Gewaltsamer Protest von Querdenkenden: Vermeintliche Selbstverteidigung
Die rechte Szene nutzt die Impfpflicht-Debatte dafür, Querdenker*innen zu radikalisieren. In der Folge gibt es immer mehr gewaltsamen Protest.
![Teilnehmer einer Demonstration gegen Corona-Regelungen tragen ein Plakat mit derAufschrift "Impf-Pflicht nur über unsere Leiche". Teilnehmer einer Demonstration gegen Corona-Regelungen tragen ein Plakat mit derAufschrift "Impf-Pflicht nur über unsere Leiche".](https://taz.de/picture/5280093/14/266854216-1.jpeg)
D ie Radikalisierung der Querdenken- und Coronaleugnungs-Bewegung wurde in den vergangenen Tagen vor allem im Osten der Republik wahrgenommen: Die Auslöschung einer brandenburgischen Familie durch den Vater, der sich dann selbst tötete, weil ein gefälschtes Impfzertifikat auffiel und er Angst vor einer Verhaftung gehabt haben soll; der Fackelaufmarsch vor dem Privathaus der sächsischen Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD) in Grimma wegen der Pandemieregelungen; der Auflauf nahe beim Haus von Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) in Schwerin aus demselben Grund. Doch auch weiter westlich gibt es reichlich Militanz.
Am vorigen Samstag protestierten rund 5.000 Querdenkende in Hamburg gegen die staatlichen Maßnahmen und gegen das Impfen. Ohne Abstand und ohne Masken, aber mit Verschwörungserzählungen und NS-Verharmlosungen zogen sie durch die Innenstadt. Unter ihnen waren auch Anhänger der NPD, einzelne Protestierende gingen Journalist:innen an. In Braunschweig führten am Montag Maßnahmen- und Impfgegner:innen eine nicht angemeldete Demonstration durch. Auch dort wurde ein Medienvertreter attackiert.
Die Radikalisierung offenbart sich aber nicht allein bei Aufmärschen, sondern auch im Alltag. Am 3. Dezember griff ein Maskenverweigerer am Neuen Pferdemarkt in Hamburg einen Apotheker an, der eine Corona-Teststelle betreibt. Er musste sich im Krankenhaus behandeln lassen.
Ebenfalls in Hamburg schoss am 24. November ein Mann zweimal mit einer Gaspistole auf einen Türsteher. Der Angegriffene, der medizinisch behandelt werden musste, soll zuvor dem Angreifer den Zutritt in einen Kulturverein verweigert haben, da er keine Maske trug. Am 4. November stand ein Mann vor dem Landgericht Hamburg, da er einen Kraftfahrer, der ihn um Abstand bei der Bitte nach einer Zigarette bat, mit einem Messer angegriffen haben soll. Die anwesende Tochter soll er ebenfalls bedroht haben.
Die Maske als Maulkorb
In Rotenburg/Wümme verletzte am 2. November eine Maskenverweigerin einen Kioskbetreiber schwer, nachdem es zum Streit um die Maskenpflicht gekommen war. Im Oktober wurde bekannt, dass an einer Schule in Niebüll ein anonymer Drohbrief eingegangen ist. Der Absender kündigte Gewalt an, sollte es an der Schule in Schleswig-Holstein zu Impfungen kommen, und nannte Namen aus dem Kollegium. Das Amtsgericht Delmenhorst verurteilte schon am 9. September einen Maßnahmengegner wegen eines Brandanschlags auf das Rathaus zu drei Jahren Haft.
Die Radikalisierung kommt nicht überraschend: Die Maske wurde von Akteur:innen der rechten Szene früh politisch zum Maulkorb umgedeutet. Die Debatten um Einschränkungen für Ungeimpfte und um die Einführung einer Impfpflicht sehen sie jetzt als direkten Angriff auf ihre körperliche Unversehrtheit, der abgewehrt werden muss. Aus dieser Motivation kommt die Radikalisierung bis hin zur vermeintlichen Selbstverteidigung.
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