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Geschlechtsspezifische GewaltFrau zu sein ist gefährlich

Patricia Hecht
Kommentar von Patricia Hecht

Männer bringen Frauen um, weil diese das patriarchale Rollenbild nicht erfüllen. Gewalt gegen Frauen gehört ins öffentliche Bewusstsein.

Sonntag in Brüssel: Proteste gegen Gewalt an Frauen Foto: Ana Fernandez/SOPA Images/ZUMA/dpa

D ie größte Gefahr für Frauen sind keine Fremden in dunklen Parks oder auf der Straße – es ist der eigene Partner. Jährlich etwa 50.000 Frauen und Mädchen werden laut einer aktuellen Studie der Vereinten Nationen von ihrem Mann, ihrem Freund oder einem nahen Verwandten umgebracht, 3.000 von ihnen werden in Europa getötet.

Diese Morde sind keine „Beziehungstaten“ oder „Eifersuchtsdramen“, wie gern geschrieben wird, sondern Femizide: Morde an Frauen, weil sie Frauen sind. Männer bringen Frauen um, weil sie glauben, ein Recht darauf zu haben, dass Frauen sich unterordnen und sexuell wie emotional zur Verfügung stehen. Männer bringen Frauen um, weil diese die Machtverteilung in der Beziehung infrage stellen oder aus der Beziehung ausbrechen.

Männer bringen Frauen um, weil diese auf von der Gesellschaft verpönte Art und Weise von der Rolle abweichen, die ihnen in patriarchalen Systemen zugedacht ist: Männer zu hegen, zu pflegen, zu bewundern, ihnen zu dienen. All dies variiert seit Jahrzehnten im Detail, nicht aber im Muster.

Doch etwas ist anders in diesem Jahr. Denn langsam wird klar, dass Gewalt gegen Frauen, deren konsequenteste Ausprägung ­Femizide sind, keine Privatsache ist, sondern ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gehört. Nach anhaltenden Protesten feministischer Gruppen rief am Donnerstag etwa die Bürgermeisterin von Mexiko-Stadt den Notstand aus, um auf die steigende Zahl von Femiziden aufmerksam zu machen.

Rund 100.000 Menschen gingen am Wochenende außerdem in Frankreich auf die Straße, um gegen Gewalt an Frauen zu protestieren. Seit Monaten läuft eine Debatte über Femizide in dem Land – die Justizministerin räumte Staatsversagen ein, weil das System es nicht schafft, Frauen zu schützen. Staatspräsident Ma­cron nennt dies „Frankreichs Schande“. Auch in Rom gingen Zehntausende auf die Straße, minutenlang wurde schweigend derer gedacht, die sich nicht mehr äußern können. Die männlichen Spieler der italienischen 1. Fußballliga solidarisierten sich mit den Protesten.

Eine umfassende Strategie fehlt

Diese Aufmerksamkeit ist wichtig, weil sich nur so auch auf behördlicher und juristischer Ebene etwas bewegen wird. Hierzulande etwa wurde zwar nach langem Druck der Opposition endlich Geld für eine Koordinierungsstelle der Istanbul-Konvention bereitgestellt, eines Abkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. Auch in Frauenhäuser soll vier Jahre lang investiert werden. Doch Frau zu sein ist auch in Deutschland gefährlich – und eine umfassende Strategie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen fehlt.

Obwohl hierzulande an jedem dritten Tag ein Mann seine Partnerin oder Ex-Partnerin umbringt, ist Femizid kein eigener Straftatbestand. Die Bundesregierung verweigert schon die Anerkennung des Begriffs. Noch immer werden „Trennungstötungen“ häufig nicht als Mord eingestuft, weil Gerichte Verständnis für die Motive des verlassenen Täters zeigen.

Und Frauen, die vor der Gewalt in Frauenhäuser flüchten, finden wegen chronischer Überlastung dort oft keinen Schutz. Eine systematische Finanzierung der Häuser, eine Anerkennung des Phänomens Femizid und Schulungen von Polizei und Justiz wären nötig, um Frauenmorde in Zukunft zu verhindern.

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Patricia Hecht
Redakteurin Inland
war Chefin vom Dienst in der Berlinredaktion, hat die Seite Eins gemacht und arbeitet jetzt als Redakteurin für Geschlechterpolitik im Inland. 2019 erschien von ihr (mit M. Gürgen, S. am Orde, C. Jakob und N. Horaczek) "Angriff auf Europa - die Internationale des Rechtspopulismus" im Ch. Links Verlag. Im März 2022 erschien mit Gesine Agena und Dinah Riese "Selbstbestimmt. Für reproduktive Rechte" im Verlag Klaus Wagenbach.
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16 Kommentare

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  • Also die Zahlen des BKA bezüglich allgemeiner Gewalttaten sagen ehrlich gesagt das Gegenteil und das wundert mich nicht: die Wahrscheinlichkeit als Mann auf der Straße abgestochen zu werden ist mehr als doppelt so hoch: www.bka.de/SharedD...ublicationFile&v=3



    Eine Ideologie (nach Marx falsches Bewusstsein) bedeutet, sich die Realität der eigenen politischen Einstellung zurechtzubiegen.

  • Männer die vor (z.B. häuslicher) Gewalt flüchten wollen - auch das gibt es; ich kenne einen Fall in meinem eigenen Umfeld in welchem eine Frau ihren Partner regelmässig blutig geschlagen hat - finden im Normalfall gar kein Haus, nicht mal ein überfülltes.

    Und nebenbei: Männer sind im realen Leben unserer europäischen Gesellschaften die weitaus grössere Opfergruppe von Gewaltverbrechen (relativ und absolut, solange man nicht nur häusliche Gewalt und Sexualverbrechen betrachtet).

    Ist das nicht geschlechtsspezifisch?

    Wie soll eine wirkungsvolle Debatte über Gewalt in dieser Gesellschaft entstehen, wenn man nicht über Gewalt insgesamt (und gerne zusammen mit ihren spezifischen Formen) spricht?

  • 8G
    83492 (Profil gelöscht)

    Die Wahrscheinlichkeit Opfer eines Tötungsdelikts zu werden ist im EU-Schnitt für einen Mann doppelt so hoch wie für eine Frau [1].

    Was soll jetzt also die mediale Konzentration auf eine Opfergruppe, die im Vergleich wenig betroffen ist?

    [1] ec.europa.eu/euros...s00146&language=de

    • @83492 (Profil gelöscht):

      Weil in beiden Fällen die absolute Mehrheit der Täter Männer sind.

      • 8G
        83492 (Profil gelöscht)
        @Claude:

        Der Beitrag hat nun aber den Titel "Frau zu sein ist gefährlich" und nicht "Männer morden".

        Für mich liest sich es so, dass es schlimmer ist und mehr mediale Beachtung verdient, wenn ein gekränkter Narzisst seine (Ex)Freundin tötet als wenn zwei Machos sich abstechen. Manche Tote sind dann doch gleicher.

        • @83492 (Profil gelöscht):

          Wenn durch ein gesellschaftliches Phänomen über 100 Menschen pro Jahr in Doitschland sterben, dann ist es absolut legitim darüber zu berichten.



          Wenn darüber berichtet wird, dass über 100 Radfahrer durch LKW sterben, (Die Überschrift wäre dann: Radfahrer zu sein ist gefährlich) empören sie sich auch nicht, dass viel mehr Autofahrer durch Unfälle sterben.



          "Machos", die sich abstechen werden, entgegen Ihrer Darstellung, im oben stehenden Kommentar nicht bewertet.



          Sie sind schlicht nicht das Thema dieses Kommentars.

  • Weshalb kommt in der taz kein Artikel ohne diesen "Femizid"-Schwachsinn aus?

    Dies steht einer ordentliche Debatte im Wege. Artikel anderer Medien zeigen deutlich, dass Berichterstattung und Debatte sehr gut ohne Neubenennung funktionieren.

    Dies ist sehr bedauerlich. Anstatt sich des Themas unvoreingenommen anzunehmen, geht es hierdurch letztendlich nur noch um die richtige oder falsche Bezeichnung.

    • @DiMa:

      Letztendlich tragen auch Sie mit Ihrem Kommentar dazu bei, die Diskussion "richtiger Begriff? Ja/Nein" anzuschieben und vom eigentlichen Problem abzulenken.

      • @Claude:

        Das ist ja das schlimme daran. Eine inhaltliche Diskussion findet nicht statt.

        Ungeachtet dessen muss auch auf diesen Missstand hingewiesen werden.

  • Was ist denn bitte der Umkehrschluss, wenn "Femiziden" diese besondere Aufmerksamkeit verdienen? Wenn sich Männer gegenseitig ermorden sind sie selber schuld und es ist irgendwie weniger schlimm?

    Für mich gibt es keine Mordopfer erster oder zweiter Klasse. Jeder Mord ist furchtbar und Gewaltprävention braucht es an vielen, vielen Stellen in unserer verrückt spielenden Gesellschaft.

    Auch der Schutz für potentielle Opfer kommt zu kurz. Aber auch das gilt doch für alle Opfergruppen. Frauen, Männer, Juden, Obdachlose, Schwule, Schwangere, Behinderte, Kinder (auch ungeborene), ...

  • Die Morde/Totschläge sind zu bekagen!

    Die Überschrift des Kommentars ist leider (wieder) reißerisch-übertrieben, die Diagnose monokausal, einseitig und ideologisch.

    Unter 'gefährlich' verstehen wir normalerweise anderes.

    149 Fälle unter Zig-Millionen Frauen/Männern in Beziehungen.

    Das sind zwar 149 zu viel, aber es handelt sich um extremst seltene Fälle - einer aus der Kontrolle geratenen Beziehungsdynamik - bezogen auf die Gesamtpopulation der infrage kommenden Männer und Frauen. Sollen wir das ein hohes Risiko nennen? Üblicherweise tun wir das nicht.

    Auch bei der Diagnose hat die Autorin die Antwort parat: Das Patriarchat, das immerwährende und unveränderliche. Deutschland 2019 - das Land des Patriarchats und des Femizids! Willkommen in Absurdistan!

    Was die Ursachen eines solchen dramatischen Verlaufs eines Beziehungskonflikts sind, wäre jedoch jeweils empirisch zu klären.

    In einigen Fällen mögen Verhaltensweisen, die wir 'patriarchalisch' nennen können, eine Rolle spielen, in anderen eher nicht, i.d.R. dürften wir ein Bündel von Faktoren finden..

    Das wäre empirisch zu klären, und nicht durch eine ideologisch motivierte Vorannahme.

    Differenziertere Antworten gibt es z.B. im Wikipedia-Artikel 'Häusliche Gewalt'

    de.wikipedia.org/w...3%A4usliche_Gewalt

    Hier finden wir z.B. das Ergebnis einer Studie des Geschlechter-Forschers Peter Döge:

    „Männer und Frauen sind zu etwa gleichen Teilen „Täter“: etwa 30 Prozent der Frauen und der Männer sind gewaltaktiv, jedoch in jeweils unterschiedlichen Formen: Männer tendieren stärker zu (sichtbarer) physischer Gewalt, Frauen stärker zu (unsichtbarer) Kontrollgewalt und verbaler Gewalt.“[54]

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Frau zu sein bedarf es wenig ...

  • Gewalt hat in einer Beziehung/Partnerschaft/.. nichts zu suchen PUNKT

    Mit „Femizide“ kann ich wenig anfangen, zumal ich glaube, dass diese Begründung schon einen Schritt zu weit geht.

    Ursächlich ist doch vielmehr, dass es am notwendigen Respekt für den/die Andere/-n fehlt; von Liebe will ich in diesem Zusammenhang erst gar nicht sprechen.

    Schließlich hielte ich es – ausnahmsweise – für eine bessere Evaluierung und „Bekämpfung“ der genannten Gründe sinnvoll zu wissen, wie hoch der Migrationsanteil unter den Femizid-Tätern ist. Denn es ist doch wichtig zu wissen, ob wenigstens die bisherige Sozialisation unter den möglichen Nicht-MigrationsTätern gefruchtet hat oder nicht. Dieses Wissen wiederum ist doch dann relevant dafür, welche Schritte zur Vermeidung von Femizid-Taten zu ergreifen sind. Und um die Vermeidung der Taten muss es uns doch primär gehen!!!

    • @tazeline:

      Warum Frauen noch immer im Schnitt 23% weniger verdienen als Männer, möge uns die - ja sehr stark von Frauen gewählte - Regierungs-CDU doch bitte in diesem Zusammenhang gleichfalls mal erläutern.

      Im Kontext betrachtet handelt es sich doch hierbei auch um eine (staatlich begünstigte und beibehaltene) Unterordnung der Frauen; eine Ungleichheit, die so hirnfreie Überlegungen/Ansichten begünstigt, wie sie offenbar Femizid-Täter haben.

  • 9G
    90946 (Profil gelöscht)

    All das ist richtig und gut ist, dass die Debatte wieder geführt und weiter Druck aufgebaut wird. Nicht nur Regierungen und Behörden müssen um- und ihre Begrifflichkeit überdenken. Es ist noch mühseliger und viel langwieriger.



    Das Verhältnis zwischen den Geschlechtern ist immer noch durch Ungleichheit und die latente Gewalt(androhung) deformiert, unsicher. Das kann man ausblenden, hilft aber nicht. Frauen lernen ja all das, sie verstehen, dass Unbill (auch Gewalt) drohen kann. Es erscheint sicherer "zu hegen, zu pflegen", sich unterzuorden und emotional und sexuell zur Verfügung zu stehen. Also Kompromisse, Nachgeben, Nettsein.



    Bequem für viele, aber ganz schlecht für´s Klima. Und schade, richtig traurig.

  • "Noch immer werden „Trennungstötungen“ häufig nicht als Mord eingestuft, weil Gerichte Verständnis für die Motive des verlassenen Täters zeigen."

    Der Fall wird dann typischerweise als Totschlag eingestuft.

    Mit Verständnis der Gerichte hat das nichts zu tun, es ist schlicht eine Frage der Tatbestandsmerkmale.

    Dass ein Diebstahl nun mal kein Raub ist, hat auch nichts mit Verständnis der Gerichte zu tun.

    Wozu dieser Fake-News-Teil? Wenn ich Bild-Zeitung lesen wollte, würde ich es tun.

    Sich für eine bessere Finanzierung von Frauenhäusern und eine bessere Strategie gegen Frauentötungen einzusetzen, wäre auch ohne Fake News gut begründet gewesen.