Grüne koalieren mit ÖVP: Ein lang gehegter Traum
Linkes Profil, politischer Pragmatismus und ein starker Parteichef: Dieser Dreiklang bringt die Grünen in Österreich in die Regierung.
Mit Details hielten sie sich noch zurück, doch wurde bestätigt, was in den letzten Wochen aus den hermetischen Räumen des Winterpalais des Prinzen Eugen so durchgesickert war: Die Grünen dürfen mit einem großen Klimapaket ihre Duftmarken setzen und das Land mit einer Transparenzoffensive von der Fessel der Amtsverschwiegenheit befreien. „Mehr gläserner Staat als gläserner Staatsbürger“, sagte Werner Kogler.
Andererseits will die konservative ÖVP ihre mit der FPÖ verfolgte Politik in Asyl- und Zuwanderungsfragen fortsetzen. Dafür sei sie schließlich gewählt worden, erklärte Kurz in einem kurzen Statement, in dem er die konstruktive Atmosphäre der Verhandlungen und die Ernsthaftigkeit seiner künftigen Regierungspartner lobte.
Die gegenseitigen Versicherungen der Wertschätzung erinnerten an den Antritt der Rechtsregierung ÖVP-FPÖ vor etwas mehr als zwei Jahren. Doch machte man kein Geheimnis daraus, dass die Einigung weit schwieriger und das Finden von Kompromissen schmerzhafter war als einst zwischen den Rechtsparteien, die über die Ängste aus der selbst geschürten Flüchtlingskrise zusammengefunden hatten.
Zurück aus dem Tal der Tränen
Für Österreichs Grüne, die vor 33 Jahren erstmals ins Parlament einzogen und inzwischen in den meisten Bundesländern in unterschiedlichen Konstellationen mitregieren oder mitregiert haben, bedeutet der Einzug in die Bundesregierung die Erfüllung eines lange gehegten Traums. Und das, nachdem sie bei den Wahlen von 2017 aus dem Nationalrat geflogen waren.
Ernüchterung folgte auf die Kür von Alexander Van der Bellen, der wenige Monate vorher als erster grüner Bundespräsidenten in die Hofburg eingezogen war. Eine Serie unglücklicher Entscheidungen und die Abspaltung des Veteranen Peter Pilz, der mit einer eigenen Liste den Sprung ins Parlament schaffte, hatten die Öko-Partei ins Tal der Tränen geführt. Klimawandel war damals kein Thema. Wahlen gewann man mit Abwehr von Ausländern und islamfeindlichen Parolen.
Österreichs Grüne positionieren sich inhaltlich weiter links als die Brüder und Schwestern in Deutschland, haben aber in besonders konservativen Bundesländern wie Tirol und Salzburg ihre Kompromissfähigkeit unter Beweis gestellt. Pragmatismus geht vor Ideologie. In der öffentlichen Wahrnehmung kamen sie als besserwisserische Verbotspartei rüber, der das Binnen-I wichtiger war als Energiesicherheit und Arbeitsplätze.
Zentraler Player einer umweltbewussten Gesellschaft
Werner Kogler, der die Konkursmasse 2017 übernahm, ist es zu danken, dass heute 40 Prozent der Befragten eine grüne Regierungsbeteiligung begrüßen. Gemeinsam mit der von Fridays for Future ausgelösten Klimadiskussion hatte seine energische Hand die Partei zum zentralen Player in einer zunehmend umweltbewussten Gesellschaft gemacht.
Kein grüner Parteichef und keine Chefin hatte so viel Autorität wie der studierte Umweltökonom aus der Steiermark, der monatelang mit abgesprungenen Grün-Wählern den Dialog pflegte und sich geduldig die immer gleichen Kritiken anhörte. Das Ergebnis war ein Rekordresultat von fast 14 Prozent der gültigen Stimmen und der Wiedereinzug mit neuem Team und neuer Stärke.
Ob die Zusammenarbeit mit einer so zutiefst konservativen Partei wie der ÖVP auf Dauer funktionieren kann, bleibt abzuwarten. Immerhin hat Sebastian Kurz 200.000 Stimmen von FPÖ-Wählern zu verteidigen, die ihn als Garanten für rechte Ausländerpolitik sehen. Noch am Wahltag, dem 29. September, hatte sich nur ein Fünftel der ÖVP-Anhängerschaft eine Paarung mit den Grünen gewünscht, und gerade ein Drittel der grünen Basis konnte sich ein Bündnis mit der ÖVP vorstellen, obwohl diese der einzig mögliche Partner für eine Regierungsbeteiligung war.
Liebgewonnene Vorurteile
Während die Grünen in den urbanen Bezirken Wiens und größeren Städten wie Graz oder Innsbruck florieren, haben die Christlichsozialen ihre Hochburgen in den Kleinstädten und Dörfern, wo liebgewonnene Vorurteile gegen „grüne Chaoten“ noch gern gepflegt werden.
Unter den Rentnern hat die ÖVP eine absolute Mehrheit. Dürfte nur die Generation unter 30 mit höherer Bildung wählen, könnten die Grünen eine Alleinregierung aufstellen. Die inhaltliche Schnittmenge der künftigen Regierungspartner wurde zu Beginn der Verhandlungen mit 20 Prozent berechnet. Kaum eine solide Grundlage für ein harmonisches Zusammenwirken über eine fünfjährige Regierungsperiode.
Dazu kommt die gegensätzliche politische Kultur. Bei der ÖVP hat sich Sebastian Kurz vor seiner Wahl zum Parteichef vor fast drei Jahren volles Durchgriffsrecht zusichern lassen. Er kann nicht nur Kabinettsmitglieder nach Gutdünken berufen, sondern auch die Kandidatenlisten für den Nationalrat frei bestimmen. Wenn er das Regierungsübereinkommen den Gremien vorlegt, hat das Formalcharakter.
Die Grünen ihrerseits müssen den mehr als 270-köpfigen Bundeskongress überzeugen, der am Samstag in Salzburg zusammentritt. Schon jetzt werden Stimmen laut, es sei eine Zumutung, über ein Dokument von kolportiert 300 Seiten zu befinden, das keine zwei Tage vorher erst bekannt wird. Zwar gilt die Zustimmung als sicher, doch wäre, so der im Fernsehen omnipräsente Politologe Peter Filzmaier, jedes Ergebnis unter 70 Prozent eine Belastung für Werner Kogler.
Es ist bekannt, dass sich in Berlin viele diese Regierung in Österreich gewünscht haben. Ob die deutschen Grünen und Unionsparteien aber Appetit auf ein ähnliches Experiment bekommen, wird davon abhängen, wie konstruktiv und harmonisch die ungleiche Paarung in Wien funktioniert.
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