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Großdemo in Berlin gegen Regime in Iran„Weg, weg, weg, Mullah muss weg“

Fast 100.000 Menschen zeigten in Berlin ihre Solidarität mit der iranischen Protestbewegung. Viele Teilnehmende reisten aus dem Ausland an.

Siegesgeste in Berlin: Großdemonstration zur Unterstützung der Protestbewegung im Iran Foto: Markus Schreiber/ap

Berlin taz | Wut, Trauer und vor allem die Hoffnung auf Freiheit – kurz vor Beginn der Demonstration scheinen diese Emotionen fast mit den Händen greifbar. Längst sind die Straßen um die Siegessäule in Berlin so dicht gefüllt, dass ein Durchkommen kaum noch möglich ist. So viele Menschen, vor allem Mitglieder iranischer Exil-Communities, sind dem Aufruf des „Woman* Life Freedom Kollektiv“ gefolgt, sich mit der Protestbewegung im Iran solidarisch zu zeigen. Die von der Polizei angegebene Zahl von 80.000 Teil­neh­me­r:in­nen wirkt tatsächlich deutlich untertrieben. In den sozialen Medien war aus dem Umfeld der Veranstalter von 100.000 Teilnehmern und mehr die Rede.

„Ich hoffe, dass die Welt jetzt das wahre Gesicht der iranischen Regierung erkennt“, sagt Sahar, die 2015 nach Deutschland kam. Wie die meisten der De­mons­tran­t:in­nen hier möchte sie ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen, aus Angst, das Regime könnte ihre Verwandten im Iran bedrohen. Dass so viele Menschen aus der Community geeint zusammenkommen, sei für sie ein sehr emotionaler Moment, berichtet die Anfang-20-Jährige mit zitternder Stimme.

Enttäuscht ist Sahar bisher von der Reaktion der westlichen Staaten auf die Proteste im Iran. „Es muss deutlich mehr Konsequenzen gegen die Regierung geben“, fordert sie, „die Politiker sind bisher nur auf ihre Profite bedacht“. Neben einem sofortigen Ende der Verhandlungen über das Atomabkommen fordert sie auch eine Ausweisung aller iranischen Botschafter.

Feuerwerk gibt den Startschuss

Viele, die an diesem Samstag nach Berlin gekommen sind, haben einen persönlichen Bezug zu den Ereignissen im Iran. Die Brutalität, mit der die iranische Regierung gegen die Protestierenden vorgeht, ist eine reale Gefahr für die Verwandten und Freunde, die im Heimatland für ihre Freiheit kämpfen. „Mein Bruder wurde vorgestern getötet“, berichtet Teilnehmerin Sara erstaunlich gefasst. Er sei erst 25 Jahre alt gewesen und habe vor kurzem sein Ingenieurs-Studium beendet, als er von den Sicherheitskräften bei einer Demo erschossen wurde, erzählt Sara. Die 34-Jährige musste selbst vor über drei Jahren aus ihrer Heimat fliehen, weil sie zum Christentum konvertiert ist. Grund genug für ein Todesurteil in dem Gottesstaat.

Pünktlich um 15 Uhr gibt ein Feuerwerk den Startschuss. Der Zug setzt sich nur schleppend in Bewegung, so viele Menschen sind es. Fast ununterbrochen skandieren die Teil­neh­me­r:in­nen „Azadi“, persisch für Freiheit, „Nieder mit der Diktatur“ oder „Weg, weg, weg, Mullah muss weg“. Viele schwenken die alte Nationalflagge mit dem Löwenemblems der gestürzten Königsdynastie, die nach der islamischen Revolution 1979 abgeschafft wurde. Andere halten Portraits von Jina Amini in die Höhe, deren Ermordung durch die Moralpolizei Ende September die landesweite Protestwelle im Iran erst ausgelöst hat.

Auch die kurdische Community ist anhand zahlreicher Flaggen deutlich erkennbar vertreten. Tausende, nicht nur iranische Kur­d:in­nen seien heute hier, sagt Ali Toprak, Vorsitzender der kurdischen Gemeinde Deutschland, auf der Demo. „Der Widerstand ist in den kurdischen Gebieten am stärksten, aber auch die Repression gegen die Kurden ist am heftigsten“, erklärt er. „Jina Amini wurde verhaftet, weil sie Kurdin war“.

Europaweiter Aufruf – und Anreisen auch aus Kanada

Ein Grund dafür, das die Teil­neh­me­r:in­nen­zahl die angemeldeten 50.000 noch deutlich übertroffen hat, ist, dass europaweit für die Demonstration in Berlin mobilisiert wurde. „Für uns, die außerhalb des Irans leben, ist es eine Verantwortung, heute hier zu sein“, sagt Navid, der eigentlich anders heißt, der taz. Der 21-Jährige arbeitet in einer Tech-Firma in den Niederlanden. 10 Stunden sei er nur für diesen Anlass mit dem Bus angereist. Navid berichtet, wie innerhalb der Community Geld gesammelt wurde, um Busse zu chartern und Tickets zu finanzieren.

Aufgerufen hatte auch der kanadisch-iranische Aktivist Hamed Esmaeilion, der aus Kanada angereist ist. Unter Exil-Iraner:innen sind Esmaeilion und seine Gruppe „Iranians for Justice and Human Rights“ weltweit bekannt.

Als die Spitze der Demonstration nach ihrer Runde um den Tiergarten auf der Straße des 17. Juni zurück zur Siegessäule zieht, sind am Ende noch nicht einmal alle Anwesenden gestartet. Auf der Abschlusskundgebung fordert Esmaeilion in einer der wenigen englischen Reden an diesem Abend. „Welt, schaut auf die Revolution im Iran. Es ist die progressivste Revolution im nahen Osten!“

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13 Kommentare

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  • Welche Ziele verfolgen die Kurden? Werden die Grenzen des Irans garantiert? Oder wäre eine Revolution nur Mittel zum Zweck einer Abtrennung?

  • Vorab: Ich finde es bemerkenswert, wie es die iranische Opposition im Exil geschafft hat, zehntausende ihrer Landsleute aus ganz Europa für diese eindrucksvolle Großkundgebung in Berlin zu mobilisieren. Hut ab. Gleichzeitig ist festzustellen, dass es im Iran selbst offenbar an politischen Führungspersönlichkeiten und Organisationen fehlt, die den Sturz des Mullah-Regimes vorantreiben könnten und darüber hinaus in der Lage wären, für eine stabile politische Neuordnung des Landes zu sorgen.



    Weiter frage ich mich, ob die Organisationen der Exil-Iraner - die in Europa ja erstaunlich mobilisierungsfähig sind - diesen Part erfüllen könnten und ob dies auch auf Akzeptanz der Masse der Bevölkerung im Iran treffen würde. Möglicherweise hat hier in den letzten 43 Jahren doch ein Entfremdungsprozess eingesetzt, so dass die Interessen und Forderungen der iranischen Diaspora nicht unbedingt deckungsgleich mit denen der Bevölkerung im Iran selbst sind.



    Dass Exil-Kubaner plötzlich die Regierungsgeschäfte in Havanna übernehmen könnten, ist übrigens eine mehr als illusorische Vorstellung, trotz des innenpolitischen Problemdrucks und der Unzufriedenheit der Kubaner mit dem jetzigen Post-Castro-Regime. In Venezuela verhielt es sich ähnlich mit dem Versuch, von außen (USA) einen Regimewechsel durchzusetzen … auch das hat nicht funktioniert trotz massiver Unzufriedenheit und Proteste gegen das autokratische Maduro-Regime. Aber vielleicht vergleiche ich hier nur Äpfel mit Birnen.



    Jedenfalls würde ich mir mehr Reflexion und Analyse hinsichtlich der Bedingungen, Chancen und Risiken von (revolutionären) Umbrüchen von Gesellschaften wünschen, die gemeinhin als Schurkenstaaten bezeichnet werden (wozu der Iran wohl eindeutig gehört) … das wäre eine Grundforderung an westliche, “wertebasierte” Außenpolitik, die ich momentan nicht zu erkennen vermag. Mehr als moralisierendes Gekeife und Baerbocksche “Ich-schlag-dir-in-die-Fresse”-Diplomatie kann ich da nicht sehen. Ob DAS den Iranern hilft?

    • @Abdurchdiemitte:

      Ich darf Ihnen versichern, dass es im Iran sehr wohl ausreichend sehr gut qualifizierte und wohlmotivierte Persönlichkeiten gibt, die in der Lage sind, rasch eine gute, friedliche und vernünftige weiterführende Nachfolge des abgewirtschafteten Mullah-Regimes anzutreten.

      Was glauben Sie, was mit diesen passieren würde, wenn sie öffentlich auftreten und sich politisch positionieren würden? Richtig geraten!



      Die Schergen des jetzigen Regimes würden sich wie die Geier auf sie stürzen, siehe Syrien, Russland etc. Andersrum als jetzt verlangt, halte auch ich es für vernünftiger, erst den Verlauf dieser Revolution abzuwarten und dann geordnet zu handeln, als übereifrig zu früh hochqualifizierte Persönlichkeiten zu opfern, wie dies wohin Sie auch schauen, allenthalben in antidemokratischen Regimes geschieht. Ein Großteil der Iraner ist sehr gut gebildet und hat klug aus den Fehlern vieler schon im Vorfeld gescheiterter Revolutionen gelernt. Strategisch denken und handeln und den richtigen Zeitpunkt abwarten - das halte ich für eine gute Devise.

      Schach ist nicht umsonst weltberühmtes Strategiespiel...

      • @noevil:

        Ich hege auch keinen Zweifel daran, dass es der iranischen Bevölkerung gelingen wird, ihren Staat und ihre Gesellschaft nach demokratischen Prinzipien zu gestalten … nur halte ich es für besser, die Iraner würden das ohne „Hilfe“ von aussen schaffen.



        Ich habe nämlich Sorge, dass es die westliche Außen- und Geopolitik wieder einmal vermasseln wird, wie schon während des sogenannten Arabischen Frühlings, der den betroffenen Staaten lediglich politisch instabile Verhältnisse oder die Rückkehr der alten Despoten bzw. die Etablierung neuer Autokraten beschert hat.



        Zugegeben, es ist aus westlicher Perspektive nicht einfach, den Kipppunkt zu erkennen, wann es nicht mehr möglich ist, eine evolutionäre Entwicklung zu mehr Demokratie mit diplomatischen Initiativen zu unterstützen und das Richtige zu unternehmen, wenn erst eine revolutionäre Situation entstanden ist, die ja auch Risiken in sich birgt. Sicher ist wohl nur, dass das Regime in Teheran weder willens noch in der Lage ist, diesen demokratischen Wandel selbst herbeizuführen.



        Jetzt mit Kanonenboot-Politik bzw. dem Versuch, von außen aktiv einen Sturz des Regimes betreiben zu wollen (Regime Change) kann jedenfalls mehr Schaden anrichten als dass es dem iranischen Volk nutzt.



        Und man sollte dabei auch nicht auf auf einen Sturz Putins in Russland hoffen bzw. darauf, ihn mit einer Niederlage in der Ukraine in die Schranken zu weisen … indem anschließend alle von ihm unterstützten Schurkenstaaten fallen, ähnlich dem Domino-Effekt. Das kann in Westasien zumindest zu einer politischen Destabilisierung der gesamten Region führen und daran kann auch niemand ein Interesse haben.

  • Ist das „Woman Life Freedom Collective“ damit gemeint? Unter dem hier genannten Namen finde ich überhaupt keine Gruppe.

  • Ich verlasse mich da ganz auf die USA- Bisher haben die immer den richtigen Kandidaten inthronisiert. Freilich nur, nachdem man "Wahlen" abhalten liess- ach ne- die Revolutuoinsgarden haben sich einfach so inthronieisrt.... nur woher ksmmern siue und deren Waffen?

    • @Alfa Condè:

      Ich empfinde Ihren Kommentar angesichts der Zustände im Iran als nur ziemlich geschmacklos…Hauptsache gegen die USA austeilen, hm? Weil die ja immer den richtigen Kandidaten inthronisieren…hat ja nur leider 1979 mal nicht geklappt…

      • @Saile:

        Eigentlich sollten das Iraner selbst schaffen, ohne Einmischung von außen … das Potential dazu hat die iranische Gesellschaft durchaus. Meine Meinung.



        Regime Change hat immer so ein Geschmäckle und geht den meisten Fällen ja auch gründlich in die Hose.

        • @Abdurchdiemitte:

          Regime Change „von außen“ finde ich natürlich auch bedenklich…allerdings leben viele Exil-Iraner in den USA, haben teilweise auch die US-Staatsbürgerschaft, was meines Erachtens weiter kein Problem ist, vom jetzigen Regime in Teheran aber wahrscheinlich propagandistisch ausgeschlachtet werden kann.

  • Ich war enttäuscht, dass so wenig unserer Biodeutschen dabei waren, ebensowenig wie anscheinend prominente Politiker dieser unserer wertebasierten, feministischen Außenpolitik.

    • @Georg Uehlein:

      Ich war mit einer (deutschen) Kollegin und deren Tochter da, wir waren alle sehr beeindruckt, obwohl wir kein Farsi sprechen und vieles nicht verstanden haben. Ja, es hätten mehr Deutsche dabei sein sollen, aber es war auch hauptsächlich ein Zeichen der iranischen Exilanten. An deutschen Gruppierungen habe ich nur eine Juso-Fahne wahrgenommen. Ukrainer und Israelis waren fahnentechnisch präsenter.

    • @Georg Uehlein:

      Ich habe sehr viele"Bio-Deutsche" wahrgenommen.

    • @Georg Uehlein:

      Was haben Sie denn erwartet? Unterstützung von Ampelpolitikern - insbesondere Grünen -, die gerade Kotau vor Potentaten in Saudi-Arabien und Katar machen? Wer glaubt, es ginge hier um Demokratie und Menschenrechte im Iran, der glaubt auch an den Klapperstorch. Ich persönlich war am Samstag mehr enttäuscht darüber, wie wenig “Biodeutsche” an den Sozialprotesten der Gewerkschaften, Sozialverbände und Umweltorganisation teilgenommen haben. Hier hätten Sie neben dem Protest gegen die soziale Ungleichheit in diesem Land übrigens ein deutliches Zeichen gegen Rechts und Entsolidarisierung in unserer Gesellschaft setzen können.