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Gerhart Baum zum NSU-Prozess„Vertrauen ist schwer messbar“

Beate Zschäpe behält ihre drei Pflichtverteidiger. Mit dieser Entscheidung habe sich das Gericht auf dünnem Eis bewegt, sagt Ex-Innenminister Gerhart Baum.

Wie gestört ist das Verhältnis von Angeklagter und Anwälten? Und: Darf das Gericht das wissen? Bild: reuters
Stefan Reinecke
Interview von Stefan Reinecke

taz: Herr Baum, Beate Zschäpe wollte neue Pflichtverteidiger haben. Ist das ein legitimer Wunsch?

Gerhart Baum: Im Prinzip ja. Entscheidend ist, ob dies ein ernstes Anliegen der Angeklagten ist und nicht bloß eine Laune.

Das Gericht hat anders entschieden. Beate Zschäpe muss ihre drei Verteidiger behalten. Ist das richtig?

Wie es um das Vertrauensverhältnis von Zschäpe zu ihren Anwälten bestellt ist, das lässt sich von außen natürlich nur schwer beurteilen. Vertrauen ist aber auch für das Gericht nur schwer messbar und nachprüfbar. Das Gericht hat sich auf sehr dünnem Eis bewegt.

Inwiefern?

Das Heikle ist, dass das Gericht, um das Vertrauensverhältnis beurteilen zu können, tiefe Einblicke in das Verhältnis der Angeklagten zu ihren Anwälten benötigt. Die Beziehung zwischen Angeklagten und Verteidigern ist aber tabu und durch die Strafprozessordnung geschützt. Das Gericht darf da eigentlich keine Einblicke haben.

Sonst droht was?

Es ist ja denkbar, dass Angeklagte und Anwälte Differenzen über die Prozessstrategie haben – das darf das Gericht nichts angehen. Trotzdem musste es das Verhältnis von Mandantin und Verteidigung ausleuchten, um entscheiden zu können, wie tief das Vertrauen gestört ist. Das ist im Grunde nicht akzeptabel. Ich denke: Vertrauen ist entweder vorhanden – oder nicht.

dpa
Im Interview: Gerhart Baum

81, saß 22 Jahre lang als Abgeordneter der FDP im Bundestag. Von 1978 bis 1982 war er Innenminister der sozialliberalen Regierung. Heute engagiert sich der Jurist bei Amnesty International und Human Rights Watch. Derzeit gehört er zu den Beschwerdeführern gegen das Vorratsdatenspeicherungsgesetz.

Und nun?

Das Gericht hat nun mit dieser Entscheidung große Verantwortung übernommen. Denn es riskiert den Eindruck, dass es die Angeklagte bevormundet.

Macht es nicht misstrauisch, dass Beate Zschäpe erst nach 128 Prozesstagen auffällt, dass sie ihren Anwälten misstraut. Ist das nicht reine Verzögerungstaktik?

Das kann man nicht ausschließen. Wenn Zschäpe ihren drei Anwälten aber wirklich dauerhaft misstraut, ist das eine Schwächung ihrer Verteidigung. Wie wird sie nun mit ihren Anwälten umgehen? Wie gehen die Anwälte mit einer Mandantin um, die ihnen, zumindest zeitweise, das Vertrauen entzogen hat? Der Prozess wird in eine schwierige Phase kommen.

Ist die Ablehnung von Beate Zschäpes Wunsch nach neuen Anwälten ein Revisionsgrund?

Das kann für ein Revisionsverfahren ein wichtiger Aspekt sein. Eine wirksame Verteidigung ist die fundamentale Voraussetzung jedes rechtsstaatlich organisierten Prozesses.

Das Gericht hat offenbar eine andere Gefahr gesehen. Wenn man nach 128 Prozesstagen die Verteidigung wechselt, bedeutet das de facto, dass das Verfahren von vorn beginnt …

Ob mit neuer Verteidigung der ganze Prozess hätte wiederholt werden müssen, bezweifle ich.

Aber es wäre eine nachhaltige Verzögerung …

Ja, und das ist für die Opferangehörigen eine kaum erträgliche Vorstellung. Deshalb muss das Gericht strenge Maßstäbe für einen Verteidigerwechsel anlegen. Das hat bei der Entscheidung des Gerichts wohl eine Rolle gespielt. Aber: Falls Zschäpe ihren Verteidigern langfristig misstraut, muss man, so schwer es fällt, auch dies in Kauf nehmen. Die Interessen von Nebenklägern und Angehörigen der Opfer können bei dieser Entscheidung nicht ausschlaggebend sein.

Beate Zschäpe weigert sich standhaft, auszusagen.

Das schmerzt die Opfer, ebenso wie ihr provozierendes Auftreten vor Gericht. Es wäre mehr als erfreulich, wenn sie endlich zu Zeugenaussagen Stellung nehmen würde. Aber: Kein Angeklagter kann gezwungen werden, auszusagen. Das ist ein eherner Grundsatz unseres Strafrechts.

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6 Kommentare

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  • Gerhart Baum - das alte Schlachtroß

    versucht sich in Kaffeesatzleserei -

    sagt es aber auch -

     

    Fazit -

    ein Heinrich Hannover

    fällt -

    mit Verlaub, die Dame, die Herren - nicht vom Himmel;

    &Verschwörungstheorien helfen auch nicht weiter.

  • "Vertrauen ist entweder vorhanden – oder nicht."

    In den Fällen, wo ein Angeklagter überhaupt keinen Anwalt kennt und ihm der nächstbeste Pflichtverteidiger zugeteilt wird, kann von Vertrauen generell sowieso nie die Rede sein.

    Bei Frau Zschäpe liegt der Fall aber so, dass Wolfgang Heer sie seit Prozessbeginn vertritt und Wolfgang Stahl sowie Anja Sturm Mitte 2012 als zunächst unbezahlte Wahlverteidiger dazu kamen. Zumindest hinsichtlich der beiden Wahlverteidiger darf das Gericht doch wohl ein grundsätzliches Vertrauensverhältnis unterstellen und muss sich keine Bevormundung vorwerfen lassen.

    Wenn ich einer der Anwälte wäre und mein Mandant bekundete mir sein Misstrauen, würde ich mein Mandat sofort niederlegen. In diesem Fall spricht das Prozedere eigentlich nur für eine konzertiert vor-geplante Prozessverzögerung.

  • Herzlichen Dank für das - überwiegend - nüchterne Interview mit Gerhard Baum, den ich sehr schätze. In ihrer heutigen Printausgabe fordert die TAZ ihre Leser auf, Gründe für Beate Zschäpes Schweigen zu nennen. Ich wüßte einen: sie möchte am Leben bleiben. Denn daß sich ihre Gefährten Böhnhardt und Mundlos selbst getötet haben sollen - das wird sie kaum glauben, wenn es außerhalb des Gerichtssaales schon kaum jemand glaubt, der seine Gedanken noch beisammen hat. In der staatlichen Verschwörungstheorie vom "NSU-Komplex" war ein wichtiges Indiz gewesen: Mundlos hatte Rußpartikel in der Lunge, deshalb muß er zuerst Böhnhardt erschossen, dann den Brand gelegt und schließlich sich selbst umgebracht haben. Mit dieser Aussage logen Generalbundesanwalt Range und BKA-Präsident Ziercke am 21.11.2011 den Innenausschuß des Bundestages an. Bis heute ist gegen sie keine Strafanzeige wegen Falschaussage erhoben worden. Der Thüringer NSU-Ausschuss konnte im März den bis dahin geheim gehaltenen Obduktionsbericht einsehen uns stellte fest: In den Lungen von Böhnhardt und Mundlos fanden sich keine Rußpartikel. Und im Blut übrigens auch kein Kohlenmonoxid, was ansonsten für das Einatmen von Rauchgasen gesprochen hätte. Die etablierten Medien ficht das nicht an. Die TAZ aber auch nicht. Warum??? Findet ihr es besser, etabliert, aber nicht wahrhaftig zu sein? Womit hat man euch bedroht? Redet mit uns, euren Lesern!

  • Entschuldigung - so viel Aufmerksamkeit, Nachrichtenzeit, Artikel - wem Beate Tschäpe wieviel Vertrauen schenkt oder nicht - gerade so, als ob sie das Opfer wäre!

    Dieser Frau, die mutmaßlich für diese scheußlichen NSU-Morde mitverantwortlich ist (in welchem Maß, das wird doch hoffentlich noch zu Tage treten), wird von Anfang an über die Maßen viel an Freiheiten/Rechten zugebilligt, daß es nicht nur für Außenstehende, sondern sicher besonders für die Familien der wahren OPFER schier unerträglich ist.

    • @MOTZARELLA:

      Als ob das positive Aufmerksamkeit für sie wäre. Komm mal runter. Es ist ein gutes Zeichen, dass der Fall so viel Interesse weckt. Im Grunde ist es noch zu wenig und ich finde auch, dass das agieren der Behörden und Geheimdienste noch viel mehr durchleuchtet werden müsste. Aber auch das Verhalten der Angeklagten ist relevant.

       

      "gerade so, als ob sie das Opfer wäre!"

      ich glaube nicht, dass die Opfer gerne so viel Aufmerksamkeit hätten und schon gar nicht diese Art von Aufmerksamkeit