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Großbritanniens innovative AußenpolitikWas Liz Truss richtig gemacht hat

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Im Schatten der britischen Regierungskrise gehen wichtige Schritte von Truss und Johnson unter. Dazu gehören die Ukraine- und ihre Europa-Politik.

Liz Truss trifft den ukrainischen Premier Minister Denys Shmyhal Ende September in New York Foto: Stefan Rousseau/ap

B ei der Aufregung um den Sturz der britischen Premierministerin, gespickt mit viel Häme, veschwinden wichtige Entwicklungen aus dem Blickfeld. Liz Truss hat ebenso wie Boris Johnson vor ihr die Grundlagen einer neuen britischen Außenpolitik geschaffen, die alte Brexit-Klischees überwindet und eine neue europäische Zusammenarbeit begründen kann.

Erstens: Die Ukraine. Großbritannien war und ist in Europa führend bei der politischen und militärischen Unterstützung der Ukraine gegen die russische Aggression. Statt abstrakter Dauerdebatten über das Für und Wider von Waffenlieferungen und Verhandlungen arbeitet man in London an konkreten Herausforderungen. Johnson schmiedete Verteidigungsbündnisse mit den Nicht-Nato-Staaten Nordeuropas, während der Nato-Beitritt Schwedens und Finnlands nach wie vor wegen des türkischen und ungarischen Widerstands auf Eis liegt.

Truss erwog als Außenministerin einen Marineeinsatz zum Schutz ukrainischer Getreideexporte. Es sind kontroverse Themen, aber es geht um die richtigen Fragen. Zweiter Punkt: Nordirland. Dass das Nordirland-Protokoll des Brexit-Vertrages einer Revision bedarf, bezweifelt niemand ernsthaft; strittig zwischen Brüssel und London ist lediglich das Wie. Truss hat ebenso wie Johnson vor ihr durch Härte Bewegung erzwungen.

Ihre Drohung mit einem Gesetz, das das Protokoll einseitig außer Kraft setzt, hat konstruktive Gespräche zwischen London und Brüssel außerhalb der öffentlichen Aufmerksamkeit möglich gemacht. Ob sie rechtzeitig zum Erfolg führen, ist fraglich – seit den Wahlen im April ist Nordirland ohne Autonomieregierung, weil die protestantischen Unionisten die Institutionen wegen des Nordirland-Protokolls boykottieren, und wenn sich das bis 28. Oktober nicht ändert, muss London Neuwahlen ansetzen.

Aber der Wille ist offenkundig und darf nicht erlöschen. Drittens und langfristig am spannendsten: Die „Europäische Politische Gemeinschaft“, eine Idee Emmanuel Macrons zur Kooperation zwischen der EU und den anderen Staaten Europas, die jüngst bei einem Gipfel in Prag aus der Taufe gehoben wurde. Truss war nicht nur dabei, sie bot sogar an, den nächsten Gipfel auszurichten.

Sie erkannte, wie bedeutsam es ist, wenn die EU endlich versteht, dass Europa größer ist als die Europäische Union und dass ein paneuropäischer Rahmen für konstruktive Zusammenarbeit vonnöten ist. Vielleicht gelingt all dies nur, weil die britische Öffentlichkeit davon kaum Notiz nimmt und lieber das Tory-Psychodrama auskostet. Aber gerade deswegen ist es wichtig, diese Grundlagen einer gemeinsamen europäischen Zukunft zu stärken. Egal wer gerade in 10 Downing Street wohnt.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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9 Kommentare

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  • Zu Großbritannien ist die taz meines Erachtens die beste Informationsquelle, weil Johnson immer wieder andere Perspektiven ins Spiel bringt als die deutsche "Tagesschau"-Sicht, wonach die EU alles richtig und GB alles falsch macht.

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    "Liz Truss hat ebenso wie Boris Johnson vor ihr die Grundlagen einer neuen britischen Außenpolitik geschaffen ..."



    ==



    Boris Johnson hat 2019 das Irland - Protokoll unterschrieben - als Grundlage für das



    Handels - und Kooperations-



    abkommen, welches Präferenzregelungen in Bereichen wie Handel mit Waren & Dienstleistungen, Beschaffungswesen, Luftfahrt & Straßenverkehr, Energie, Fischerei, Koordinierung der sozialen Sicherheit, Strafverfolgung und justizielle Zusammenarbeit etc. regelt.

    Das Irland Protokoll verhindert, das Clorhühnchen und ähnliche suspekte Güter und Nahrungsmittel über die nordirische Grenze in die Republik Irland geschmggelt werden können - deswegen die Zollgrenze in der irischen See.

    Das NIP war die Bedingung das es überhaupt zu einer Handelsvereinbarung zwischen EU & UK kommen konnte.

    Wenn neue Außenpolitik Großbritanniens bedeutet rechtskräftig unterzeichnete internationale Verträge nicht mehr einzuhalten - dann "Gute Nacht" UK - dann wäre der Putin - Standard in der Einhaltung unterzeichnter Verträge erreicht.

    Abgesehen vom britischen Rechtsbruch - das neue Brexit - Handelsabkommen aus 2020 bietet UK ca. 80 % weniger Möglichkeiten als die EU Mitgliedschaft - welche UK derzeit mit einer drastischen Minderung des britischen BIPS sehr teuer bezahlt.

    Die Androhung von Johnsons & Truss, das NIP außer Kraft zu setzen hat zur Folge, das sich selbst die USA weigert, mit UK einen Handelsvertrag abzuschliessen.

    Klartext:



    Die "neue" Außenpolitik UK`s nach Theresa May kann getrost als eine wilde Abfolge von Pleiten, Pech & Pannen bezeichnet werden.

    Und die Wirtschaftspolitik von Lizz Truss hat ihren Kopf gekostet - weil sie wie eine Panzer Abwehrrakete treffsicher das Vertrauen in die britische Wirtschaft zerschossen hat - siehe Brexiteers verückte Politik - die Truss umsetzen wollte, aber dann zurück gerudert ist.

    Was hat denn UK verbrochen ihr weiterhin Versager, Rohrkreprierer



    und schamlose Lügner in die Regierung zu wünschen?

  • Vielen Dank für diesen sehr erhellenden Artikel!

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    For Truss-ia with love: www.youtube.com/watch?v=fVZqSRifAUI

    • @95820 (Profil gelöscht):

      👍👍👍 very nice

  • ja ,der teufel ist auch für den kritischen willen, das macht ihn aber nicht wirklich wählbar!



    Wie hier Truz und Johnson diese Aktionen zugeschrieben werden, las gebe es keine anderen beamten in der regierung und vor allem in den ämtern, und dann auch noch unter idealen prämissen, das es ja nur um eine bessere außenpolitik gehe, find ich schon zimlich naiv und auch verantwortungslos in der einfachen darstellung hier.

    nur weil die nicht-truz und nicht-jpohnson dies nicht gemacht haben, heißt das nicht, das nur Truz oder Johnson dazu bereit waren oder dies unter absolut positiven vorzeichen getan haben.



    Im gegenteil muss man doch sogar sagen, das sie erst hüh und dann hott machen. wie so oft bei den konservativen.



    Erst mal alles verschlimmbessern und dann merken, oh, war doch falsch und wieder zurück rudern.

    und das keine paneuropäsiche außenpolitik stattfindet, liegt bestimmt nicht an den progressiven!!! sondern an den freunden von truz und johnson!!!

  • Rechtsbruch ist jetzt also "Härte". Das Politikverständnis der Brexiteers ist geprägt von einem Kindergartenverständnis von Souveränität: Ich darf immer machen, was ich will, unabhängig von Verträgen/Abreden, die ich als ebenso souveränes Rechtssubjekt eingegangen bin. Es ist im Übrigen auch ein Politik- und Souveränitätsverstandnis, das vollkommen unvereinbar ist, mit der Idee von Global Britain usw. Japan, Lateinamerika und die USA warten bestimmt schon auf so einen Partner.

  • Herr Johnson, sie als erfahrener Journalist mit sicherlich deutlich mehr Einsicht in die internationale Politik als ich es je haben werde, finden es gut, dass die britische Regierung versucht, sich aus einem von ihr unterzeichneten Vertag zur Nordirland-Frage unter Androhung eines nationalen Alleingangs und Bruch internationalen Rechts herauszuwinden? Eine Alleingang, der den nordischen Konflikt wieder aufflammen lassen könnte? Weil die politische Vertretung der protestantischen Seite das Wahlergebnis nicht passt? Zum anderen, es gibt einen Rahmen der europäischen Zusammenarbeit, dass ist die EU, man muss nicht das Rad neu erfinden, weil man die eigene Bevölkerung mit fragwürdigen Mitteln gegen die EU hat abstimmen lassen.

  • Das Entscheidene hat sie halt falsch gemacht.