Geschichte der Staatengründung: Von der Gemeinschaft zum Staat
Warum haben sich Siedlungen zu Nationen zusammengeschlossen? Archäologische Daten aus Mesopotamien haben die Antwort.
Wie sind die ersten Staaten entstanden? Haben sich am Anfang ein paar Mächtige zusammengetan, um die Bevölkerung zu unterdrücken und deren Habseligkeiten auszubeuten?
Oder sind Menschen zusammengekommen, um zu kooperieren und gemeinsam Fortschritte zu erzielen? Beides sind Ansätze, die in der Staatstheorie debattiert werden. Doch wie lief es wirklich ab?
Die Studie
Eine neue Studie aus der Fachzeitschrift American Economic Review findet empirische Antworten. Die US-Forscher:innen analysierten archäologische Daten aus der Region Mesopotamien. Diese liegt im Süden des heutigen Iraks und ist umschlossen von den zwei großen Flüssen Euphrat und Tigris. An ihnen haben sich im Laufe der Zeit familiäre Gemeinschaften angesiedelt und diese haben von den Erträgen der Flüsse gelebt.
Vor etwa 6.000 Jahren führten Klimaveränderungen dazu, dass sich die Flussläufe an einigen Stellen änderten, sodass ein Teil der Siedlungen ihren direkten Zugang zum Wasser verloren hat.
Falls die These stimmt, dass eine Ausbeutung der Bevölkerung der Auslöser für die Staatengründung ist, müssten die ersten Staaten bei Siedlungen direkt am Fluss entstehen. Dort verlaufen Handelsrouten, das Land ist fruchtbarer.
Falls umgekehrt Staaten durch Kooperation entstanden sind, sollte das dort geschehen, wo sich der Fluss entfernt hat. Um weiterhin das Überleben an diesen Orten zu sichern, müssen Bewässerungskanäle gegraben werden, oft über 30 Kilometer lang. Dafür ist die Kooperation vieler Siedlungen nötig.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Die Forscher:innen rechneten aus, dass Dörfer, von denen sich der Fluss wegbewegt hat, eine mehr als dreieinhalbfach höhere Wahrscheinlichkeit haben, Teil eines neuen Stadtstaates zu werden, als Siedlungen, die unverändert an einem Fluss liegen.
Die Siedlungen besitzen auch mit deutlich höherer Wahrscheinlichkeit Bewässerungskanäle, Stadtmauern, Verwaltungsgebäude und aufgezeichnete Tributzahlungen. Dort hat sich ein staatliches System etabliert, in dem Infrastruktur- und Großprojekte durch gemeinschaftliche Anstrengung umgesetzt werden können.
Die Ergebnisse bedeuten jedoch nicht, dass Staatsregierungen nur gute Motive haben. Zur Zeit der Entstehung erster Staaten gab es dort keine demokratischen, sondern stark hierarchische, patriarchale Machtstrukturen. Die Studie zeigt aber, dass die Gründung der ersten Stadtstaaten zu einem erheblichen Teil durch Kooperation vorangetrieben wurde.
Was bringt’s?
Der damalige Umgang mit den veränderten lokalen Klimabedingungen könnte eine Blaupause für unseren Umgang mit dem heutigen menschengemachten Klimawandel sein. Nur durch Kooperation können diese Herausforderungen gelöst werden. Regierungen dürfen dazu nicht auf Selbstbereicherung, sondern müssen auf gemeinschaftliche Kooperation ausgelegt sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos