Gewalthilfegesetz im Kabinett: Frauen müssen bangen
Die Regierung will kurz vor knapp ein Gesetz zum besseren Schutz vor Gewalt beschließen. Doch die Chancen auf die Mehrheit im Parlament sind gering.
Mit Ex-Finanzminister Christian Lindner (FDP) hatte es lange keine Einigkeit über die Finanzierung gegeben. Nachfolger Jörg Kukies (SPD) gab zwar grünes Licht. Unklar bleibt aber, ob nach der Verabschiedung im Kabinett die nötige Mehrheit im Parlament zustande kommt.
Familienministerin Lisa Paus (Grüne) wirbt für eine Verständigung über Parteigrenzen hinweg. „Den bedrohten, geschlagenen und um ihr Leben fürchtenden Frauen ist es vollkommen egal, wer regiert“, sagte Paus am Montag. Auch die SPD-Fraktion appellierte an die Union, noch vor der Neuwahl im Februar die Verabschiedung des Gesetzes zu ermöglichen. Doch aus der Union kommen bislang eher ablehnende Signale.
Der erste Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion Thorsten Frei sagte der taz: „Wir verschließen uns einem solchen Gesetz nicht, stellen uns aber auch nicht auf den Kopf.“ Die Ampel habe es schließlich drei Jahre nicht fertig gebracht, ein solches Gesetz vorzulegen. Auch Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz hatte dies in seinem aktuellen Newsletter #MerzMail beklagt und zugleich gefordert: „Gewalt gegen Frauen darf in Deutschland keinen Platz haben.“
80.000 Unterschriften gegen Gewalt an Frauen
Mitte November hatte die Union einen eigenen Antrag zum Thema Gewaltschutz vorgelegt. Der weist erstaunliche Ähnlichkeiten zu Paus’ Gesetz auf, kann aber auch eine Vorarbeit für die nächste Regierung sein. Die familienpolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Silvia Breher, hatte vergangene Woche gegenüber dem Spiegel erklärt: „Es ist doch lächerlich: erst über Jahre nichts hinbekommen und dann uns im Parlament sagen: Ihr müsst jetzt das Gesetz retten!“ Breher findet, der Bundestag könne das Konzept der Union „gern in der nächsten Legislatur beschließen“.
Doch Vertreter:innen der Zivilgesellschaft machen Druck. Am Montag hatten der Deutsche Frauenrat und UN Women gemeinsam mit Prominenten einen Brandbrief mit dem Titel „Stoppt Gewalt gegen Frauen – jetzt!“ an die Bundesfamilienministerin übergeben. Rund 80.000 Menschen fordern per Unterschrift, das Gewalthilfegesetz zu beschließen.
„Die Gesellschaft ist nicht länger bereit, das hohe Ausmaß an Gewalt gegen Frauen zu akzeptieren. Das Gewalthilfegesetz muss dringend verabschiedet werden. Jede weitere Verzögerung kostet Frauenleben“, sagte Sylvia Haller, Vorstandsmitglied im Deutschen Frauenrat. Der Deutsche Frauenrat fordert alle demokratischen Parteien auf, für das Gewalthilfegesetz zu stimmen.
14.000 fehlende Plätze in Frauenhäusern
Fast jeden Tag stirbt in Deutschland ein Mädchen oder eine Frau, jeden zweiten Tag ist der Täter der Partner oder Ex-Partner. Bundesweit fehlen laut der Istanbul-Konvention, dem Übereinkommen des Europarats zur Bekämpfung gegen Gewalt gegen Frauen, rund 14.000 Plätze in Frauenhäusern.
Ganz aus dem Blick geraten derweil Geflüchtete. Pro Asyl beklagt, der rot-grüne Gesetzentwurf sei zwar prinzipiell zu begrüßen, vergesse aber das Schicksal geflüchteter Frauen. Um ihnen besseren Schutz vor Gewalt zu garantieren, müssten unter anderem die Wohnsitzauflagen gekippt werden.
Die verbieten es Asylbewerber*innen, außerhalb bestimmter Orte zu wohnen, wodurch der Aufenthalt in Frauenhäusern unmöglich wird. Außerdem brauche es Schutzstandards für die Unterkünfte und ein Ende der Meldepflichten. Diese halten Frauen ohne Aufenthaltspapiere oft davon ab, Hilfe zu suchen.
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