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Großbritannien nach dem BrexitNeuwahl am 8. Juni

Die britische Premierministerin Theresa May kündigt die Auflösung des Parlaments an. Die Neuwahl soll in knapp zwei Monaten stattfinden.

Die Premierministerin während ihres Statements am Dienstag Foto: dpa

Berlin taz | Am 8. Juni soll es Neuwahlen in Großbritannien geben. Das kündigte Premierminister Theresa May am späten Dienstagvormittag völlig überraschend in einer außerordentlichen Erklärung vor ihrem Amtssitz in 10 Downing Street an.

May begründete ihren Schritt mit der Entscheidung Großbritanniens, die Europäische Union zu verlassen – am 29. März hatte sie den entsprechenden Antrag in Brüssel eingereicht. „In diesem Moment von großer nationaler Bedeutung“, sagte sie, müsse es „Einheit“ in der Politik geben. Dies sei derzeit nicht der Fall. „Lasst uns unsere Brexit-Pläne vorlegen und unsere Regierungspläne, und dann lasst das Volk entscheiden“, rief May.

May ist seit Juli 2016 im Amt, als Nachfolgerin von David Cameron, der nach dem Brexit-Votum der Briten am 23. Juni 2016 seinen Rücktritt erklärt hatte. Bei den letzten Parlamentswahlen im Jahr 2015 hatte Cameron für die Konservativen eine knappe absolute Mehrheit geholt.

May, die unter Cameron Innenministerin gewesen war, ist seit ihrem Amtsantritt als Premierministerin immer wieder dafür kritisiert worden, dass sie sich nicht als erstes Neuwahlen stellte. Sie hatte bisher darauf bestanden, dass die fünfjährige Legislaturperiode von 2015 bis 2020 ihren Lauf nehmen müsse.

Konservative stehen in Umfragen gut da

Dass sie das jetzt anders sieht, hat mehrere Gründe. Einen nannte sie in ihrer Erklärung: Nach dem aktuellen Stand würde der Abschluss der Brexit-Verhandlungen mit der EU bereits in den Wahlkampf für 2020 fallen, was „schädliche Unsicherheit und Instabilität“ hervorrufen würde.

Mit einem eigenen expliziten Mandat der Wählerschaft für ihren Brexit-Kurs würde sie gestärkt in die Brexit-Verhandlungen gehen und den Regierungen der beiden wichtigsten EU-Mitglieder Frankreichs und Deutschlands auf Augenhöhe entgegentreten können: Frankreich wählt ab dem kommenden Wochenende einen neuen Präsidenten und dann im Juni ein neues Parlament, Deutschland im September einen neuen Bundestag.

Dazu kommt, dass die Konservativen seit Langem nicht mehr so gut in den britischen Meinungsumfragen dastanden wie derzeit. Seit Monaten sehen alle Umfragen sie bei über 40 Prozent, die Labour-Opposition hingegen nie über 30. Die zwei letzten Umfragen geben den Tories 44 bis 46 Prozent, Labour bei 23 bis 25 Prozent, gefolgt von den Liberaldemokraten mit 11 bis 12 Prozent und der rechtspopulistischen UKIP mit 9 bis 10 Prozent.

Selbst wenn sich die großen Parteien im Wahlkampf noch annähern, womit zu rechnen ist, erwarten die meisten Beobachter eine deutlich ausgebaute Mehrheit für die Konservativen im nächsten Parlament.

Unsicherer Wahlfahrplan

Die ebenfalls oppositionellen Liberaldemokraten waren die erste Partei, die Mays Ankündigung begrüßten. Diese Wahl sei eine Chance, für ein „offenes, tolerantes und vereinigtes“ Großbritannien zu stimmen, erklärte Parteichef Tim Farron. Die Liberalen positionieren sich derzeit als Großbritanniens einzige Anti-Brexit-Opposition und erzielen bei Nachwahlen auf kommunaler Ebene immer wieder gute Ergebnisse.

Ein nicht ganz unwichtiges Detail am Rande ist, dass Theresa May selbst gar keine Neuwahlen ausrufen kann, da seit der Ära Cameron die Dauer der Legislaturperiode festgelegt ist. Das Unterhaus muss entweder per Zweidrittelmehrheit die Selbstauflösung beschließen – oder per Misstrauensvotum die Regierungschefin stürzen, woraufhin Neuwahlen fällig werden, falls niemand anderes eine Regierung bilden kann. Beide diese Wege stecken voller Risiken. Es ist nicht völlig ausgeschlossen, dass Mays Wahlfahrplan noch ins Wanken gerät.

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7 Kommentare

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  • Eigentlich zeigen die Entscheidung nur wie schwach May ist, und dass ihr sonnenklar ist dass ihr Brexit-Weg in die Sackgasse fuehrt. Deshalb will sie nun durch einen Wahlsieg an Staerke gewinnen und gleichzeitig die Verantwortung fuehr die kommenden Brexit-Probleme aufs Wahlvolk abwaelzen.

  • Angesichts der Qualität der Umfragen in Großbritannien und der Berechenbarkeit der Wähler sind Neuwahlen jetzt sicher mal wieder eine prima Idee.

  • 8G
    81331 (Profil gelöscht)

    ...einen, wie Martin Schulz?

    Also einen Menschen, der viel redet und nichts sagt?

  • 6G
    60440 (Profil gelöscht)

    Was einen beunruhigen muss ist die geballte Inkompetenz der politischen Spitzenpolitiker auf der Insel. Das Referendum über den Brexit war schon ein Desaster mit uanabsehbaren schlimmen Folgen. Die Premierminsiterin schloss Neuwahlen aus, wandelte sich von einer Befürworterin zur erklärten Gegenerin der EU, hat offenbar überhaupt keinen Plan, geriert sich als Chauvinistin und wird den Weg ins Desaster konsequent fortführen. Der Außenminister ist ein Lügner, Windei und Quatschkopf. Das einzig lustige ist, dass er den Kopf mit hinhalten muss für all den Quark, den er ohne Not anrührte. Und die Opposition ? Corbyn ist stolz drauf seit mehr als 40 Jahren gegen die EU zu sein. Unbelehrbar und dumm. Von UKIP braucht man gar nicht zu reden.

    Man kann nur hoffen, dass die LibDems stark werden.

  • Wenn Labour sich einen Martin Schulz organisieren könnte, hätte die Opposition eine Chance gegen die extrem konservative May. Verglichen mit dieser Karrieristin, die in den Armenvierteln britischer Städte Polizeiwagen mit Slogans gegen illegale Einwanderer herumfahren ließ, die erst pro-Remain, dann hardline Ukip-Politik machte, fuhr sogar Mrs Thatcher eine pro-europäische Außenpolitik.

    Das Problem mit Labour ist jedoch, dass diese Partei wie die Titanic organisiert ist und in ihrer Geschichte noch keinen Eisberg ausgelassen hat. Auf so einen dicken Dampfer werden die Wähler nur steigen, wenn das Wendemanöver gelingt. Denn Labour hat viele neue Mitglieder gewonnen, aber gleichzeitig in der öffentlichen Meinung verloren (die stark von finanziellen Interessen manipuliert wird). Looks pretty hopeless, but who knows?

  • Noch so eine Wortbrüchige. Erst hiess es, wahlen erst nach dem Brexit. Jetzt werden die Chancen wohl gut eingeschätzt, also schnell wählen lassen. Warum nicht gleich über ein Präsidialsystem abstimmen? Dann hätte man noch weniger Diskussionen und die Starke Führung kann durchregieren.

    • @fly:

      Im UK haben wir noch was ganz anderes, was sich schlecht mit einem Präsidialsystem verträgt, nämlich eine Queen.

      Ich habe noch nie gehört, dass in einer Monarchie auch ein Präsidialsystem möglich wäre.