierung – verschärfen das Problem."



    Das klingt so, als wenn das eine objektive Klippe wäre, die es zu umschiffen gilt. In Wahrheit bietet die ökologische Marktwirtschaft - wenn man sie denn so nennen will - einfache Lösungen, die auch funktionieren. Pech ist nur, dass die Grünen mit der Marktwirtschaft schon immer gefremdelt haben und deswegen von einer systemkritischen zu einer etatistischen Partei verkommen sind. Top-down-Ansätze werden nicht funktionieren, aber jeder vernünftige Mensch weiß das eigentlich vorher.

  • Das würde ich auch sagen, wenn ich Grüner wäre.

  • "Der Zeitgeist bläht nicht mehr das grüne Segel."



    Der Zeitgeist war (?) bzw. ist das Problem? Und die "Wutbürger:innen", die sich gegen S21, Autobahnprojekte, Gewerbe- und Industrieansiedlungen in Natur- und Wasserschutzgebieten, LNG-Terminals im Wattenmeer wenden, gegen die Privatisierung staatlicher Infrastrukturen, gegen die wachsende Vermögensungleichheit und Wohnungsnot protestieren und vor wachsenden sozialen Spannungen und global zunehmenden Ressourcenkonflikten (Rette sich, wer kann!) warnen? Und natürlich die "Klimakleber:Innen", die sowas von in den 80er Jahren hängen geblieben sind, dass Opas und Omis darüber nur lächeln können, wenn sie an ihre Abenteuer an der Startbahn West, in Brockdorf oder Blockaden von Castor-Behältern denken und sich heute über deren Naivität echauffieren, dass sie auf die Einhaltung Gesetzen pochen. Unverschämterweise, schließlich regieren die Grünen jetzt mit.



    Die 40-Jahr-Feier war nicht so fröhlich wie erhofft? Ging die Party nicht so richtig los, weil man mit neuen Adjektiven vor Wachstum (intelligentem, nachhaltigem, grünem, klimafreundlichem) nur den Staus quo einer technologiegläubigen/-offenen/-besoffenen und auf Wachstum konditionierten Gesellschaft gefestigt hat? Veränderung ja, aber nicht bei mir!?



    Vor 40 Jahren haben Grüne die Ursachen der Natur- und Umweltzerstörung und die Profiteure benannt. Heute wird mit semantischen "Globuli" herumdoktert, statt die Ursache der Klimakatastrophe und des Artensterbens zu benennen, um potenzielle Investoren für "grünes" Wachstum nicht zu verschrecken.



    Herrscht noch Einvernehmen darüber, dass die Klimakatastrophe eine Folge der Industrialisierung ist und der Mythos vom unendlichen Wachstum nur der zerstörerischen Kapitalakkumulation (380 Billionen Dollar warten mittlerweile auf Renditen) dient? Offenbar schon lange nicht mehr!

    Ende des Wachstums? Von wegen. Das Beste kommt noch: Ein Zeitalter der grünen Industrie



    von Ralf Fücks



    www.zeit.de/2013/1...m-Gruene-Industrie

    • @Drabiniok Dieter:

      Danke, ymmd ein sehr treffender Kommentar

  • „Vertrauen und Wahlen gewinnt, wer den Mut zum Wandel mit Augenmaß, Fairness und einer neuen Idee von Fortschritt verbindet.“ – Ach ja???

    Merkwürdig, dass nicht nur in der jüngsten Vergangenheit so manches Augenmaß, manche gute Idee auf der Strecke blieb, die nicht nur das Portemonaie vieler Bürger erfreut hätte: vergleichsweise höchste Stromkosten, Plattwalzen erneuerbarer Energien unter Merkel, marode Schulpolitik mit Aussicht auf bald zigtausend fehlende Lehrer*innen, minusträchtige Gesundheitspolitik mit schon bald weniger Krankenhäusern, zigtausenden fehlenden Pflegekräften auch im Seniorensektor und gesetzliche Kassenleistungen, die durch sogenannte IGEL-Leistungen ersetzt werden, womit ehedem schon gut verdienende Ärzte noch zusätzliche Penunzen eintreiben (wollen) etc. Die Aufzählung ist erst der Anfang, von Vertrauen mal ganz zu schweigen.



    Man denke hier an all die Jahrzehnte füllenden Wahlversprechen, letztere lösten sich zu Hauf auf merkwürdige Weise nach einer Wahl ganz schnell in Luft auf; Millionen, ja Milliarden, die deutsche Politiker an Steuergeldern „im Nirvana versenkten“ (nicht nur Spahn, Scheuer etc. auf Bundesebene), in hirnlose Kleinstkreisverkehre und unnachahmliche Schilderwälder oder kuriose „Straßenbemalungen“ wanderten usw..

    Bleibt am Ende nur noch ein Wörtchen à la Volker Pispers, in den Kernaussagen an bleibender Aktualität kaum mehr zu überbieten:

    youtu.be/chK2KHGx_yo

  • Der Motor der ökologischen Transformation? Den scheint aber fast niemand zu wollen und zu suchen. Also aufs falsche Pferd gesetzt. Zurück zum Start!

    • @Gerdi Franke:

      Dumm nur, das funktioniert auch nicht ;-)

  • Sehr guter Kommentar. Dankeschön. Nur Mut! Und die ökologische Transformation muß gleichzeitig eine soziale Transformation sein, oder sie findet gar nicht erst statt.

    Arme Menschen kaufen sich keine Solarzellen. Und schon gar keine Wärmepumpe. Und Krieg ist extrem schlecht für die Natur, Tiere und Menschen. Das sollten sich alle Grünen immer vor Augen halten, so wichtig die Unterstüzung der Ukraine auch ist.

    • @Goldi:

      Für die soziale Transformation scheinen die Grünen nicht besser geeignet als die anderen Parteien. Sich in die Lage derer zu versetzen, die prekär leben müssen, ist nicht ihr Ding. Schließlich sind die meisten von ihnen Akademiker, die wiederum aus akademischen Haushalten stammen. Also majoritär zu den Besserverdienern gehören.