Grönemeyer-Stück „Pferd frisst Hut“: Heile Welt für Frauenfeinde
Der Musiker Herbert Grönemeyer und der Regisseur Herbert Fritsch reproduzieren in ihrem Theaterstück Rape-Culture, die nur schwer zu ertragen ist.
![Owen Peter Read und Paulina Plucinski bei der Fotoprobe der Oper Pferd frisst Hut unter der Regie von Herbert Fritsch in der Komischen Oper Berlin im Schillertheater. Owen Peter Read und Paulina Plucinski bei der Fotoprobe der Oper Pferd frisst Hut unter der Regie von Herbert Fritsch in der Komischen Oper Berlin im Schillertheater.](https://taz.de/picture/7521732/14/imago800321356-1.jpeg)
E igentlich begann alles sehr vielversprechend. Ein Spaziergang über den Ku’damm am sonnigen Sonntagnachmittag endete mit einer Einladung in die Komische Oper. Drei ältere, der Mundart nach schwäbische, Frauen waren extra zur Premiere des Stücks „Pferd frisst Hut“ nach Berlin gereist, um sich die Premiere am Samstag und dann noch mal die zweite Vorstellung am Sonntagabend anzuschauen.
Stolze 88,65 Euro verlangt der „doppelte Herbert“ – Regisseur Herbert Fritsch und Komponist Herbert Grönemeyer – für das Remake des Klassikers „Ein Florentinerhut“ von Eugène Labiche aus dem Jahr 1851. Weil die drei Frauen aber doch nicht mehr konnten – oder vielleicht auch nicht mehr wollten –, gaben sie ihre Tickets für einen Bruchteil des ursprünglichen Preises her.
Die Vorstellung war ausverkauft. Als Klamauk angekündigt, lieferte sie genau das: kurzweilige Unterhaltung. Unzählige Schauspieler*innen sprangen, stolperten, sangen in bunten Gewändern vor bunter Kulisse und amüsierten mit Anspielungen auf Grönemeyer-Songs das Publikum. Doch dem blieb das Lachen bald im Halse stecken.
Denn die inszenierte heile Welt wurde jäh unterbrochen durch eine Szene, die es im 21. Jahrhundert, nach all den #Metoo-Debatten und spätestens nach dem Fall Pelicot eigentlich nicht mehr geben dürfte: Eine Frau liegt bewusstlos auf der Bühne, ihr Vater „verschenkt“ sie – selbstverständlich ohne ihre Einwilligung – an ihren Cousin, der minutenlang frohlockt, dass sie endlich „seine“ sei: „Ich will an ihren Busen/ weg mit Röcken und Blusen/ Nicht mehr warten/ Ich hab schon einen Harten!“
Reaktionäres Frauenbild
Wer jetzt eine Pointe erwartet: Es gibt keine. Die Frau kommt im Stück nicht weiter groß zu Wort, außer am Schluss, als sie sich Hochzeitsgeschenke unter den Nagel reißen will und mit einer Konkurrentin um einen Mann kämpft. Was für ein Frauenbild: willenlos, habgierig, eifersüchtig, so sind sie, die Weiber.
Dass Vergewaltigungswitze ganz und gar nicht witzig sind, war auch im Publikum zu spüren. Zu lachen war niemandem zumute, und nach der Pause blieben viele Sitze leer – bei den Eintrittspreisen eine eindeutige Ansage.
Nun muss man bei einem Stück aus dem 19. Jahrhundert keine super progressiven Inhalte erwarten. Das heißt aber nicht, dass die beiden alten weißen Herberts in der heutigen Zeit einfach Rape-Culture verbreiten und uns das als Komödie verkaufen können. Wie kann es sein, dass gesellschaftliche Debatten und der dadurch gewonnene Konsens und Fortschritt derart wirkungslos im Theaterbetrieb verhallen? Dass Hunderte Menschen dieses Stück vorab sehen und den Machern nicht entgegenbrüllen: Die Misshandlung von Frauen ist nicht witzig! Auch hier: leider keine Pointe.
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