Geschlossene Schlagbäume im Westen: Deutscher Grenzfetisch
Die Kontrollen wegen Corona zerreißen eng verflochtene Nachbarländer. Die Maßnahmen nützen niemandem und zerstören Vertrauen.

E s ist ein Stück aus dem Tollhaus, das an Deutschlands Grenze zu den westlichen Nachbarn aufgeführt wird. Im Saarland, das in Jahrzehnten eine beispielhafte grenzübergreifende Zusammenarbeit mit Frankreich entwickelt hat, sind Städte und Gemeinden plötzlich durch Grenzen zerrissen, die seit mehr als zwei Jahrzehnten gar nicht mehr wahrgenommen worden sind. Nicht selten verläuft die Demarkationslinie mitten durch Ortschaften. Wer jetzt zu seinen Verwandten „drüben“ will, muss den Grenzern entwischen – sonst wird ein Bußgeld fällig. Offizielle Grenzübergänge sind verrammelt, weil für Kontrollen das Personal fehlt.
An den Übergängen sortieren Deutsche in Uniform: Franzosen und LuxemburgerInnen, die zur Arbeit wollen, dürfen durch; wer einkaufen oder gar Freundschaften pflegen will, muss draußen bleiben. Bürgermeister auf der luxemburgischen Seite setzten aus Protest die Europafahne auf Halbmast.
In Luxemburg funktioniert das Gesundheitssystem, die Regierung managt die Pandemie nicht schlechter, und die Infektionszahlen sind nicht höher als am anderen Moselufer. Deutschland stilisiert mit seinem Grenzregime die Nachbarn zur Infektionsgefahr. Es spielen sich hässliche Szenen ab, etwa wenn Besucher aus Frankreich beschimpft oder sogar bespuckt werden.
Am Wochenende haben maßgebliche PolitikerInnen in überparteilichem Gleichklang die Öffnung der Grenzen zumindest nach Frankreich und Luxemburg gefordert. Bundesinnenminister Horst Seehofer will aber erst ein „Konzept“ entwickeln. Bis dahin soll es beim Grenzmanagement bleiben, das Betroffene als konzeptlos empfinden.
Wenn der Bundesinnenminister sich vorstellen kann, in einer Woche neue Regelungen in Kraft zu setzen: Warum nicht gleich? Dazu haben ihn jedenfalls die MinisterpräsidentInnen von Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland aufgefordert. Zögert er, muss er sich „Grenzschutz-Fetischismus“ vorwerfen lassen. So hat der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn diese Haltung kritisiert, die niemandem nützt und dabei Vertrauen zerstört.
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