Glaubwürdigkeit linker Politik: Sozialarbeiter:innen gesucht
Elke Kahr, Spitzenkandidatin der Kommunistischen Partei in Graz, spendet 4.000 Euro ihres Gehalts. Kritiker:innen werfen ihr Sozialarbeit vor.
W ährend in Deutschland wieder eine Woche mit banalen, eigentlich katastrophalen, doch bereits angewöhnten und deshalb nicht weiter störenden Meldungen zu Ende geht, sucht eine linke Partei nach der reinen Lehre.
Eine Studie zeigt, dass arme Menschen früher pflegebedürftig werden. Ein Viertel der Haushalte in Mietwohnungen hierzulande gilt als armutsgefährdet, lautet eine andere Meldung. Die bekannteste Linkspolitikern Sahra Wagenknecht sagt im Neuen Deutschland: „Wenn Funktionsträger nur noch in ihrer Blase kommunizieren, verlieren wir den Kontakt zu Mittel- und Geringverdienern, die sich eben mehr darum sorgen, ob am Monatsende noch Geld auf dem Konto ist, als darum, wie das Klima in 100 Jahren aussieht.“
Abgesehen von der wenig geistreichen, einander ausschließenden Gegenüberstellung von sozialer Gerechtigkeit und Klimaschutz, mit der Wagenknecht wie mit anderen kruden Thesen verzweifelt im Meer regressiver Impulse fischt, kann man feststellen: die Frau hat recht.
Genoss:innen in der Blase
Sie hat recht, weil die Linkspartei nach der verheerenden Wahlniederlage einfach weitermacht wie bisher: Die Fraktionsspitze bleibt die gleiche. In einem Strategiepapier fordert sie eine Rückbesinnung auf die soziale Frage. Auch Wagenknecht verweist gerne auf die einfachen Leute. Diese Verweise aber holen sie und ihre Genoss:innen nicht aus ihrer Blase raus. Denn was ist dieses Auftreten anderes als ein Leben in der Blase? Über Migration und Antirassismus steht im Strategiepapier übrigens nichts. Die verantwortlichen Linken-Politiker:innen vermögen es wie sonst kaum jemand, diese Themen von der sozialen Frage abzuspalten – und sind damit komplett realitätsfern. Wer braucht so eine Partei noch?
Wie es anders geht, das kann man in Österreich beobachten. Da gibt es nicht nur Korruptionsaffären, sondern dort wurde – zeitgleich mit der linken Wahlniederlage in Deutschland – die Kommunistische Partei Österreichs im steirischen Graz mit knappen 29 Prozent stärkste Kraft. In einem lesenswerten Beitrag in der Wochenzeitung Freitag fragt sich Karsten Krampitz, was hier den Unterschied gemacht hat. Seine Antwort: das Politikverständnis.
Denn der Erfolg der KPÖ und ihrer Spitzenkandidatin Elke Kahr wird vielfach auch damit in Verbindung gebracht, dass Kahr und ihre Parteikolleg:innen den Großteil ihrer Gehälter spenden. Kahr behält nur knapp 2.000 von 6.000 Euro ihres Gehalts. Der Rest geht an bedürftige Menschen. Kritiker:innen werfen ihr und ihren Genoss:innen deshalb vor, Sozialarbeit statt Politik zu betreiben. „Roter Populismus.“
Ich frage mich: Wieso gibt es solche populistischen Sozialarbeiter:innen nicht auch im deutschen Politbetrieb? Wenn die linken Postenliebhaber:innen schon nicht zurücktreten: Bei über 10.000 Euro Diäten für Bundestagsabgeordnete käme da einiges zusammen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles