Goldbergs Holocaust-Äußerung: Ebony and Ivory
US-Schauspielerin Whoopi Goldberg deklarierte den Holocaust als ein nichtrassistisches Ereignis. Diese Haltung ist symptomatisch für eine Entwicklung.
I n ihrer besten Rolle spielt Whoopi Goldberg in dem Film „Ghost“ eine Geisterbeschwörerin. Das ist ein Beruf, für den es Einfühlungsvermögen und gewisse Kenntnisse der jüngsten Vergangenheit braucht. Beide Tugenden ließ die Schauspielerin neulich schmerzlich vermissen, als sie den Holocaust als ein nichtrassistisches Ereignis deklarierte, da es sich um Mord unter weißen Menschen gehandelt habe („This is white people doing it to white people“).
Das wäre nur ein weiterer Beleg von Dummheit in einem Metier, in dem gemeinhin Texte nachgesprochen werden, die andere geschrieben haben, wäre diese Haltung nicht symptomatisch für eine Entwicklung, die den wahren Kampf gegen Rassismus schwächt, in Zeiten, in denen eine Verwirrung der Begriffe und eine Banalisierung der Diskurse überhandnehmen.
Entweder man geht davon aus, dass es essenzielle Unterschiede zwischen Ethnien gibt, oder aber, dass grundsätzliche Differenzen stets konstruiert sind – im Dienst bestimmter politischer Ziele. Erstere Auffassung ist durch die Genetik widerlegt, was viele Idioten nicht daran hindert, weiterhin daran zu glauben. Zweitere scheint in Vergessenheit zu geraten. Momentan haben einfache Welterklärungen Konjunktur, die mit dem Muster „Rassismus = Weißsein“ historische Wahrheiten auf den Punkt zu bringen meinen.
Das ergibt jedoch nur Sinn, wenn es essenzielle Unterschiede zwischen „weiß“ und „schwarz“ gibt. Sollten sie konstruiert sein, sind sie logischerweise die Folge und nicht die Erklärung eines grundlegenderen Übels. Insofern dienen Rundumschläge à la „die Weißen sind stets die Unterdrücker“ kaum der Erkenntnis, was nicht zuletzt Antisemitismus und Shoah beweisen: Viele der Ermordeten hierzulande waren deutscher als ihre Mörder, kulturell gewandter, sprachlich kompetenter und anhand des Aussehens von den vermeintlichen Ariern nicht zu unterscheiden.
Es braucht für rassistische Ausgrenzung keine offensichtliche Differenz, ja nicht einmal eine tatsächlich existierende. Behauptung und Einbildung genügen. Der Wahn nährt sich selbst. Im Krieg in Ex-Jugoslawien haben „Weiße“ aus brutalem Rassismus heraus andere „Weiße“ umgebracht, darunter viele Menschen, die aus „gemischten“ Ehen stammten und selbst gar nicht wussten, zu welcher Gruppe sie sich zugehörig fühlen sollten.
Und wer – wie der Autor dieser Zeilen – aus dem Balkan stammt, der kennt Kolonialismus (fünf Jahrhunderte lang) als Unterdrückung durch Machthaber aus dem Osten, die dunkelhäutiger waren als die Einheimischen. Rassistische Kategorien waren und sind Instrumente von Herrschaft, strukturell in dem Sinn, dass sie den jeweiligen Macht- und Kapitalinteressen dienen. „Weißsein“ wurde zu Beginn des Kolonialismus erfunden, um die Unterdrückung anderer Völker als zivilisatorische Mission auszugeben.
Rassismus wurde zu einer pseudowissenschaftlichen Theorie (etwa 1850 in dem Buch „The Races of Men“ von Robert Knox), um die imperiale Ausbeutung der eroberten Gebiete ideologisch abzusichern. „Stammesidentitäten“ wurden bürokratisch festgeschrieben, um die Kolonialisierten untereinander zu spalten. Viele der „Stammesnamen“ bedeuten nichts anderes als „Mensch“ in der jeweiligen Sprache.
Doch Genozide schaffen eigene Bruchlinien: Im unabhängigen Simbabwe etwa verübte die Regierung Mugabe einen Massenmord an den Ndebele im Süden des Landes mithilfe einer von Nordkoreanern ausgebildeten Brigade. Wir sollten die Schrecken von Herrschaft und Terror nicht durch simple Erklärungen banalisieren.
Weder weiß noch warm
Auch die These von essenziellen Opfergruppen hilft kaum weiter. Ist Tidjane Thiam, jahrelang Vorsitzender der Geschäftsleitung der Credit Suisse, Nachfahre einer ivorischen Herrscherin und Verwandter des Diktators Houphouët-Boigny, wirklich ein Opfer „weißer Herrschaft“, profitieren die Bulgarinnen und Rumäninnen hingegen, die unter menschenunwürdigen Bedingungen in der deutschen Fleischindustrie schuften, tatsächlich von der „weißen Herrschaft“?
Und wie lässt sich der Genozid, den die chinesische Diktatur an den Uigurinnen verübt, unter diesem Schema subsumieren? Wie schön, dass MarsGlobal seine M&Ms „inklusiver“ gestaltet, während das Unternehmen zugleich die Winterspiele 2022 sponsert. Die Verwirrung zeigt sich auch an dem Begriff „PoC“ (Person of Colour). Als jemand, der in Südafrika gelebt hat, stolpere ich über diese Bezeichnung, weil „coloured“ ein hässliches Wort aus der Nomenklatur der Apartheid ist.
Ich akzeptiere es, in einer intelligenten und sinnvollen Definition, die auf Erfahrungen von Diskriminierung und Ausgrenzung beruht und nicht auf Aussehen. Denn ein blonder Flüchtling aus Aleppo kann mehr PoC sein als eine Diplomatentochter aus Nigeria. Wohlhabende Freunde aus Kenia steigen etwa zu Besuch in Europa absichtlich in den teuersten Hotels ab, weil sie dort gemäß ihrer Kreditkarte behandelt werden, nicht ihres Äußeren.
James Baldwin betont in seinen scharfsichtigen Essays immer wieder „die Lüge des Weißseins“, die uns alle daran hindere, Rassismus zu bekämpfen: „Amerika wurde weiß – die Menschen, die, wie sie behaupten, das Land besiedelten, wurden weiß […]. Männer – zum Beispiel aus Norwegen, wo sie ‚Norweger‘ waren – wurden weiß, indem sie das Vieh abschlachteten, die Brunnen vergifteten, die Häuser abfackelten und die amerikanischen Ureinwohner massakrierten, schwarze Frauen vergewaltigten.“
Erst durch sein Handeln wird der Einzelne somit Teil einer Tradition von Gewalt und Raub, die sich selbst historisch als „weiß“ rubriziert hat. Davor ist er weder weiß noch warm, weder kalt noch schwarz, sondern nur Mensch. Anstelle des Mumpitzes von der universellen „weißen Herrschaft“ sollten wir, wiederum mit den Worten von Baldwin, „etwas noch nie Dagewesenes tun – uns selbst erschaffen, ohne es für nötig zu halten, einen Feind zu erschaffen.“
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Wahlverhalten junger Menschen
Misstrauensvotum gegen die Alten
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator
Berlinale-Rückblick
Verleugnung der Gegenwart
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?