Geschlechterrollen in Coronazeiten: Die Stunde der Schreimänner
Es braucht keine Männer, die die Pandemie kleinreden. Wichtig sind Frauen, die sich dagegen wehren, mal wieder auf Sorgearbeit festgelegt zu werden.
D a wird von allen wochenlang gefordert, man müsse die Kurve abflachen, wochenlanges Daheimbleiben für alle, und wenn die Mission gelingt, steht schon ein Männerchor in den Startlöchern und weiß alles besser. Ja, auch da gibt es Ausnahmen, Männer, die vernünftig für die Grundrechte kämpfen, aber die Regel sind die Vernuftbetonten nicht. Die Regel ist derzeit: Je lauter ich die Virologen niederstampfe, je länger mein Zeigefinger in Richtung Schweden deutet, desto heldenmutiger bin ich. Ich übe Widerstand, also bin ich, denken unsere selbsternannten Helden der Pandemie, Schreimänner nenne ich sie.
In China sind seit Ausbruch des Virus mehrere Männer verschwunden, weil sie öffentlich angeprangert haben, die Verwaltungen gingen zu fahrlässig mit der Bevölkerung um. Sie drehten Videos von mangelnden Hygienemaßnahmen, kritisierten Feste, die nicht hätten stattfinden dürfen. Die Regierung habe ihre Maßnahmen nicht den Erkenntnissen der Wissenschaft angepasst. Den Fakten. Sie handle irrational und gefährde so die Bevölkerung. Diese Männer, es ware viele, sind derzeit verschwunden. Im Westen kennt man nicht einmal ihre Namen.
Bei uns hingegen wird die Regierung für ebensolch faktenbasiertes Handeln und erfolgreiches Krisenmanagement nicht gelobt. Nein, bei uns wird das zum Vorwurf. Hier wird, Demokratie sei Dank, auch niemand eingesperrt, aber die Schreimänner führen sich auf wie Maulhelden, die es besser wissen als jene, die Deutschland gerade erfolgreich durch die Krise manövrieren. Und sie nerven. Die Grundthese ist: Ganz egal, wie viele Leute in den USA, in Spanien oder Italien sterben, die deutsche Regierung hat einfach Mist gebaut und die Wirtschaft für etwas Grippeartiges gegen die Wand gefahren. Als stünden Länder, die später zum Lockdown fanden, ökonomisch besser da.
Was daran nervt? Die Schreimänner werden gehört und kommen öffentlich durch. Sie demaskieren ihre Eitelkeiten. Um jeden Preis versuchen sie die Debatte über eine historische Pandemie zu assimilieren zu einer gewöhnlichen Meinungsdebatte. Sie könnten ja unwichtig werden, während die Virologen nun die Podcast-Charts anführen. Ach je, dann wären diese wichtigen Männer ja nur noch wie Frauen. Wie diese nervigen Frauen, von denen man gerade nur noch hört, dass ein Backlash für den Feminismus zu erwarten sei, die Geld verlangen für ihre Zeit mit Kindern – als hätten sie sich nicht selbst Kinder gewünscht, diese Frauen! So unwichtig wollen die Schreiherren keine sechs Wochen lang werden! Virologen? Weg damit!
Backlash in die 50er Jahre
Für Frauen droht unterdessen der Backlash in die Fünfziger. Das weiß seit einem grandiosen Artikel in The Atlantic die ganze Welt. Und jetzt? Was brauchen Frauen jetzt, um das zu verhindern? Selbst die klügsten Frauen ächzen auf Twitter unter der Last und wiederholen das Mantra der Fünfziger, die uns drohen; es ist wie bei diesen Geduldswürfeln früher, man kann es drehen und wenden, wie man will: Bis zum Sommer wird es wohl keinen normalen Schulunterricht geben.
Doch wo sind zumindest drei Forderungen, was Eltern oder Familien nun brauchen, damit Frauen das nicht alleine auffangen? Wie verhindern, dass Frauen an den Haushalt gebunden werden, vom öffentlichen Reden und nichtöffentlichen Denken aber abgehalten werden? Im englischsprachigen Raum reichen Akademiker derzeit Papiere ein ohne Ende, die Pandemie bekommt den Wissenschaftlern gut, während die Akademikerinnen als Verfasserinnen von Papers verschwinden.
Selbst in gebildeten und sozio-ökonomisch privilegierten Milieus schnappen in der Krise also die alten Rollen zu. Man muss hier auch über die fehlenden Fortschritte im Feminismus durch die Komplizenschaft der Frauen sprechen. Es gibt ein Milieu, das aufgeklärt genug wäre, finanziell gesichert genug, um sich jetzt gegen den Backlash zu wehren. Es ist in meiner Generation Feministinnen jedoch nicht gewünscht, mit der Rhetorik von „Frauen müssen jetzt …“ zu arbeiten. Wer aber soll jetzt, wenn nicht wir? Wenn man nur das Bedrohungsszenario an die Wand malt, erschrecken zwar alle, doch keiner weiß, was dagegen zu tun wäre.
Die Forderung nach Teilhabe und Befreiung von Sorgearbeit darf jetzt nicht von der Empörung überlagert werden, sonst rollt sich das Worst-Case-Szenario für Frauen aus. Die Herren (!) der Lage sind, abgesehen von Merkel und zwei Ministerpräsidentinnen, Männer. Es liegt in ihren Händen und es interessiert sie nur in Interviews, ob Frauen unter der Arbeit stöhnen. Das zeigte selbst Alexander Kekulé, der zwar keine politische Verantwortung trägt, aber doch kräftig mitmischt: Er bedauerte seine Frau derzeit für die Sorgearbeit – in einem TV-Interview. Thank you, darling.
Naidoo und Hildmann, das Telegram-Dreamteam
Es braucht jetzt schnell fünf klare Forderungen für Frauen, wie sie trotz Pandemie weiter am Arbeitsleben teilhaben können. Das Grundeinkommen ist keine davon, das Grundeinkommen in solchen Zeiten wäre eine Art Herdprämie. Es geht um Entlastung von Sorgearbeit. Teilhabe am Diskurs und an Schlüsselstellen in Wirtschaft, Politik, Kultur und Verwaltung. TV-Redakteure sollten in Kommunen Frauen in Verantwortung finden, die vom Krisenmanagement berichten. Sichtbarkeit ist das Gebot der Stunde.
Um Entlastungsstrategien zu finden, braucht es die Beratung der Virologen, weil der Schutz des Lebens zur Fürsorgepflicht des Staates gehört. Das ist nicht verhandelbar, wie wieder andere Männer so prominent ins Land schreien. Die Lautstärke drosseln, vor allem für das Telegram-Dreamteam Naidoo und Hildmann. Immerhin: Selbst unter den Verschwörungstheoretikern setzte sich zum Glück keine Frau durch. Die lauten Schreimänner, die nun alles Erreichte verhöhnen, indem sie die Pandemie kleinspielen, die braucht es jetzt nicht. Aber die Frauen, die mehr sind als die Sorgearbeiterinnen, auf die sie derzeit festgelegt werden sollen, die braucht es jetzt dringend.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Kretschmer als MP von Linkes Gnaden
Neuwahlen hätten der Demokratie weniger geschadet
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen