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Grenzen der WissenschaftUrknall und Gott-Komplex

Die Spezies Mensch ist in Gefahr, nicht der Planet. Die Erde und mit ihr resistentere Arten als wir brauchen die ökologische Transformation nicht.

Sollte unser zerstörerisches Wirken fortdauern, werden manche Lebewesen sogar profitieren, z.B. die Ameise Foto: Ephotocorp/imago

D as Jahr begann mit einer wuchtigen Nachricht. Trotz einer phänomenalen Messpräzision konnte auch das jüngste Experiment am Cern in Genf nicht erklären, wieso es uns gibt. Wie der Physiker Stefan Ulmer erklärt: „Die Frage ‚warum existieren wir?‘ kann die moderne Physik noch nicht beantworten.“ Materie und Antimaterie hätten sich beim Urknall gegenseitig auslöschen müssen. Haben sie aber nicht getan. Offensichtlich. Oder scheinbar? Wer kann sich da schon sicher sein.

Weiterhin trifft zu, was ein führender Astrophysiker mir vor einigen Jahren erklärte: „Wir wissen alles, nur nicht, was in den ersten sechs Sekunden geschehen ist.“ Weswegen jemand wie James Peebles, der 2019 den Nobelpreis für Physik gewonnen hat, der schlüssigen Ansicht sein kann, dass die Urknalltheorie einen Knall hat (pardon, das war zu verlockend): „Der Begriff suggeriert die Vorstellung eines Ereignisses und einer Positionsbestimmung, und beides ist völlig falsch.

Es ist sehr bedauerlich, dass wir von einem Anfang aus denken, obwohl wir in Wirklichkeit keine gute Theorie für so etwas wie den Anfang haben.“ Das finde ich tröstlich. Es könnte uns Menschen ein Gefühl der Demut für unsere untergeordnete und gefährdete Stellung im Universum geben. Und es ist durchaus beruhigend, dass die allergrößten Geheimnisse weiterhin nicht gelöst sind.

Ebenso tröstlich ist es, kosmologische Gedanken anzustellen in Zeiten, in denen die Frage von Sein und Nichtsein anhand des Maskentragens diskutiert wird. Wie wir in den letzten zwei Jahren erlebt haben, tut sich eine Gesellschaft, die ein Grundrecht auf Sicherheit einfordert, schwer mit der widersprüchlichen Dynamik wissenschaftlicher Erkenntnis. Es ist tatsächlich nicht ganz einfach.

Bild: Christian Charisius/dpa
Ilija Trojanow

ist Schriftsteller, Welten- sammler und Autor zahlreicher Bücher. Im August 2020 erschien sein neuer Roman „Doppelte Spur“ bei S. Fischer.

Wissen ist eine Momentaufnahme – die Physiker am Cern haben sogleich erklärt, bei noch genauerer Messung könnte sich das Erkenntnisbild ändern. Wissen ist vorläufig und kann daher von einer temporalen Vogelperspektive aus mangelhaft erscheinen, weswegen die Schlaueren unter den Gläubigen die Offenbarung Gottes nicht an den aktuellen Erkenntnissen der Physik festmachen, denn die ändern sich, das Alte Testament oder der Koran hingegen bleiben gleich.

Wer also seine Meinung ändert, ist nicht der Korruption verdächtig, sondern des Nachdenkens. Und dass einzelne Wissenschaftlerinnen anderer Meinung sind, ist nicht der ultimative Beweis, dass diese Leute als Einzige die Wahrheit verteidigen. Denn merkwürdigerweise aktualisieren auch diese ihren Wissensstand. Wenn es aber keinen Anfang gegeben haben soll, kann es logischerweise auch kein Ende geben, was uns in unserer momentanen apokalyptischen Laune etwas verunsichern sollte.

Der zuletzt so erfolgreiche Netflix-Film „Don’t Look Up“ zeigt auf, wie wir gegenwärtig Zukunft framen (neudeutsch für „der Rahmen ist wichtiger als das Bild“). Die Handlung: Ein Weltuntergang droht, aber wir sind aus Dummheit und Gier nicht in der Lage, etwas dagegen zu unternehmen. Da diese simple Annahme locker in einer halben Stunde illustriert werden kann, dümpelt der Film in der Folge dahin, auf bekalmten satirischen Gewässern, und endet – Achtung, Spoiler! – mit einer spießigen Verheißung: Piep, piep, piep, wir haben uns beim letzten Abendmahl besonders lieb.

Wir brauchen eine ökologische Transformation

Am Ende gibt es den Planeten nicht mehr. Diese Vision ist nicht nur reine Hybris, sondern auch eine Diskriminierung von Insekten und Mikroben. Wer bevorzugt an Pandas und Eisbären denkt (das Disney-Dogma) übersieht, dass die schlimmsten Entwicklungen, die wir uns vorstellen können – in beliebiger Reihenfolge: tote Meere, Atomkrieg, Klimakatastrophe, Zerstörung der Regenwälder – für Arten mit vielen Gehirnzellen ungemütliche Folgen zeitigen, keineswegs aber zum Absterben aller Äste des gewaltigen Stammbaums des Lebens führen werden.

Mikroben etwa sind sehr resistent, sie können nahezu ewig überleben und dabei erstaunlich lange Ruhephasen einlegen. Vor Kurzem sammelte ein Forscherteam in Japan aus den Tiefen des Meeres Bakterien, die schätzungsweise über hundert Millionen Jahre alt waren. Etwas Sauerstoff und Nahrung erweckte sie zum regen Leben. Schon nach einigen Wochen begannen Bakterien, die zuletzt in der Frühzeit der Säugetiere aktiv waren, sich wieder zu teilen. „Winter is coming“ entlockt einer anständigen Mikrobe nur ein müdes Lächeln.

Wenn also führende Biologinnen dazu aufrufen, die Hälfte der Landmasse auf Erden als unberührte Ökosysteme zu erhalten, argumentieren sie mit der Notwendigkeit biologischer Vielfalt für unsere Zukunft. Insofern ist das Wort „Naturschutz“ ungenau. Wir müssen uns schützen, unser Überleben. Dafür brauchen wir eine ökologische Transformation. Nicht aber, um den Planeten Erde zu retten.

Im Gegenteil: Sollte unser zerstörerisches Wirken fortdauern, werden manche Lebewesen sogar profitieren, darunter persönliche Lieblinge wie Kakerlaken, Würmer oder Ameisen. Ein Teil der biologischen Vielfalt bevorzugt Bedingungen, die extremer sind als das behagliche Mittelmeerklima. Es ist sogar denkbar, dass Mikroben schon den Mond oder den Mars kolonialisieren. Die Erde ist nicht bedroht. Egal, was wir tun, sie wird nicht so bald zugrunde gehen.

Angeblich sowieso erst in einigen hundert Millionen Jahren, aber das behaupten ja jene, die uns den Anfang nicht erklären können, insofern bin ich da etwas skeptisch. Unsere apokalyptischen Fantasien sind nur Ausdruck eines Minderwertigkeitskomplexes gegenüber der unermesslichen Größe des Lebens. Wir haben inzwischen – oft konstatiert und gelegentlich diagnostiziert – einen Gott-Komplex.

Dabei sind wir kosmisch betrachtet nicht so wichtig, und aus Sicht der Bakterien und Viren eh nur ein Wirt unter vielen. Austauschbar. Auch das ist tröstlich.

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12 Kommentare

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  • Einige Spezies werden überleben. Toll! Auch die vielen, die ausgerottet werden in einer Geschwindigkeit, die es noch nie gab, haben ein Recht auf Leben, sogar die Niedlichen.

  • Die Entwicklung von Sternen der Hauptreihe wie der Sonne ist im Gegensatz zum Anfang des Urknalls sehr gut beschrieben und verstanden, also auch vorhersehbar.

    Daher Widerspruch zu "Angeblich sowieso erst in einigen hundert Millionen Jahren, aber das behaupten ja jene, die uns den Anfang nicht erklären können, insofern bin ich da etwas skeptisch."

  • 0G
    03998 (Profil gelöscht)

    Ein anderer Blickwinkel - gefällt mir!

  • Die Hauptsache ist, der Mensch erreicht nicht noch andere Planeten, auf denen sich Leben entwickelt hat oder entwickeln kann. Schon gar nicht, sollten Menschen wie Musk und Bezzos diese Biospheren erreichen.

    Ansonsten eine beruhigende Kolumne von Herrn Trojanow. Das Leben geht weiter.

  • Das alte Testament und der Koran bleiben nicht wirklich gleich, aber zugegeben, sie verändern sich nur sehr langsam. Die Veränderung sieht man an den vielen verschiedenen Bibeln und der ständig im Wandel befindlichen Interpretationen von Koran und Bibe. Denn wenn die Semantik der Worte sich ändert, ändert sich auch das Buch.

    Und davon mal ab, selbst wenn ein Buch sich nicht änderte, der Wahrheitsgehalt des Buches wäre nicht automatisch so hoch, dass eine Vertrauenswürdigkeit unterstellt werden könnte. Und in diesem bestimmten Fall, also bei Bibel und Koran, ist der Wahrheitsgehalt insgesamt kaum grösser als 10% und der Wahrheitsgehalt des Wesenskerns geht sogar gegen null. Somit ist quasi alles besser als diese Horrormärchen, welche sich vor langer langer Zeit Menschen ausdachten, um sich Dinge zu "erklären", die sie nicht verstanden , um sich u.a. Vorteile zu verschaffen, die ihnen nicht zustanden.

    Btw, eine "widersprüchliche Dynamik wissenschaftlicher Erkenntnis" gibt es nicht wirklich. Die Dynamik ist Teil des Funktionskerns. Daher unterliegen die Propositionen und Erkenntnisse bei echter Wissenschaft einem nicht-endenden Falsifizierungsgeschehen. Die Dynamik ist stringent und notwendig. Sie verhindert, dass Wissenschaft eine dogmatische Struktur annimmt. Wissenschaft beschreibt, sie verordnet nicht, und ist immer offen für Verbesserungen. Daher ist sie im Gegensatz zu religiösen Horrormärchenbüchern auch vertrauenswürdig.

    Der Idee, dass Menschen nicht im Stande sein sollten, auf Ewig das Leben auf unserem Planeten auszulöschen, kann ich mich nicht anschliessen. Spekulationen über Mikroben auf dem Mars sind ziemlich dünnes Eis, auf das ich mich sicherlich nicht begeben werde.

    Wir brauchen definitiv einen massiven Wandel im Umgang mit der Natur. Ich möchte diese Biotope auch haben und hoffe darauf, dass dadurch der Verlust der Artenvielfalt und der Verlust des lebensnotwendigen Klimas ausreichend eingeschränkt bzw. verhindert wird.

  • Was ist denn so schlimme an einem Weltuntergang? die Welt wird nicht untergehen, vielleicht tausende von lebewesne incl. Mensch. das ist aber unwichtig. Wenn ein paar Samenkörner irgendwo oder Einzeller überleben fängt es wieder von vorne an. Und in ein paar Milliarden Jahren ist wieder alles bunt. Wir nehmen uns viel zu wichtig.

    • @maestroblanco:

      ..... aber überhaupt nicht, nehmen wir uns viel zu wichtig, denn ---- ALLES existiert für jeden Einzelnen nur in seinem Gehirn, Alles! Schaltet er sich aus, dann ist das ganze große Universum verschwunden! Es ist also ganz wichtig, sich wichtig zu nehmen und sein Gehirnchen am Leben zu halten, denn nur so gibt es auch ein Universum - für ihn!!! Manfred Weiß

  • Oh je, viele Behauptungen, wenig Wissen.



    Kakerlaken brauchen den Mensch, unter Würmern sind viele solche die auf Vertebrata angewiesen sind und auch Ameisen brauchen ein intaktes Ökosystem, diese ernähren sich nicht Von CO2 zumal eine hohe CO2 konzentration für den passiven Gasaustausch von Arthropoda nicht gerade förderlich ist.

    Auf derzeitigem Kurs bleibt zwar ein planet übrig, Aber ein lebloser Stein. Wieso können so viele Menschen die Dimension Geschwindigkeit nicht in Relation mit Klimawandel bringen. Wenn Der Paläontologische Record ein Indiziz ist, können Wir uns keinesfalls darauf verlassen, das wir das Leben auf dem Planeten nicht mit uns nehmen. Wir haben multiple ELEs die uns deutlich zeigen Wie prekär die Biosphäre ist. Denn meisten ist nur Kreide Tertiär bewusst, Aber auch die Perm Trias grenze zeigt deutlich welches Glück wir hatten und Wie positive Rückkopplungen ganze Biosphären auslöschen können. Das ganze führen wir gerade I'm 6 Gang durch. Die Hoffnung, dass dieses Experiment zumindest für das Leben auf dem Planeten gut geht ist jenseits des Selbstbetrugs. Die Schwesterplaneten werden dann endlich Zwillinge.

    • @Beskar:

      Ja.

  • Big Bang? Ah geh!

    Der Erfinder dieser Theorie mit nem Knall!



    Befand nämlich - als er zu seinem Erstaunen - deren Reüssieren konstatierte!



    “Die is so wahrscheinlich - wie daß ein 🌪 über Arizona tobt!



    Und hinterher steht ne 747 da!“



    & Däh Gläubitschte =>



    Auch weiß ja niemand - Wo so genau Gott stand!



    Als er Erde & Weltall 🪐 schuf!



    Alles war öd & leer nur der erste Dichter - Nebel schwebte über den Wassern!



    Liggers. Nur der 98-Prothesen-Luther hat irgendwas von Weidenruten gemurmelt!



    Schonn. But! Weswegen Robert Gernhardt völlig recht hat:



    “ Themenkonferenz in der Titanic . Jemand sagt:



    »Wir sollten vielleicht auch mal was zum Lutherjahr machen.«



    »Luther«, schnarrt Robert baltisch brüsk. »Außer Thesen nichts gewesen.«“

    kurz - So geschätzter Ilja Trojanov - will ich schnöde Enden.



    & Entre nous - Soll es mal haben sein - öh Bewenden •

  • Natürlich ist zuletzt auch unser Bewusstsein "nur" eine Folge der phantastischen Eigenschaften der Materie. Es ist eine Momentaufnahme in der seit 2 bis 3 Milliarden Jahren andauernden biologischen Evolution. Das noch jungfräuliche Bewusstsein ist seiner Natur nach(noch) gar nicht in der Lage, über den nächsten Winter hinaus zu denken. Das Gehirn wurde bekanntlich auch nicht zum Denken entwickelt, sondern um bessere Überlebenschancen zu schaffen!



    Unsere Wirklichkeit wird von unseren Stimmungen "aufgespannt" und spielt uns fortlaufend Streiche, die u.a. auch für menschliche Abgründe sorgen. Bis wir in der Lage sind, uns Menschen von den Tieren weiter abzuheben, irgendwann der realen Objektivität näher zu kommen, kann es sicherlich weitere Millionen Jahre dauern, wenn überhaupt...



    Leider sind wir bis dahin eben auch unseren "niederen Instinkten" ausgesetzt. Die Frage ist nun, ob wir das auch überleben?



    Eine Antwort bietet wieder die Evolution:



    Wer sich nicht rechtzeitig an veränderte Lebensbedingungen anpasst, verschwindet!



    Egal, ob selbst verursacht oder nicht!

  • Ein schöner Artikel. Aus der Tatsache, dass die modernen Propheten die ersten 6 Sekunden nicht kennen, folgt vielleicht, dass sie letzten 6 Sekunden (des Universums) auch nicht kennen. Das hat aber nix mit dem Ende der Erde zu, das findet weit vor dem Ende des Universums statt, das ist sicher. Die Sonne explodiert in vier oder sechs Milliarden Jahren, und das wars für die Erde. Bis dahin ist es in unserer Hand, ob nur Mikroben, Kakerlaken, oder Säugetiere überleben, das stimmt. Es geht nicht um die Rettung der Erde, deren Schicksal ist klar.