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Gesetz von Deutsche Wohnen enteignenDie Utopie lebt!

„Deutsche Wohnen & Co enteignen“ will die Berliner Landespolitik zur Übernahme von Wohnungen zwingen. Dafür hat die Initiative ein Vergesellschaftungsgesetz vorgelegt.

Berliner Bekenntnis zur Enteignung Foto: Winfried Rothermel/imago

Berlin taz | Vier Jahre nach dem Berliner Volksentscheid, der die Vergesellschaftung der Bestände der großen privaten Wohnungskonzerne forderte, scheint die Utopie geplatzt. Der mehrheitliche Wunsch der Ber­li­ne­r:in­nen wurde vom Senat erfolgreich blockiert, das Vorhaben, der Stadtgesellschaft wieder Zugriff auf die Wohnungen und damit die Mietentwicklung zu ermöglichen, ist vor die Wand gefahren.

Doch womöglich haben sich die Konzerne und die politischen Geg­ne­r:in­nen des Projekts zu früh gefreut: Deutsche Wohnen & Co enteignen (DWE) lebt – und verfolgt weiterhin mit Nachdruck das Ziel, zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik, den Grundgesetzartikel 15, der die Vergesellschaftung von Grund und Boden, Naturschätzen und Produktionsmitteln regelt, zur Anwendung zu bringen.

An diesem Freitag hat die Initiative den Entwurf für ein Vergesellschaftungsgesetz auf einer Pressekonferenz vorgelegt – das Ergebnis von zwei Jahren Arbeit in Kooperation mit der Berliner Kanzlei Geulen & Klinger und einem wissenschaftlichen Beirat. Das Ergebnis ist ein Novum in der deutschen Rechtsgeschichte: Ein 20-seitiges Gesetz aus 37 Paragrafen samt seiner 100-seitigen Begründung, das die Vergesellschaftung aller Wohnungen von Konzernen mit mehr als 3.000 Wohnungen in Berlin regelt. Insgesamt etwa 220.000 Wohnungen sollen damit in eine zu gründende Anstalt öffentlichen Rechts überführt werden, für die ein eigenes Gesetz noch in Arbeit ist.

Auf dieser Grundlage strebt die Initiative ein weiteres Volksbegehren und einen finalen Volksentscheid an, dessen Ergebnis dann nicht mehr wie im ersten Anlauf ein Appell an den Senat, sondern direkt inkrafttretende Gesetze sind. „Die Ber­li­ne­r:in­nen bekommen jetzt endlich, was ihnen versprochen wurde: bezahlbare Wohnungen“, sagt Initiativen-Sprecherin Isabella Rogner.

Basteln an einem Rahmengesetz

Rückblick: 2023, zwei Jahre nach dem mit 59,1 Prozent der abgegebenen Stimmen gewonnen Volksentscheid, dem die Sammlung von 360.000 Unterschriften vorausgegangen war, hatte eine vom Senat eingesetzte juristische Ex­per­t:in­nen­kom­mis­si­on die Zulässigkeit des Vorhabens bestätigt. Die Kommission war hochkarätig besetzt, unter Führung der ehemaligen Justizministerin Herta Däubler-Gmelin; zu den Mitgliedern zähle auch die diese Woche neu gewählte Bundesverfassungsrichterin Ann-Katrin Kaufhold.

Revolution, aber legal?!

Der Vergesellschaftungsartikel

Deutschland ist kein kapitalistischer Staat – zumindest nicht laut Grundgesetz. Artikel 15 erlaubt explizit, „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel“ gegen Entschädigung „in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft“ zu überführen.

Der Volksentscheid

Angewandt wurde der Artikel noch nie. Am 26. September 2021 entschieden jedoch 59,1 Prozent der Ber­li­ne­r:in­nen per Volksentscheid: Die großen Wohnungskonzerne der Stadt sollen vergesellschaftet werden. Umgesetzt wurde das bisher nicht.

Die Reaktion

Im September 2023 kündigte DWE an, ein Vergesellschaftungsgesetz selbst zu erarbeiten. Dafür gewann sie die Berliner Kanzlei Geulen & Klinger, spezialisiert auf öffentliches und Verfassungsrecht, die für die Deutsche Umwelthilfe viele maßgebliche Klimaurteile erstritten hat.

Doch statt das Prüfergebnis anzuerkennen und sich an die Umsetzung des Wäh­le­r:in­nen­auf­trags zu machen, stellten sich CDU und SPD quer, basteln seitdem an einem „Rahmengesetz“, das aber keine Vergesellschaftungen ermöglichen soll. Im September 2023 dann die Flucht nach vorn: Die Initiative sammelte 80.000 Euro per Crowdfunding und startete die Arbeit an dem Gesetz.

Wichtiger als ein schnelles Ergebnis sei dabei gewesen, ein rechtssicheres und pragmatisches Gesetz vorzulegen, so Initiativen-Sprecherin Rogner. Vergesellschaftet werden sollen alle Grundstücke inklusive der Gebäude mit mindestens 75 Prozent Wohnanteil, die im Allein- oder Mehrheitseigentum der Konzerne stehen, ausgenommen sind landeseigene Gesellschaften, Genossenschaften oder religiöse Unternehmen. Neu dabei ist: Die betroffenen 10 oder 11 Unternehmen, darunter Vonovia als größter Wohnungskonzern des Landes, sollen 3.000 Wohnungen behalten dürfen – um eine Ungleichbehandlung mit kleineren Unternehmen zu vermeiden.

Knackpunkt des Unterfangens ist die Höhe der Entschädigung – die laut Grundgesetz in „Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen“ ist und daher unterhalb des Marktwerts liegen kann, wie auch die Ex­per­t:in­nen­kom­mis­si­on schon bestätigte.

Geld erhalten sollen die Konzerne nicht, sondern Wertpapiere mit dem Nominalwert der Entschädigungshöhe

Die Ver­fas­se­r:in­nen des Gesetzes haben einen eigenen Weg gefunden: Voll entschädigt werden soll, was auf die Leistung der Konzerne zurückzuführen ist, bemessen an den Baukosten der Gebäude und ihrem baulichen Zustand – der Gebäudesachwert. Abstriche hingegen sollen bei der Entschädigung der Bodenwerte gemacht werden, die laut Rogner eine „leistungslose Wertsteigerung darstellen, für die die Konzerne nichts getan haben“ und stattdessen einzig auf „Rendite und Spekulation“ beruhen.

Seit 2013 sind die Bodenwerte in Berlin auf beispiellose Weise in die Höhe geschnellt, mit jährlichen Steigerungsraten von bis zu 70 Prozent. Das gewählte Entschädigungsmodell nimmt nun den Durchschnittswert von 2011 bis 2013 zur Grundlage und rechnet eine moderate Steigerungsrate von 3,5 Prozent jährlich hinzu.

Entschädigungen zwischen 8 und 18 Milliarden Euro

Zusammengenommen beträgt die Entschädigung damit je nach Konzern und Art der Grundstücke und Wohnungen etwa 40 bis 60 Prozent des derzeitigen Marktwerts. „Wir gehen davon aus, dass sich die Entschädigungssumme in einem Korridor von 8 bis 18 Milliarden Euro bewegen wird“, sagt Rogner, denn aufgrund fehlender Kataster ist unklar, welche Bestände am Ende vergesellschaftet werden.

Geld erhalten sollen die Konzerne nicht, sondern Wertpapiere mit dem Nominalwert der Entschädigungshöhe. Diese Schuldverschreibungen sollen dann über 100 Jahre jährlich mit 3,5 Prozent verzinst getilgt werden, finanziert aus den Mieteinnahmen ohne Kosten für den Landeshaushalt.

Die Mieten – und das ist das entscheidende Versprechen – sollen langfristig stabilisiert, überhöhte Mieten, die etwa gegen die Mietpreisbremse verstoßen auch abgesenkt werden, so Rogner. „Insgesamt wird das einen sehr dämpfenden Effekt auf den Berliner Wohnungsmarkt und den Mietspiegel haben“, sagt sie.

Vorgesehen ist eine Übergangszeit von 18 Monaten nach Inkrafttreten des Gesetzes bis die Vergesellschaftung abgeschlossen ist. Per Gesetz werden die Konzerne zur Mitarbeit verpflichtet – unter Androhung hoher Strafen. Um Umgehungsstrategien der Konzerne entgegenzutreten, soll für die Bestimmung ihres Wohnungsbestandes bereits der Tag gelten, an dem das Volksbegehren nach Einreichung der ersten 20.000 Unterschriften durch die Innenverwaltung für zulässig erklärt wird.

Bis es so weit ist, geht das Gesetz nun bis Jahresende in eine Feedbackschleife, mit Stellungnahmen, die Verbände und Parteien abgeben sollen sowie mit Diskussionsveranstaltungen. 2026 geht es dann wieder los mit dem Sammeln von Unterschriften. Die Utopie lebt.

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2 Kommentare

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  • Man sollte durchaus erwähnen, dass die Expertenkommission in zentralen Punkten durchaus nicht einstimmig geurteilt hat und sie sich insbesondere in Sachen Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit ausschließlich von aktivistischer Seite hat beraten lassen. So einfach wird es sich das BVerfG nicht machen. Meine Glaskugel sagt: Das geht krachen, insbesondere die Idee, nicht sofort und nach dem Verkehrswert entschädigen zu müssen. Kann der DWE ja egal sein - da das Gesetz ab Tag 1 gilt, ist der Schaden angerichtet, bevor das BVerfG darüber entscheiden kann. Ausbaden wird es der Steuerzahler. Ein Schelm der böses dabei denkt. Armes Berlin.

  • Hoffen wir, dass es bald keine Utopie mehr ist! Vergesellschaftung der öffentlichen Daseinsvorsorge ist immer sinnvoll und auch immer möglich, denn der Staat ist der Schöpfer seiner eigenen Währung (Grund: www.oekologiepolit...fn7gp_CqM0RuxG5kVo ; Warum keine Inflation: www.geldfuerdiewel...gen-buch-inflation ). Bestimmte Bereiche sind in privater Hand besser aufgehoben, andere in staatlicher.