Gerangel um den Mindestlohn: Rückenwind für 8,50 Euro
Ein Gutachten von Rechtsexperten des Bundestags stellt klar: Bestimmten Gruppen den Mindestlohn vorzuenthalten, dürfte schwierig werden.
BERLIN taz | Ausnahmen vom Mindestlohn sind nur unter strengen Bedingungen möglich. Zu diesem Schluss kommt ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags, das die Grünen-Politikern Brigitte Pothmer angefordert hat.
Seitdem CDU/CSU und SPD im Koalitionsvertrag die Einführung eines allgemeinen Mindestlohns von 8,50 Euro in der Stunde beschlossen haben, häufen sich von Wirtschaftsverbänden, einigen Forschungsinstituten und seitens der CDU und CSU Forderungen nach Ausnahmeregeln: Danach sollen Rentner, Taxifahrer, junge Erwachsene, Langzeitarbeitslose, Saisonarbeitskräfte, Studenten, Zeitungsausträger oder Arbeitskräfte, die Helfertätigkeiten verrichten, keine 8,50 Euro erhalten.
Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hält davon nicht viel. „Der Mindestlohn soll für alle Arbeitnehmer gelten, so ist das von der Bundesregierung verabredet, und so werden wir das auch umsetzen“, sagte sie vor kurzem auf ihrer ersten Pressekonferenz in Berlin.
Das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes stärkt Nahles nun teilweise den Rücken. Darin heißt es, dass ein allgemein verbindlicher Mindestlohn als „Schutzvorschrift den Arbeitnehmern zugute kommen soll“. Ausnahmen davon könnten „eine verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung darstellen“.
Aus der weiteren Argumentation der Experten folgt, dass Ausnahmen vom Mindestlohn für Personen mit Arbeitnehmerstatus zwar nicht unmöglich sind, aber einer gewichtigen Rechtfertigung bedürfen. Dies könnten beispielsweise „grundsätzlich übergeordnete arbeitsmarkt- oder wirtschaftspolitische Gründe“ sein, schreiben die Experten. In welchem Fall solch eine Begründung verfassungsrechtlich Bestand hätte, kann man aber derzeit noch nicht sagen, weil noch kein konkretes Gesetz vorliegt.
Fest steht aber, dass es schwierig werden dürfte zu begründen, warum Studenten mit Arbeitsvertrag, Rentner oder Saison- oder Hilfsarbeitskräfte keine 8,50 Euro erhalten sollten. Rechtlich unproblematisch ist es hingegen laut Wissenschaftlichem Dienst, Azubis, Praktikanten, die sich in der Ausbildung befinden oder noch zur Schule gehen, sowie ehrenamtlich Tätigen den Mindestlohn nicht zu zahlen. Denn sie zählen nicht als Arbeitnehmer. Doch über diese Gruppen besteht auch wenig Dissens: Auch die SPD sieht keinen Grund, wie übrigens auch die Gewerkschaften nicht, auf einen Mindestlohn von 8,50 Euro für Azubis zu pochen. Ehrenamtlich Tätige haben Union und SPD auch vom Mindestlohn ausgeschlossen.
Warnungen vor neuem Niedriglohnsektor
Der Streit um die anderen Gruppen dürfte weitergehen. Grünen-Politikern Brigitte Pothmer warnte am Montag vor den Folgen von Ausnahmen: „Wenn sie Saisonarbeitskräfte, Rentner oder Studenten ausschließen, dann werden plötzlich viel mehr Jobs zu solchen Gruppen am Arbeitsmarkt verschoben. Die Gefahr besteht, damit einen neuen Niedriglohnsektor zu schaffen.“ Wesentlich sei jetzt, so Pothmer, dass die Unternehmen die Zeit bis zur Einführung eines allgemeinen Mindestlohns ab 2015 nutzten, um sich umzustellen. Auch Thorsten Schulten von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung warnte vor neuen „Umgehungsstrategien“: „Wenn das System funktionieren soll, dann braucht es ein System ohne Ausnahmen.“
Zumindest in der Landwirtschaft ist man für die Saisonarbeitskräfte schon einen Schritt weiter. Dort gilt mittlerweile ein Tarifvertrag, der auch für ungelernte Aushilfskräfte eine Lohnuntergrenze vorsieht, die in Ost und West ab Mitte 2017 bei 8,50 Euro liegen soll.
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