Gewalt gegen israelische Geiseln: Eine bessere Welt muss möglich sein
Die Israelin Amit Soussana hat Zeugnis abgelegt über ihre Geiselhaft in Gaza. Sie musste sexuellen Missbrauch, Folter und Demütigungen erleben.
U m diese Kolumne drücke ich mich. Nicht aus Faulheit oder Langeweile, sondern weil sie mir Schmerzen verursacht. Ich will sie ausblenden, sie verdrängen. Also hänge ich Wäsche ab, koche mir Kaffee, einen nach dem anderen, gehe spazieren. Ich denke: Warum habe eigentlich ich Schmerzen? Nehme ich mich nicht viel zu wichtig? Mein Körper will wegrennen, aber meine Gedanken kreisen weiter um das, was ich gelesen habe und nicht vergessen kann.
Seit bald einem halben Jahr ist extreme Gewalt so präsent in meinem Alltag, dass ich manchmal vergesse, wie es vor dieser Zäsur war. Gewalt ist mit dem 7. Oktober Gegenstand meiner Arbeit geworden; ist da, mal weniger und mehr subtil, im öffentlichen Raum, weil Antisemitismus so alltäglich und zum Teil lebensbedrohlich werden kann; die Gewalt ist in Bildern präsent, die mein Unbewusstes in meinen Träumen abruft, nur erträumte Bilder sind es nicht, sondern reale, von Hamas-Terroristen produzierte, die einmal das Internet geflutet haben.
Ich lese diese Woche, was die Israelin Amit Soussana der New York Times geschildert hat. In ihrer Geiselhaft in Gaza musste sie sexuellen Missbrauch, Folter und Demütigungen erleben. Amit Soussana ist die erste Frau, die nach dem 7. Oktober öffentlich über sexuelle Gewalt durch die Terroristen der Hamas spricht.
In einem Privathaus, also dem Zuhause von Zivilisten in Gaza, hielten die Terroristen sie angekettet, erzählt sie. Ihr Wachmann zwang sie mit vorgehaltener Waffe, einen sexuellen Akt an ihm vorzunehmen, so formuliert die New York Times Soussanas Aussage. An einem anderen Versteck wird sie an Händen und Füßen gefesselt, Mund und Nase werden ihr zugeklebt, und sie wird geschlagen, immer und immer wieder, von mehreren Männern.
Die einzige Waffe
Am 7. Oktober kämpfte Amit Soussana gegen ihre Entführer. Ein Video, das diesen Überlebenskampf zeigt, sah ich vor Wochen, es kursierte im Internet. Ich starrte damals erschüttert auf meinen Bildschirm, verstand nicht, woher diese Frau die Kraft und den Mut aufbrachte, sich mit ihrem Körper, der einzigen Waffe, die ihr in diesem Moment blieb, gegen sieben Männer zu stellen. Sieben Männer, so viele brauchte es, um Amit Soussana schlussendlich zu überwältigen. Sie schlugen sie so heftig, dass ihre Augenhöhle, die Wangenknochen, ihr Knie und ihre Nase brachen.
Von einer Sekunde auf die andere wurde Amit Soussana am 7. Oktober von einer gewöhnlichen Frau zu einer Geisel der Hamas, zu einer ehemaligen Geisel, zu einem Opfer sexuellen Missbrauchs, zu einer mutigen Frau. Menschen schreiben jetzt, wie mutig Amit sei. Und sie haben recht: Amit Soussana ist eine mutige Frau. Und doch befremdet mich diese Aussage. Nicht die Zuschreibung, dieses Adjektiv, sondern seine schiere Notwendigkeit.
Amit Soussana sagt, sie wolle mit ihrer Darstellung auf das Leid jener über 130 Geiseln aufmerksam machen, die noch in der Gewalt der Hamas sind. In einer besseren Welt würde sie diesen Mut nicht aufbringen müssen, denn es gäbe keine Geiseln. In einer besseren Welt könnte sie sich als israelische Frau der Solidarität aller Frauenrechtsorganisationen sicher sein, die ihr „Wir glauben dir“ entgegenbringen würden und kein „Aber“.
Eine bessere Welt verdient
Bis heute schreiben mir Menschen: Beweisen Sie, dass die sexuelle Gewalt stattgefunden hat! Oder: Wenn es wahr ist, warum sprechen die Opfer nicht? So als ob die Öffentlichkeit ein Recht auf die Zeugnisse der Überlebenden hätte. Als ob sie uns etwas schuldig wären.
Wenn ich solche Nachrichten lese, will ich wieder wegrennen. Meistens laufe ich dann ein paar Mal draußen im Kreis, räume zu Hause Dinge hin und her, und entscheide mich später doch zu bleiben, zu antworten, zu lesen. Weil ich gar nicht wüsste, wohin ich rennen soll. Und weil Amit Soussana eine bessere Welt verdient hat.
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