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Getöteter General in MoskauDer Menschheit ein Wohlgefallen?

Gereon Asmuth
Kommentar von Gereon Asmuth

Der ukrainische Geheimdienst ließ wohl einen russischen General in Moskau töten: legitimer Tyrannenmord oder unnötige Ausweitung des Krieges?

Moskau, 17. Dezember: Zwei Polizeibeamte am Anschlagsort Foto: Yuri Kochetkov/epa

A uf offener Straße wird ein russischer General in die Luft gesprengt. Mitten in Moskau. Der ukrainische Geheimdienst SBU reklamierte den Anschlag für sich. Unweigerlich steht die Frage im Raum, ob diese Eskalation des seit über 1.000 Tagen laufenden Kriegs angemessen ist?

Die Antwort liegt auf der Hand: Na klar. Wer der Ukraine das Recht auf Verteidigung nicht grundsätzlich absprechen will, muss ihr auch das Recht zubilligen, führende Militärs aus dem Leben zu bomben. Nicht nur, weil Moskau das umgekehrt auch macht. Sondern vor allem, weil es einer alten pazifistischen Utopie recht nahekommt: Lasst die Generäle und Präsidenten sich doch gegenseitig abschlachten, anstatt einfache Menschen an den Fronten zu verheizen. Das würde nicht unmittelbar zum Frieden auf Erden führen, wäre aber dem Rest der Menschheit ein Wohlgefallen.

Also lautet die Parole – auf zum Tyrannenmord? Nein, keineswegs, auch wenn es verlockend klingt. Denn zum einen ersetzen diktatorische Regime ihre gefallenen Generäle und Despoten schneller als der Haifisch seine ausgebissenen Zähne. Zumindest, wenn nicht, wie gerade in Syrien, gleich das ganze System gestürzt wird.

Zum anderen – und das wiegt weitaus schwerer – ist und bleibt jeder Mord, auch der eines hochrangigen Soldaten, ein Verstoß gegen humanistische Moral. Die Todesstrafe, ob mit oder ohne Gerichtsprozess, bleibt in jedem Fall unakzeptabel.

Ein Gesicht für den Krieg

Getötet aber werden in diesem Krieg Tag für Tag unzählige Menschen. Die Ermordung des Generals fällt nur besonders auf, weil die Welt nun sein Gesicht kennt. Das Gesicht eines Täters, der zugleich auch Opfer geworden ist.

Das grundlegende Dilemma ist der Krieg, der die Tötung Einzelner für erträglich oder gar angebracht erscheinen lässt. Die Verantwortung für diesen Krieg trägt einzig und allein das Regime in Moskau. Die Verantwortung, die Ukraine in ihrem Recht auf Verteidigung zu unterstützen, gleichzeitig aber alles nur denkbare dafür in Erwägung zu ziehen, damit dieser Krieg beendet wird, tragen alle beteiligten Staaten.

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Gereon Asmuth
Ressortleiter taz-Regie
Leiter des Regie-Ressorts, das die zentrale Planung der taz-Themen für Online und Print koordiniert. Seit 1995 bei der taz als Autor, CvD und ab 2005 Leiter der Berlin-Redaktion. 2012 bis 2019 Leiter der taz.eins-Redaktion, die die ersten fünf Seiten der gedruckten taz produziert. Hat in Bochum, Berlin und Barcelona Wirtschaft, Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation und ein wenig Kunst studiert. Mehr unter gereonasmuth.de. Bluesky:@gereonas.bsky.social Mastodon: @gereonas@social.anoxinon.de ex-Twitter: @gereonas Foto: Anke Phoebe Peters
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34 Kommentare

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  • Generale sind Soldaten und Soldaten sterben im Krieg nunmal.

  • Die humanistische Moral ist eine doppelte. In einigen Fällen ist die Todesstrafe durchaus angemessen - siehe die Nürnberger Prozesse. Und Kinderschänder und Drogenhändler haben auf der Welt nix zum suchen. Wohlfühlknast für Adolf Hitler, Kinderschänder und Drogenhändler? Nix. Wer diese humanistische Moral gut findet, hat selber keinerlei Moralgefühl.

  • Völlig falsche Fragestellung. Natürlich darf die Ukraine jeden russischen Militär in Russland attackieren. Das ist völlig klar.

    Die eigentlich Frage ist, ob man knappe Ressourcen darauf verschwendet, einen für diesen Krieg unwichtigen General zu töten. Die Aktion produziert zwar ein paar hübsche Schlagzeilen, nützt aber den kämpfenden Einheit am der Front nicht das Geringste. Diese



    maximal zu unterstützen, wäre aber die Aufgabe des militärischen Geheimdienstes der Ukraine. Showaktionen gehören eher nicht dazu.

  • "Lasst die Generäle und Präsidenten sich doch gegenseitig abschlachten, anstatt einfache Menschen an den Fronten zu verheizen. Das würde nicht unmittelbar zum Frieden auf Erden führen, wäre aber dem Rest der Menschheit ein Wohlgefallen."



    Das höre oder lese ich jetzt in diesem Zusammenhang explizit, aber weltweit ist das einer von sehr vielen Konfliktherden mit sehr, sehr vielen Generälen.



    In der Tat sollten wir uns mehr mit dem Leid befassen, das diese Elite mit ihrer Entourage überall in Ausübung ihres Berufes hinterlässt.



    www.rbb-online.de/...iche-munition.html

  • Only good about the Dead.



    He is dead.



    Good.



    (Bette Middler)



    Und ich sehe da überhaupt kein moralisches Problem: Alle Mittäter der ungeheuren Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die der russische Faschismus in der Ukraine verübt, sind legitime Ziele! Und ich hoffe, dass die jetzt etwas mehr Angst kennen lernen. Kein Russe in Leitungsfunktion sollte sich seines Lebens mehr sicher sein können. So wie es die Frauen und Kinder in der Ukraine seit Jahren nicht mehr sein können.



    Übrigens, liebe Friedensfredies: Das ist, was kommen wird, wenn die Einflussagenten des russischen Faschismus - Trump bis Mützenich, Weidel, Wagenknecht - die Ukraine unter das Joch des russischen Faschismus zwingen: Ein weltweiter Guerillakrieg gegen Russland. Mit Attentaten auch auf die im Westen lebende "Jeunesse Doree" Russlands , russische Unternehmen, Botschafter uvam. Verlasst euch drauf - die UkrainerInnen sind noch weniger bereit, eine Besatzung zu akzeptieren, als die Palästinenser!

  • "und bleibt jeder Mord, auch der eines hochrangigen Soldaten, ein Verstoß gegen humanistische Moral. Die Todesstrafe, ob mit oder ohne Gerichtsprozess, bleibt in jedem Fall unakzeptabel."

    Es ist Krieg. Wenn Russland nicht will, dass seine Soldaten getötet werden, können sie sich jederzeit verziehen. Was für ein Geschiss über den Tod eines Massenmörders!

  • " ... ist und bleibt jeder Mord, auch der eines hochrangigen Soldaten, ein Verstoß gegen humanistische Moral ..." Das ist ja das immer wieder auftretende Dilemma, massenhaftes Töten auf Befehl im Krieg ist Soldatenpflicht und wird auch honoriert, der Einzelfall dann, auch wenn an Soldaten von Soldaten begangen, dann Mord.



    Der Unterschied erschließt sich mir jetzt nicht. Was wäre jetzt, wenn der General bei einer Besprechung an der Front oder in der Etappe von einer ukrainischen Granate oder Drohne getötet worden wäre? Töten im Krieg erfolgt im Regelfall ziemlich willkürlich und es dürfte kaum zu erwarten sein, daß nach dem Krieg alle Teilnehmer, die im Laufe des Kriegs jemanden getötet haben, wegen Mord verfolgt werden.



    Die Moral ist dabei schon am ersten Kriegstag auf der Strecke geblieben, die einen haben keine und die anderen können sich keine leisten.

  • ... unnötige Ausweitung des Krieges...

  • "Zum anderen – und das wiegt weitaus schwerer – ist und bleibt jeder Mord, auch der eines hochrangigen Soldaten, ein Verstoß gegen humanistische Moral. Die Todesstrafe, ob mit oder ohne Gerichtsprozess, bleibt in jedem Fall unakzeptabel."

    Kurz: "Den General umlegen war nicht OK und nicht richtig von der Ukraine. Pfu! Ihr habt keine Moral!".



    Kann man gut hier als Kommentar schreiben, das soll der Schreiber mal in der Ukraine den Menschen ins Gesicht sagen, dass die doch bitte "Moralischrichtig" handeln sollen, während denen die Krankenhäuser zerbombt, Menschen vergewaltigt und ums Überleben kämpfen.

    Des Weiteren: "Eskalation"? Das ist ein General der den Krieg unterstützt und aktiv mit plant. Das ist schon richtig so, dass diese Kriegstreiber sich in Moskau nicht sicher fühlen brauchen, dass ihr Opfer auch sie dort angreifen kann.

    • @Wayko:

      Dem kann ich ganz klar beipflichten. Klar wäre ich aus rechtsstaatlichen und demokratischen Gründen dafür, wenn Kriegsverbrecher vor den Internationalen Gerichtshof gestellt würden. Aber wie soll das gehen, wenn wir es mit einem diktatorischen Regime zu tun haben, das die Menschenrechte und das Völkerrecht mit Füßen tritt?



      Ich habe jetzt nur Angst um Selenskyj und die anderen Freiheitskämpfer, also um das ganze ukrainische Volk.



      Was würde eigentlich der Westen machen, wenn Russland gezielt den ukrainischen Präsidenten tötete - wahrscheinlich nichts.

  • In der Militärgeschichte finden sich eine Reihe Angriffe, die man -vom Ende her betrachtet- als Beginn einer großen Eskalation betrachten kann . Und ebenso finden sich Beispiele, dass solche Angriffe am Ende zum Erfolg beigetragen haben.



    Hoffentlich können wir diesen Angriff auch einmal so vom Ende als Erfolg betrachten. Aber in so einem Konflikt ist nichts ohne Risiko.



    Man stelle sich die Frage "War es das wert" an den Attentäter eines österreichischen Thronfolgers im Jahr 1914....

  • Nein, kein Tyrannenmord, denn der Tyrann ist Putin.



    Es kann wohl kaum ein Zweifel daran bestehen, dass der General ein militärisches Ziel war. Und wenn jeder russische Soldat in der Ukraine, der 100m entfernt im nächsten Unterstand oder Graben hockt, ein legitimes Ziel ist, dann ist es jeder General Russlands allemal. Selbst wenn der in Wladiwostok rumläuft.



    Ich habe zweifelnde Gedanken wie sie am Beginn des Artikels formuliert sind nicht wahrgenommen als Israel Hamas-Führer "eliminiert" hat.



    Ganz Russland führt den Krieg gegen die Ukraine, nicht nur Moskau und die Vororte... und deshalb ist jede(r) in Sicherheitsdiensten und jeder Art militärischer Institution ein legitimes Ziel.



    Krieg ist eben hässlich.



    Für die Ukraine ist die Grenze bei zivilen Zielen. Anders als Russland es offenbar als Regel hat.

  • Ein interessanter Artikel. Ich finde die aufgeworfene Frage schwer zu erörtern. Ich denke, viele würden zustimmen, dass ein Mordanschlag auf normale Soldaten im Heimaturlaub nicht legitim ist, der auf einen General aber unter Umständen schon.



    Wie wäre unter diesen Gesichtspunkten das Vorgehen Israels zu bewerten, dass ja ganz massiv auf Mordschläge setzt?

  • Mir fällt da noch eine andere pazifistische Utopie ein, nämlich dass jedes Menschenleben wertvoll ist, und das Gewalt zu noch mehr Gewalt führt. So wird das Sterben nicht enden. Die Schuldfrage wer angefangen hat, hat meiner Meinung nach nicht viel damit zu tun.

  • Also gierigen Krankenversicherungsmanager ermorden ist böse. Aber Generäle ermorden ist gut? Was ist mit Regierungschefs? Welche von denen darf man ermorden und welche nicht? Wer legt so etwas fest?

  • Die Bewertung des Tyrannenmordes durch den Verfasser ist nicht zuende gedacht. Eine angeblich "humanistische Moral", die fordert, einen Menschenschlächter leben und weiter morden zu lassen - ist absolut nicht human.

  • Irgend wann wachsen auch einem Hai keine Zähne mehr nach. Es zeigt aber auch, daß Scholz seine schützende Hand nicht über alle russischen Soldaten halten kann.

  • Aber wenn der menschenfeindliche Schreibtischtäter z.B. eine Versicherung managed ist das Geschrei wiederum groß, falls die Opfer sich wehren...

    • @Hannes Hegel:

      Der Mann war General und im Dienst.

    • @Hannes Hegel:

      CEOs mit Generälen gleichsetzen die Chemiewaffenangriffe befehlen. Danke für die Erheiterung

  • "ist und bleibt jeder Mord, auch der eines hochrangigen Soldaten, ein Verstoß gegen humanistische Moral"



    Man sollte sich doch von jeder Moral verabschieden, die einen in sonst eindeutigen Situationen erstarren lässt.



    Was ist denn mit den Leuten los, dass sie nurnoch entweder oder kennen. Gut oder Böse, was für ein furchtbar plattes denken. Aber genau das denken wahrscheinlich diese ganze Pazifisten, die jedes Verbrechen akzeptieren würden, solange ihre Nachrichten frei vom aktiven Krieg bleiben.

  • Dieser Mörder mordet nicht mehr.

  • Legitimer Tyrannenmord oder unnötige Ausweitung des Krieges?



    Legitimer Tyrannenmord der zu einer grausamen Racheaktion führen wird, welche für viele Zivilisten den Tod bedeuten wird. War es das dann wert?

    • @Hans Dampf:

      Ja, Russland wird jetzt ganz sicher der Ukraine den Krieg erklären.

    • @Hans Dampf:

      Ja. Aus vollem Herzen ja! Der plant jetzt keine Chemiewaffenangriffe mehr.

    • @Hans Dampf:

      Russland mordet auch ohne Vorwand. Seit 2014, erst recht seit 2022.

  • Was ist der Unterschied zwischen dem russischen Soldaten an der Front und dem über ihm stehenden Schreibtischtäter in Moskau. Der zweite hat Befehlsgewalt und ist verantwortlich. Er ist damit legitimes Ziel im Verteidigungskampf der Ukraine. Das Attentat kann sehr wohl zur Destabilisierung des Kartenhauses System-Putin führen.

  • Bestenfalls ein Nadelstich. Auf ein "soft target". Eigentlich ein Eingeständnis der Schwäche der UA.

  • Auch ein General ist nur ein Soldat und die sterben in Kriegen nun mal. Völlig legitime Kriegshandlung.

    • @Rikard Dobos:

      Die schönere Variante wäre sicherlich, wenn im Krieg nur die Generäle sterben würden. Für gewöhnlich sterben die niederen Dienstränge und das in großen Zahlen - Generäle erwischt es selten.



      Wer spricht sich frei von dem Gefühl der Befriedigung, das es endlich auch mal einen General erwischt? Ich nicht.

  • Tyrannenmord? Das Ziel war nur ein General, weit unter dem Tryann Putin. Wie schon bei vorhigen Anschlägen war er ein gegnerischer Soldat und damit egal wo, ob in Uniform oder Zivilkleidig, für die sich verteidigende Ukraine ein legitimes Ziel. Jeder im russischen Militäraparat ist ein gültiges Ziel. Auch Putin ist als oberster Befehlshaber ein legetimes Ziel, ohne dass man gleich den Begriff Tryannenmord verwenden muss. Man kann der Ukraine nur gratulieren dass sie immer wieder den Krieg nach Moskau bringt und damit die russische Zivilbevölkerung zu beieinflussen versucht.

  • Ausweitung? Russland hat die Ukraine angegriffen, die töten einen Soldaten der angreifenden Armee. Dazu werden sie vielfach jeden Tag um ihrer Verteidigung willen gezwungen.

    Und wenn man - durchaus nicht unersetzliche - hohe Köpfe abhackt, kann es schon Reibung im Getriebe verursachen. Generäle sind Generäle geworden, weil sie außergewöhnliche Fähigkeiten haben und die fehlen dann durchaus.

  • Tit for tat. Wie du mir so ich dir. Was Moskau schon zur Routine gemacht hat, kommt jetzt zurück. Im hybriden asymmetrischen Krieg geht es nicht um Moral, sondern um Selbstbehauptung.