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Geschichte der BraunkohleprotesteDie Wühlerei und der versaute Betrieb

Verpestete Luft und zerstörte Landschaften: Deutschlands Braunkohle-Boom begann vor mehr als 250 Jahren. Die Geschichte einer Verwüstung.

Die Bewohner von Borschemich wehren sich gegen den Abriss ihrer Häuser (Archivbild 1994) Foto: imago/Sepp Spiegl

BERLIN taz | Seit Jahrhunderten wird in Deutschland über die Braunkohle gestritten. Manchmal heftig, wie jüngst im Hambacher Forst, manchmal verbal, wie am Donnerstag. Da weilt die Kohlekommission in der Lausitz, um Gegner und Befürworter des Rohstoffs vor Ort zu treffen. Bis Ende des Jahres soll das Expertengremium einen Bericht erarbeiten, der dann die Basis für einen Kohleausstieg bilden soll.

Irgendwann in den nächsten ein bis drei Jahrzehnten könnte es also vorbei sein mit der raumhungrigen, aus der Zeit gefallenen Kohleindustrie. Deren Geschichte ist schon lange eine voller Umweltsünden. Sogar, bevor Braunkohle überhaupt abgebaut wurde, gab es Probleme. So schrieb der römische Historiker Tacitus im Jahr 58: „Aus der Erde brach Feuer, das allenthalben Lagerhäuser, Korn auf dem Halm, ja Dörfer ergriff und sich bis an die Mauern der Stadt Köln ausbreitete“, berichtete er. Was da loderte war ein Braunkohle-Flöz, der aussah wie gewöhnliche Erde.

„Turff“ oder „Cöllnische Erde“ heißt das lange für wertlos gehaltene Produkt. Nach 1700 landet es immer häufiger im Ofen, weil das Holz knapp wird. 1731 nennt der Niederländer Johannes Hartmanus Degnerus die Kohlegräberei „Teutschlands neu entdeckte Goldgrube“. Die fettesten Flöze liegen im Rheinland, im Süden von Leipzig, in der Lausitz und im Helmstedter Revier. Bauern und Tagelöhner bauen den Stoff eher nebenbei in Gruben ab. Erst 1751 geht im Rheinischen der erste Tagebau in Betrieb: die Grube des Kölner Domkapitels bei Gleuel.

Seitdem wird Braunkohle systematisch gewonnen. Um sie leichter transportieren zu können, produziert man „Klütten“ genannte Presslinge, die in eine Eimerform gedrückt werden. Abgebaut wird in Abstichen von bis zu vier Meter Breite und fünf Meter Tiefe. Bald werden auch unterirdische Gruben und Strecken angelegt, immer wieder kommt es zu tödlichen Einstürzen. Das preußische Bergamt wettert 1819 über den „schlechtesten Zustand“ der Wühlerei und den „ganz versauten Betrieb“ mit seinen Risiken für Leib und Leben. Mitte des 19. Jahrhunderts erreichen die „Löcher“ das Ausmaß heutiger Fußballstadien. Die Braunkohle verliert das Stigma, der müffelnde Billigbrennstoff der Armen zu sein.

Entscheidend dafür ist der Siegeszug der Briketts. Die „Nasspresssteine“, hergestellt von dampfbetriebenen Maschinen, enthalten zwar immer noch bis zu 30 Prozent Wasser. Von 1873 an aber gelingt es, die Feuchtigkeit zu reduzieren. 1880 existieren südlich von Leipzig schon 29 Bergwerke, die 129.231 Tonnen Rohbraunkohle fördern. Auf den neuen Eisenbahnstrecken lässt sie sich gut transportieren, die Fördermenge verzehnfacht sich zwischen 1890 und 1910.

Der Einstieg ins große Stromgeschäft

Eine neue Ära beginnt 1899. Kraftwerkspionier Erich Heinrich Geist und der Direktor der Zuckerfabrik Brühl, Franz ­Flecken, gründen die Elektricitatswerk Berggeist AG. Sie verstromen ab dem 6. Januar 1900 Braunkohle, sechs Jahre später übernimmt das 1898 gegründete Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerk RWE die Aktienmehrheit. Dessen Gründer Hugo Stinnes will ganz Deutschland mit Elektrizität versorgen. 1913 lässt er das wuchtige Braunkohlekraftwerk Vorgebirgszentrale, später umbenannt in Goldenberg-Kraftwerk, errichten – der Einstieg ins groß dimensionierte Stromgeschäft. Ein halbes Jahrhundert später steigt RWE zum wichtigsten Stromunternehmen und zum größten Luftverschmutzer der Republik auf.

Während des Ersten Weltkriegs sind die Belegschaften extrem ausgedünnt, der Frauenanteil steigt auf 12 Prozent, auch Jugendliche müssen ran und erstmals auch ausländische Zwangsarbeiter. 1916 sind ein Drittel aller Arbeiter im Braunkohlebergbau Mitteldeutschlands und der Lausitz Kriegsgefangene.

Das setzt sich im Zweiten Weltkrieg fort. Unter grauenhaften Bedingungen schuften Zehntausende Zwangsarbeiter*innen. Früher als in den anderen Wirtschaftszweigen wird die erzwungene Arbeitsleistung zum festen Bestandteil betrieblicher Planungen. Das Essen ist karg, Tausende sterben an Unterernährung und Schwäche, im Winter an Kälte. Die Tagebaubetriebe kalkulieren den Tod ein und ordern vorsorglich „Nachschub“. Allein im Januar 1942 sterben im Tagebaubetrieb Grube Concordia im Revier Magdeburg 45 russische Kriegsgefangene.

„Eine dichte Rußpatina bedeckt das Dorf“

Die taz 1989 über das Kohledorf Mölbis

Die Braunkohle gehorcht der Strategie Hermann Görings, die Wirtschaft kriegsfähig und au­tark zu machen. Vor allem Treibstoff wird aus der braunen Erde hergestellt – der Standort Leuna liefert 600.000 Tonnen im Jahr für Panzer, U-Boote, Flugzeuge.

Der Autarkie-Irrsinn wird nach 1945 von der DDR fortgesetzt. Braunkohle deckt im SED-Staat zwei Drittel des Energiebedarfs und 88 Prozent der Stromerzeugung. Sie ist Grundprodukt der Chemieindustrie. In der Lausitz stampft man das legendäre Braunkohlekombinat Schwarze Pumpe mit bis zu 18.000 Beschäftigten aus dem Boden: ein „gewaltiges industrielles Zentrum, in dem sich die Kraft der Arbeiterklasse konzentriert“, schwärmt Industrieminister Fritz Selbmann im August 1955.

Die Zerstörung der Landschaft und eine atemraubende Luftverpestung werden in Kauf genommen. Als nach 1989 Reporter aus allen Ländern die Dörfer im Hinterhof der Braunkohlereviere besuchen treibt es ihnen Tränen in die Augen: Sie finden stinkende Orte, in denen kein Grashalm wachst. Mölbis, drei Kilometer vom Braunkohle-Zentrum Espenhain entfernt, wird zum dreckigsten Ort Europas gekürt. Hier hat die DDR Phenole für die Plastikherstellung, Treibstoffe, Bitumen, Teer, Koks, Schmierstoffe, Öle und Schwefel aus der Braunkohle herausgeholt. „Eine dichte Rußpatina bedeckt das Dorf“, berichtet die taz, selbst Enten und Hühner sind angeschwärzt. Die Gören, die auf dem Bürgersteig spielen, sehen aus wie Schornsteinfeger. Beißender Geruch legt jedem Neuankömmling einen Brechreiz in den Magen.“

Zurück bleiben Mondlandschaften

Auch im Westen sind die Umweltschäden apokalyptisch. Deutschland ist bis heute größter Braunkohleförderer weltweit. Wo die 200 Meter langen und 14.000 Tonnen schweren Braunkohlebagger – die größten Landmaschinen der Welt – ihre Schaufelräder drehen, bleiben Mondlandschaften zurück.

Schon um 1900 erregt der Abbau heftige Kritik. Nach Eröffnung des Braunkohlestandorts Rahmsdorf im Münsterland 1899 ist das Wasser „so schlecht, dass es das Vieh nicht mehr annimmt und es zum Genuss des Menschen nicht verwendbar ist“, so eine Bergschadensklage von 1906. Viele Ortschaften monieren braun gefärbtes Wasser, Fischsterben und pestilenzartigen Gestank. Die Verwüstungen bleiben Jahrzehnte lang folgenlos, bis in den 1970er Jahren die neue Umweltbewegung die Braunkohle ins Visier nimmt. Die Anklageliste ist lang: großräumige Grundwasserabsenkungen auf Tausenden Quadratkilometern, absackende Böden und schwere Schäden in der Landwirtschaft, dazu der Ausstoß von Feinstaub und Quecksilber, Schwefel, Stickoxid und Kohlendioxid.

Die Braunkohle rückt immer stärker ins Zentrum der Kritik. Im Sommer 1984 wird die Inbetriebnahme des Kraftwerks Buschhaus bei Helmstedt, der „Dreckschleuder der Nation“, zum Lehrstück für eine zum Himmel stinkende Umweltpolitik. Und zum Kampfplatz für Zehntausende. Die niedersächsische Regierung definiert das im Bau befindliche Kraftwerk als „Altanlage“, damit darf es ohne die vorgeschriebene Rauchgas-Entschwefelung in Betrieb gehen.

Die schlimmstern CO2-Schleudern

Der Umweltverband WWF legt im April 2004 ein Ranking deutscher Klimasünder vor. Spitzenreiter sind die Braunkohlekraftwerke Frimmersdorf, Jänschwalde und Buschhaus. Vier der fünf schlimmsten CO2-Schleudern Europas sind deutsche Braunkohlemeiler.

Wo sich der Bagger in die Flöze frisst, müssen Menschen weichen. 313 Siedlungen sind seit 1924 in Ost- und Westdeutschland umgepflügt worden. Friedhöfe wurden umgebettet, Schlösser und Kirchen sanken in Trümmer, in diesem Jahr der Dom von Immerath, ein Meisterwerk rheinischer Neuromanik. „Devastierung“ heißt das auf Braunkohledeutsch, die Verwüstung wird ins milde Lateinische transformiert.

Die meisten Dörfer, 136, wurden in der Lausitz umgesiedelt. Berühmtester Fall ist Horno, ein sorbisches 380-Seelen-Dorf, trotzig, unter Denkmalschutz, einst eines der schönsten Brandenburgs. Nach der Wende 1989 versprechen Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) und sein junger Umweltminister Matthias Platzeck die Rettung. Platzeck redet von Heimat, die Einwohner atmen auf.

Doch am 30. März 1993 beschließt das Land Brandenburg das Gegenteil – die Beseitigung Hornos für den Tagebau Jänschwalde. Es folgen zwölf Jahre juristisches Tauziehen bis zur Enteignung der letzten Einwohner im November 2005. Heute kann das sorbische Dorfleben Hornos im Archiv verschwundener Orte auf alten Filmen bestaunt werden. Die Buchführung der Zerstörung ist mustergültig. Immerhin wird sie vorerst nicht um Videos vom Hambacher Forst bereichert.

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