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Gewerkschaften in der Coronapandemie„Feind der Mitgliederwerbung“

Die Gewerkschaften sehen sich von der Coronapandemie schwer gebeutelt. Erstmals verzeichnet Verdi weniger als 1,9 Millionen Mitglieder.

Hat mit schrumpfenden Mitgliederzahlen zu kämpfen: Verdi-Chef Frank Werneke Foto: Christoph Gateau/dpa

Berlin taz | In der Coronapandemie haben die Gewerkschaften mit herben Mitgliederverlusten zu kämpfen. Besonders hart getroffen hat es die beiden großen: die IG Metall und die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Beide verloren im vergangenen Jahr netto zusammen mehr als 92.000 Mitglieder. Damit kommt die IG Metall nur noch auf rund 2,17 Millionen Mitglieder. Verdi verzeichnet mit rund 1,89 Millionen Mitgliedern einen historischen Tiefstand.

Bei ihren Jahrespressekonferenzen in der vergangenen und in dieser Woche führten der IG-Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann und sein Verdi-Pendant Frank Werneke den Schwund vor allem auf die erschwerten Bedingungen für gewerkschaftliches Engagement unter Corona zurück. „Gewerkschaft bedeutet Ansprache und Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen“, sagte Hofmann. Das seit „mit Kurzarbeit, Kontaktbeschränkungen, Home-Office-Pflicht und ohne digitales Zugangsrecht auch für uns als Gewerkschaft weiter schwierig“.

Werneke argumentierte in die gleiche Richtung: „Die Ansprache im betrieblichen Alltag durch gewerkschaftliche Vertrauensleute, Betriebs- und Personalräte haben unter den Bedingungen der Pandemie nur unzureichend funktioniert“, sagte er. „Corona ist der Feind der Mitgliederwerbung.“

Die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft ist nichts Statisches. Eine Fluktuation in der Mitgliedschaft ist daher zwangsläufig. Allein schon so viele neue Mitglieder zu gewinnen, dass „natürliche“ Abgänge durch Ruhestand oder Tod ausgeglichen werden können, bedeutet einen enormen Kraftakt.

„Wir müssen richtig rackern, um unsere Mitgliederzahl stabil zu halten, was mit der Altersstruktur von Verdi wie allen anderen DGB-Gewerkschaften zu tun hat“, konstatiert Werneke. Im vergangenen Jahr standen bei Verdi 113.150 Austritten, 16.000 Sterbefällen und 7.000 Ausschlüssen wegen fehlender Beitragszahlungen jedoch nur 93.340 Neueintritte gegenüber.

Probleme der Gewerkschaften sind tiefgreifender

Corona hat für den aktuellen Mitgliederschwund sicherlich eine große Bedeutung. Doch die Probleme der Gewerkschaften sind tiefgreifender. Auch wenn es die mittlerweile nur noch acht Einzelgewerkschaften im DGB nicht immer im gleichen Maße und zur selben Zeit trifft, ist der allgemeine Abwärtstrend doch unübersehbar: 1991 gehörten noch mehr als 11,8 Millionen Menschen einer DGB-Gewerkschaft an, mittlerweile verzeichnet der Dachverband weniger als 5,8 Millionen – und das bei insgesamt steigenden Beschäftigtenzahlen.

Ein Grund dafür liegt in den Umbruchprozessen in der Arbeitswelt. Wenn die Metall- und Elektroindustrie wie im vergangenen Jahr knapp 2,4 Prozent der Stellen abbaut, dann geht das auch nicht spurlos an der IG Metall vorbei. Wesentlich kritischer wird es bei weitaus tieferen Einschnitten. Ein Beispiel: In der Druckindustrie, die zum Organisationsbereich von Verdi gehört, gab es 2001 noch 220.723 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte, zwanzig Jahre später waren es nur noch 119.150

Dieser massive Arbeitsplatzabbau hat heftige Auswirkungen auf die Gewerkschaft. Zum einen beenden viele Beschäftigte ihre Mitgliedschaft, wenn sie ihren Arbeitsplatz verlieren. Zum anderen sind Arbeitskämpfe in einer Branche in der Krise nur schwer zu führen, entsprechend schlecht fallen in der Regel die Abschlüsse aus, was sich dann negativ auf Neueintrittszahlen auswirkt.

In der aktuellen Tarifrunde für die Druckindustrie fordert Verdi eine fünfprozentige Lohnerhöhung, was die Arbeitgeberseite unter Verweis auf die schwierige wirtschaftliche Situation brüsk zurückweist. Die Verhandlungen stecken fest. Die Friedenspflicht endet am 28. Februar. Ob Verdi in dieser Branche noch streikbereit und -fähig ist?

Kahlschlag in der Luftfahrtbranche

Ganz bitter sieht es aktuell in der Luftfahrtbranche aus, besonders beim Bodenpersonal an den Flughäfen. Hier hat es infolge der Coronapandemie einen dramatischen Aderlass gegeben. Mehr als 30 Prozent der Beschäftigten haben mittlerweile die Branche verlassen müssen, vielfach mittels Abfindungsprogrammen. „Das schlägt voll auf uns durch“, sagte Werneke auf der Jahrespressekonferenz. Ganze Tarifkommissionen hätten sich faktisch aufgelöst, „weil sich unsere Mitglieder beruflich neu orientieren“.

Andere Branchen boomen hingegen, aber sind nur schwer gewerkschaftlich zu organisieren. Das gilt besonders für den Versandhandel und auch für Paket- und Zustelldienste, wo Verdi zwar kontinuierlich zulegen kann, aber der Organisationsgrad trotzdem überschaubar bleibt.

Bestes Beispiel ist der Onlinekonzern Amazon, wo Verdi seit nunmehr rund achteinhalb Jahren versucht, mit einer Strategie der Nadelstiche tarifvertraglich geschützte Einkommens- und Arbeitsbedingungen durchzusetzen. Immer wieder ruft die Gewerkschaft an einzelnen oder mehreren Amazon-Standorten zu temporären Streiks auf, an denen sich jedoch nur ein Bruchteil der Beschäftigten beteiligt. Bisher hat Verdi nicht einmal die Aufnahme von Gesprächen durchsetzen können.

„Differenzierte Lohnpolitik“

Mit einer „differenzierten Lohnpolitik“ will Verdi die diversen Tarifrunden in diesem Jahr bestreiten. „Wer glänzende Geschäfte auch aufgrund der Pandemie gemacht hat, wie zum Beispiel Versicherungen, Banken oder die Deutsche Telekom, muss die Beschäftigten entsprechend an den Gewinnen beteiligen“, gab die stellvertretende Vorsitzende Andrea Kocsis auf der Verdi-Jahrespressekonferenz als Linie vor. „Wo es schlechter läuft, wie in Teilen der Luftfahrtbranche, werden wir das dementsprechend berücksichtigen.“

Die Forderungsspanne reicht je nach Branche oder Unternehmen von einem Euro pro Stunde bis zu einer Lohnerhöhung von sechs Prozent. Eindeutiges Ziel seien aber Reallohnzuwächse. Das dürfte nur schwer zu erreichen sein. Schon beim Tarifabschluss für den öffentlichen Dienst der Länder im vergangenen Jahr reichte es dafür nicht.

Die Tarifverhandlungen in diesem Jahr würden „knackig“, kündigte Verdi-Chef Werneke an. Eine coronabedingte Streikzurückhaltung werde es nicht geben. Was er nicht sagte: Trotzdem wird Verdi nicht überall streiken, wo sich die Arbeitgeberseite hartleibig zeigt. Denn dazu müsste die Gewerkschaft stärker sein, als sie es in etlichen Bereichen ist. Das ist die Krux: Der gewerkschaftliche Organisationsgrad ist entscheidend für die Verhandlungs- und Durchsetzungsmacht. Fehlt es daran, sind die Arbeitskampfmöglichkeiten beschränkt – und fallen die Tarifergebnisse mager aus.

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19 Kommentare

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  • Warum diese Tränen um die Gewerkschaften ??



    Die Gewerkschaften sind, durch ihr festhalten an der Prozentuale Erhöhung der Löhne, die hauptverantwortlichen das die Schere bei den Löhnen immer weiter auseinander geht. Macht endlich Pauschalsummen als Lohnerhöhung, den Menschen mit geringem Einkommen wird geholfen und wer schon gut verdient braucht nicht mehr als die unteren Gruppen.

  • Kein Wunder, wenn man sich seit den 90ern nur mit ein paar Brosamen für die unteren Lohngruppen abspeisen läßt. Dass die Arbeitnehmer von den Produktivitätssteigerungen der letzten 30 Jahre nicht profitiert haben, sondern im Gegenteil die Realeinkommen gesunken sind haben wir eben diesen roten Folkloregewerkschaften zu verdanken. Bereits das Erfordernis eines staatliche festgelegten Mindestlohns um das Existenzminimum der von ihnen Vertretenen zu sichern zeigt, wie schlecht deren Vertreter gearbeitet haben.

    • @JLloyd:

      Nichts für ungut, aber das geht an der Realität deutlich vorbei. Schauen Sie sich beispielhaft mal die Einkommensentwicklung in der Metallindustrie an. Sie werden sehen: von sinkenden Realeinkommen kann keine Rede sein.

      Und die Einführung des Mindestlohns war erforderlich, weil die Politik den Niedriglohnsektor forciert und bestehende Brandmauern geschliffen hatte.

  • Ja, die Probleme insbesondere von ver.di sind tiefgreifender.

    Der Mitgliedsbeitrag in Höhe von einem Prozent vom Bruttoeinkommen ist schon happig. Und mit meinen jahrelangen Erfahrungen als ver.di-Angestellte möchte ich den Blick erweitern auf die doch unbefriedigenden Hierarchie- und Arbeitsstrukturen, die sich auf die alltägliche Arbeit der Gewerkschaftssekretär:innen und Angestellten auswirken.

    Personalmangel tut sein Übriges, um Gefahr zu laufen, im Burn-Out zu landen. Mangelnde Führungsstrukturen/-kulturen lassen Abteilungen zu Wagenburgen mutieren, die bei nicht wenigen Beschäftigten zu innerer Emigration und psychischen Erkrankungen führen. Hier wäre eine ehrliche Beschäftigten-Umfrage nötig, die auf eine ernsthafte Aufarbeitung bauen kann.

    Sich abzuschleifen in Bescheidenheit ist der falsche Weg. Ich bin aus ver.di ausgetreten.

  • Gewerkschaften sind WICHTIG! Aber gerade eine Organisation wie Verdi sollte schon mal selbstkritisch über ihre Aussenwirkung nachdenken.

  • Im Zusammenhang mit Verdi fehlt auch der Hinweis um die offensichtlich falsche Schwerpunktsetzung. Seit Herrn Bsirske geht es nicht mehr um die Arbeitnehmervertretung sondern eher um ökologische Schwerpunkte.

    Auch der aussichtslose Kampf gegen Amazon ist nicht gerade werbewirksam.

    Anstatt gute Tarifabschlüsse abzuschließen kümmern sich die Gewerkschaften scheinbar lieber um die (durchaus lukrativen) Betriebsräte.

    Weiterer Sargnagel ist dann auch der gesetzliche Mindestlohn.

    • @DiMa:

      Betriebsräte sind für Gewerkschaften im Regelfall der Brückenkopf in eine Belegschaft. Wenn es keine Betriebsräte gibt, gibt es im Regelfall auch keinen Tarifvertrag. Und wenn der Betriebsrat keine Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft will, gibt es im Regelfall auch keinen Tarifvertrag. Oder niemanden, der dafür sorgt, dass er erstreikt und umgesetzt wird. Sie sehen: Tarifabschlüsse und Betriebsräte hängen indirekt miteinander zusammen.

      • @Kirschberg:

        Das meinte ich gar nicht.

        Betriebsräte sind für die Gewerkschaften so wichtig, weil man diesen teure Fortbildungen überhelfen kann (bezahlt vom Arbeitgeber). Die Fortbildungen sind von außen betrachtet zwischenzeitlich lukrativer als die Mirgliedereinnahmen.

        Insoweit scheint die "Abteilung Betriebsräte" wohl gewichtiger als die "Abteilung Tarifabschlüsse".

        • @DiMa:

          An die entsprechenden Einnahmen kommen die Gewerkschaften doch gar nicht ran. Das wäre Gegnerfinanzierung und die ist verboten. Die von Ihnen erwähnten Fortbildungen werden von gewerkschaftsnahen Anbietern angeboten.

    • @DiMa:

      Insbesondere sei da die Lohnsteigerung von 2.4% in 2 Jahren für die Beschäftigten von Krankenhäusern aus dem letzten Spätsommer genannt. Bei einer Inflation von über 5% allein in diesem Jahr.

      Warum sollte ich mir von so einer Gewerkschaft "helfen" lassen wollen? Wieviel wollen die für ihre "Hilfe" nochmal monatlich von meinem Gehalt behalten? Richtig! Lohnt also nicht mehr.

      Aber dazu gibt es natürlich gar keinen Zusammenhang...

      • @nanymouso:

        2.4% sind ein Unding. Leider hat jeder Krankenhausberuf ein desatröses Streikproblem. Und von daher kann eine Gewerkschaft da ja auch nur bedingt druck aufbauen.

        Für die Inflation kann ja aber die Gewerkschaft nichts.

        Hoffen wir mal, dass Sie nicht bei 0% landen am Ende.

      • @nanymouso:

        Wenn die Beschäftigten in der Pflege und in den Krankenhäusern sich genauso engagiert für ihre Arbeitsbedingungen einsetzen würden wie für ihre Patienten, wären die Tarifabschlüsse sicherlich besser. Leider tut sich da noch viel zu wenig. Wer sich gewerkschaftlich nicht engagiert, darf über mäßige Tarifabschluss auch nicht jammern.



        Zumal die Inflation zum Zeitpunkt des Abschlusses deutlich niedriger war, aber das nur am Rande.

        • @Kirschberg:

          Die Gewerkschaften hätten für Pflegekräfte anders verhanden sollen als für den restliche öffentliche Dienst. Hätte man beides getrennt, dann hätte es auf der Arbeitgeberseite auch Spielräume gegeben.

          Das wollte jedoch die Gewerkschaft nicht, da sie hoffte, wegen der Pflegekräfte einen möglichst guten Abschluss für alle raus zu holen (Stichwort "Verhinderung der Spaltung"). Das ist im Ergebnis nach hinten los gegangen.

          • @DiMa:

            Das hätte im Ergebnis vermutlich dazu geführt, dass bspw. die gewerkschaftlich hoch-organisierten Müllwerker zugunsten der kaum gewerkschaftlich-organisierten Pfkegekräfte hätten verzichten müssen.

            Gewerkschaften sind aber nicht die Caritas. Sie müssen vor allem die Interessen ihrer Mitglieder im Blick haben.

            • @Kirschberg:

              Über die "Interessen der Mitglieder" müssen sich Gewerkschaften demnächst keine Sorgen mehr machen, wenn sie weiterhin so agieren.

              Sie hätten im Pflegebereich neue Mitglieder gewinnen können, wenn sie diesen Bereich gesondert verhandelt hätten.

              Die Müllwerker waren und sind dagegen durch Corona nicht mehr oder weniger belastet. Und einen noch schlechteren Deal hätte man halt auch nicht abschließen können.

  • Verdi hat nicht nur wegen wegfallener Geschäftszweige und damit wegfallender zahlender Mitglieder und Corona Probleme.



    In meinem Arbeitsumfeld gab es viele Austritte weil auf den Versammlungen inhaltlich immer mehr der reine "Klassenkampf" gegen Kapitalismus in den Vordergrund rückte. Zzgl. Klima, Gender und Rassismus. Wenn das inhaltlich gefühlt 70% einer Betriebsversammlung ausmacht, die eigentlich für ganz andere Belange da sein sollte, brauche ich keine Gewerkschaft mehr, dann kann ich auch gleich in eine Partei eintreten.

    • 2G
      24584 (Profil gelöscht)
      @SeppW:

      Das ist mir auch aufgefallen. Bin zwar für die andere Seite zuständig, aber die Arbeitgeber leiden mit (spreche als Privatperson). Die brauchen starke Verhandlungspartner. Das ist ja auch der Kern der Problematik in der Pflegebranche. Mit wem soll man denn da verhandeln, wenn die nur einstellig organisiert sind?

      Was schwache Gewerkschaften so treiben, lässt sich ja in Frankreich beobachten. Je schwächer die werden, desto extremer die Aktionen.

      Bei ver.di geht es in den Veranstaltungen fast nur noch ums woke sein und dann wundern die sich, dass das polarisiert und das Pflegepersonal nicht anspricht. Diese Menschen haben eben nicht 12 Semester an der FU Berlin Soziologie studiert, um den Rest des Lebens dem Aktivismus zu widmen.

    • @SeppW:

      Ich bin seit über 18 Jahre auf einer ver.di-Liste in Personalvertretungen des öffentlichen Dienstes aktiv und beobachte leider auch, dass es zunehmend schwieriger wird, Beschäftigte für eine aktive Mitarbeit bei ver.di zu interessieren oder sie zu motivieren bei Wahlen ver.di-Listen zu wählen. Natürlich hat die Mitgliederentwicklung vielfältige Ursachen. Sie ist ja auch in vielen anderen Großorganisationen, Parteien, Vereinen usw. zu beobachten und zumeist den gleichen gesellschaftlichen Entwicklugen geschuldet. Bei den Wahlausgängen ist das Bild heterogener. Der unterschiedliche, in nicht wenigen Fällen ja durchaus auch erfreuliche Wahlerfolg von ver.di in den Einzelbehörden dürfte aber oft auf behördenspezifische Ursachen zurückzuführen sein, etwa einer durch ein zu repressives Betriebsklima belasteten Organisationskultur und/oder dem persönlichen Charisma der Kandidaten/innen, die sich für eine ver.di-Liste zur Wahl stellen.

      Ich würde Ihrem Kommentar insofern zustimmen, dass das erwähnte gesellschaftspolitische "Beiwerk" bei ver.di immer stärker in den Vordergrund tritt und Beschäftigte, die eigentlich nur konkrete Unterstützung bei einem Problem mit der Arbeitgeberseite erwarten, zunehmend stört und mindestens ein weiterer Faktor für die Abwendung von zu ideologisch und zu "woke" auftretenden Gewerkschaften ist. Die Konkurrenten der DBB-Tarifunion oder von den unabhängigen Listen profitieren leider davon.

      Die zukünftige Entwicklung sehe ich eher pessimistisch: die dem Mitgliederschwund und damit dem Rückgang an Mitgliedsbeiträgen geschuldeten Organisationsreformen auf Bezirks- und Fachbereichsebene führen dazu, dass die Gewerkschaft für die Aktiven in den Betrieben und die Mitglieder noch schlechter erreichbar sind. Sie begünstigen die Abkapselung der Funktionäre in einer Blase. Eine weniger ideologische und mehr an der Lösung konkreter Probleme von Beschäftigten, also pragmatischere Positionierung wird dadurch noch unwahrscheinlicher. Quo vadis, ver.di?

      • @O sancta simplicitas:

        Danke für Ihr ausführliches Statement.



        Ein Gedanke diesbezüglich noch von mir : Es gibt nachwievor einen harten Gewerkschafter-Kern. Der kennt die DDR noch aus eigenem Erleben und läuft "Auferstanden aus Ruinen" pfeifend durch die Gänge, aber für den ist die "echte" Gewerkschaftsarbeit auf Tuchfühlung mit den Arbeitnehmern noch wichtig.

        Und im Gegensatz dazu habe ich die "Zukunft" gesehen. Dort steht all das im Vordergrund, was den Kern der Gewerkschaftsarbeit nur sehr schwach berührt. Und das wird nach Aussen gekehrt und damit auch ein unterschwelliger Druck auf die Belegschaft ausgeübt. Sprich wenn die alten Gewerkschafter altersbedingt ausscheiden wird es für die Verdi noch schwieriger werden ihre Mitglieder zu halten und neue Anzuwerben.