Geplante „Maya“-Bahn durch Mexiko: Ein gefährlicher Zug
In Mexiko soll der „Maya-Zug“ durch Regenwald gebaut werden – mit Hilfe der Deutschen Bahn. Wie passt das zum grünen Image des Konzerns?
V on der Terrasse aus kann Romel Rubén González Díaz den Regenwald sehen. Er schwenkt den Laptop, stolz zeigt er die Bäume, die er und seine Mitstreiter:innen seit 20 Jahren schützen und pflegen. „Weiter hinten stehen Bananenstauden“, sagt González Díaz. „Und hier vorne: eine Ceiba, der heilige Baum der Maya.“
In diesem Teil des Biosphärenreservats Calakmul im Süden Mexikos ist der Wald noch intakt. Keine 30 Kilometer weiter soll sich das bald ändern. Mitten durch den Urwald, der seit Jahrhunderten die Lebensgrundlage vieler indigener Maya ist, will der mexikanische Präsident Andrés Manuel López Obrador eine Schneise schlagen und Schienen verlegen. Züge sollen Tourist:innen von den Karibikstränden Yucatáns zu den Mayastätten an der Grenze zu Guatemala bringen – bis zu drei Millionen pro Jahr. Güterwaggons sollen Waren transportieren.
Laut dem Präsidenten soll das Megaprojekt Arbeitsplätze, Fortschritt und Wohlstand in den Süden Mexikos bringen. Der Aktivist González Díaz sagt: „Das ist ein Projekt voller Lügen und Rechtsbrüche.“
Er ist für das Videogespräch in eine Lodge für Ökotourismus gefahren, die seine Organisation gebaut hat – eine Art Gegenentwurf zum Massentourismus, den der Präsident plant. González Díaz, ein gut gelaunter Mann Mitte 50, ist einer der Mitgründer des indigenen Rates CRIPX, der seit zwei Jahrzehnten die Interessen von indigenen Gruppen im Süden Mexikos vertritt. „Dieser Zug war von Anfang an eine schlechte Idee,“ sagt er. „Wir wollen nicht, dass er gebaut wird.“
Romel Rubén González Díaz, Aktivist
Rund sechs Milliarden Euro könnte das Megaprojekt kosten, 1.500 Kilometer Schiene, Schnellzüge, die mit 160 Stundenkilometern durch den Urwald brettern. Mit dem Zug will sich Präsident López Obrador verewigen. Im vergangenen Jahr haben die Arbeiten begonnen, bis zum Ende seiner Amtszeit 2024 soll er unbedingt fertig sein. „Egal ob es regnet, blitzt oder donnert, der Maya-Zug wird gebaut“, sagte López Obrador bei einer Veranstaltung in der Region. „Ob ihr es wollt oder nicht.“
Man kann das als Kampfansage gegen Organisationen wie die von González Díaz deuten. In ganz Mexiko protestieren Vereine und zivilgesellschaftliche Gruppen gegen das Megaprojekt, seit die Pläne 2018 bekannt wurden. Sie fürchten, dass das sensible Ökosystem der Region zerstört und die Lebensweise der indigenen Maya infrage gestellt wird. Und dass mit den Tourist:innen vielleicht Geld kommt – aber nicht für die Menschen vor Ort.
„Man muss verstehen, dass der Maya-Zug ein neokoloniales Projekt ist. Es kommt aus dem Zentrum der Republik, geplant von oben, ohne die Menschen vor Ort“, sagt González Díaz. Allein der Name sei eine Beleidigung für die Millionen Maya in Südmexiko. „An diesem Zug ist nichts indigen. Er kommerzialisiert unsere Kultur, um Touristen anzuziehen.“ Nicht mal das Design der Logos und Werbetafeln sei authentisch. Es sei nach den Klischeevorstellungen der Tourist:innen gemacht, habe aber in Wahrheit nichts mit indigenen Symbolen zu tun.
González Díaz arbeitet seit über zwei Jahrzehnten als Aktivist für die Rechte indigener Gruppen. Er kennt die Lebenssituationen und Bedürfnisse vor Ort. Er kennt aber auch die Sprache von Politik und Gesetz. Anfang 2020 hat die Organisation CRIPX einen Hebel gefunden, um Teile des Projekts zumindest vorübergehend zu stoppen: Beschwerden vor Gericht. Auf eine solche Beschwerde von Anwohner:innen verhängte eine Richterin den ersten Baustopp. Mittlerweile, sagt González Díaz, dürfe an über einem Dutzend weiteren Stellen nicht weitergebaut werden. „Das ist ein Riesenerfolg für uns, auch wenn die Stopps erst einmal vorübergehend sind“, sagt er.
Ein wesentlicher Punkt in der Argumentation: Die Betroffenen seien nicht angemessen einbezogen worden. So verlangt es die ILO-Konvention 169. Das „Übereinkommen über eingeborene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern“ soll die Grundrechte von indigenen Gruppen schützen.
Mexiko hat den Vertrag unterzeichnet. Kernstück ist das Recht auf Konsultation. Der Staat muss indigene Gemeinschaften befragen, wann immer sie von staatlichem Handeln betroffen sind. Die Gemeinschaften dürfen „Nein“ sagen. Doch genau das, sagen Beobachter:innen, ginge beim Maya-Zug nicht.
Ende 2019 ließ Präsident López Obrador Befragungen und Informationsveranstaltungen in 15 Gemeinden in der Region durchführen. Vertreter:innen der Vereinten Nationen waren vor Ort und kritisierten im Anschluss den Prozess: In den Versammlungen seien nur die Vorteile des Projekts genannt worden. Zudem seien vor allem Vorsteher:innen von Dörfern und Gemeinden eingeladen worden, nicht alle Betroffenen. Viele hätten sich die Anreise nicht leisten können, oft hätte es keine Übersetzungen gegeben.
González Díaz war bei einer der Veranstaltungen dabei. „Das war nichts als Theater“, sagt er. Vorne hätten Vertreter:innen der Behörden auf einem Podium gesessen, im Publikum mehrere Hundert Menschen. Beim zweiten Versuch zu sprechen sei er abgewürgt worden. „Ich kenne Konsultationen, die über zwei Jahre gedauert haben“, sagt González Díaz. „Hier ging es um ein paar Wochen. Das verletzt die Rechte indigener Gruppen.“
Während die einen versuchen, den Zug zu verhindern, sehen andere in ihm eine Chance auf Gewinne. Unternehmen weltweit wollen sich beteiligen, darunter auch große Unternehmen aus Deutschland. Auf Twitter gibt es ein Foto aus dem Jahr 2019: Acht Personen in Businesskleidung, im Hintergrund Karten mit dem Streckenverlauf des Maya-Zugs. Es sind Vertreter:innen des TÜV Rheinland, der deutschen KfW IPEX-Bank, der Deutschen Bahn und des Tren-Maya-Projekts. Die Deutsche Botschaft in Mexiko bestätigt, dass sie das Treffen vermittelt habe.
Zwei Jahre später schreibt die KfW IPEX-Bank: keine Beteiligung. Der TÜV Rheinland sagt, er habe ein Angebot abgegeben, um die Sicherheitsstandards des Projekts zu überwachen, Auftragswert: etwa sechs Millionen Euro. Doch die zuständige Behörde schloss das Unternehmen aus, der TÜV Rheinland hat deshalb Beschwerde eingelegt.
Die Deutsche Bahn hingegen hatte Erfolg. Für 8,6 Millionen Euro plant ihr Tochterunternehmen DB Engineering & Consulting GmbH als so genannter Shadow Operator den Betriebsablauf des Tren Maya – bevor überhaupt der erste Zug rollt. Der Vertrag läuft seit Dezember 2020 für insgesamt drei Jahre.
In Deutschland gilt die Bahn als ökologisches Verkehrsmittel, umweltfreundlicher als das Privatauto – als das Flugzeug sowieso. Die Deutsche Bahn wirbt selbst offensiv damit, auch in Lateinamerika. Auf Twitter kann man ein Zitat vom dortigen Vorstand der DB Engineering & Consulting lesen: „Ohne den Verkehr maßgeblich auf ein starkes Schienennetz zu verlegen, werden wir unsere Klimaziele nicht erreichen.“
In der Region leben bedrohte Tierarten wie Pumas
Der Maya-Zug in Mexiko aber steht in den Augen ihrer Gegner für das genaue Gegenteil: die Zerstörung des Regenwalds. Die mexikanische Umweltorganisation CEMDA etwa listet auf ihrer Webseite Dutzende Gründe auf: Ökosysteme würden zerschnitten, das ohnehin knappe Grundwasser drohe zu versickern. In der Region lebten bedrohte Tierarten, Pumas, Jaguare, Iguanas, Fledermäuse.
Es sei nicht absehbar, welche Folgen die Abholzung habe. CEMDA fordert deshalb wie andere Organisationen auch eine Umweltverträglichkeitsstudie für die 23 betroffenen Naturschutzgebiete. Neben dem Ausbau der Trasse befürchtet die Organisation einen kompletten Wandel in der Landnutzung auf der Halbinsel – durch den Ausbau des Tourismus und neu entstehende Siedlungen. Schon jetzt werden neue Straßen geplant, um einer Überlastung des bestehenden Verkehrsnetzes während der Bauarbeiten entgegenzuwirken.
„Allein hier in Calakmul gibt es Hunderttausende Hektar Regenwald“, sagt auch González Díaz. Neben dem Amazonasgebiet absorbiere die Region weltweit mit am meisten CO2. „Und die Winde tragen den frischen Sauerstoff direkt nach Europa.“ In der Region Calakmul, wo González Díaz lebt, würde der beste Honig Mexikos hergestellt. Viele Menschen lebten von der Imkerei. All das, sagt González Díaz, bedrohe der Zug.
Wie passt das grüne Image, das sich die Deutsche Bahn gibt, zu einem Megaprojekt, das wegen Umweltzerstörung und der Missachtung indigener Rechte in der Kritik steht?
Die Linken-Bundestagsabgeordnete Eva-Maria Schreiber sagt: gar nicht. „Wenn ein staatliches deutsches Unternehmen wie die Deutsche Bahn sich an einem Projekt beteiligt, dann sollte man die höchsten Standards erwarten dürfen. Beim Tren Maya ist es offensichtlich, dass menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten verletzt wurden und werden.“
Erst durch Schreibers Anfrage im Bundestag wurde die Höhe der Beteiligung der Deutschen Bahn im Mai 2021 öffentlich. Das Verkehrsministerium musste auf die Anfrage antworten, die Deutsche Bahn ist ein bundeseigener Betrieb. Die Bahn selbst spricht kaum über das Projekt.
Ende Juni hat Deutschland die ILO-Konvention 169 zum Schutz indigener Rechte ratifiziert. Nun stellt sich die Frage: Was bedeutet das? Dürfen etwa deutsche Unternehmen nur noch im Ausland investieren, wenn sie sicher sind, dass die indigenen Rechte der Konvention gewahrt werden? Gilt das zumindest für bundeseigene Betriebe wie die Deutsche Bahn?
„Der Fall Tren Maya zeigt, dass der Geist der Konvention noch mit Leben gefüllt werden muss“, sagt der Grünen-Bundestagsabgeordnete Kai Gehring, Mitglied im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe. Es brauche verbindliche Menschenrechtsstandards für deutsche Unternehmen, die im Ausland investierten.
Dazu gehöre auch das Recht auf freie Zustimmung indigener Gruppen. „Beteiligte deutsche Unternehmen sollten Menschenrechte entlang der gesamten Lieferkette berücksichtigen und die Umsetzung der Konvention von Auftraggebern und Partnerfirmen konsequent einfordern.“
Die Abgeordnete Eva-Maria Schreiber sieht die Bundesregierung auch unabhängig von der Konvention in der Verantwortung. „Von einer Regierung, die ein Lieferkettengesetz verabschiedet, sollte man mindestens erwarten können, dass ihre eigenen Unternehmen mit gutem Beispiel vorangehen“, sagt sie.
Die Deutsche Bahn weicht unseren Fragen aus. Eine Sprecherin geht weder darauf ein, ob sie die Vorwürfe der Gegner vor Ort kennt, noch auf Fragen zur Verantwortung des Unternehmens. Das Projekt werde neben aller Kritik auch als Chance zur Entwicklung der Region gesehen, schreibt sie.
Sie verweist zudem auf UN-Organisationen, die das Projekt begleiten. Eine von ihnen, das Büro für Menschenrechte in Mexiko, gehört jedoch zu den Kritikern des Konsultationsprozesses. Auch das Verkehrsministerium äußert sich nicht zu den Vorwürfen – obwohl es für den Bund die Interessen als Eigentümer der Deutschen Bahn AG wahrnimmt. Auf die Frage, ob es sich für die Kontrolle der Einhaltung von Menschenrechten und ökologischen Standards verantwortlich sehe, verweist ein Sprecher lediglich auf den Aufsichtsrat des Konzerns.
Mittlerweile ist auch der Protest gegen den Maya-Zug in Europa angekommen. Ende Juni legt ein Segelschiff in einem kleinen Hafen in Galizien an. Dort, wo 500 Jahre zuvor Christoph Columbus nach seiner Rückkehr die „Entdeckung“ Amerikas verkündete. Galizische Dudelsäcke spielen, sieben Personen gehen von Bord, die Fäuste nach oben gestreckt.
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Es ist die zapatistische Delegation „Escuadrón 421“, nach 50-tägiger Überfahrt aus Mexiko sind sie in Europa angekommen. Die Zapatist:innen wollen in den kommenden Monaten alle fünf Kontinente bereisen und sich mit sozialen Bewegungen austauschen. Die Zapatistas sind indigene Widerständige. Im Urwald Südmexikos kämpfen sie für indigene Selbstbestimmung und gegen die Folgen jahrhundertelanger Kolonialisierung – genau in der Region, durch die der Maya-Zug gehen soll.
Ein Netzwerk aktivistischer Gruppen koordiniert die Reise der Zapatistas. Die Gruppe Chico Mendes Berlin will die Reise nutzen, um auch in Deutschland auf den Maya-Zug aufmerksam zu machen. „Wir glauben, dass der Besuch der Menschen, die vor Ort konkret Widerstand gegen den Maya-Zug leisten, ein guter Anlass ist, um auch hier in Deutschland zu zeigen: Wir lassen uns vom grünen Image der Deutschen Bahn nicht täuschen“, sagt Viktor, der Teil der Gruppe ist.
Die Aktivistin Claudia von der Gruppe Voces de Guatemala erlebt, dass sich Aktivist:innen aus dem Globalen Süden immer stärker mit Aktivist:innen aus Deutschland vernetzen. „Das ist wichtig, weil auch Unternehmen international agieren“, sagt sie. Sie weiß auch, dass Protest in Ländern wie Guatemala oder Mexiko gefährlich sein kann. „Wenn du dort Widerstand leistest, bist du dir bewusst, dass du ermordet werden kannst – und nicht nur du, sondern auch deine Familie“, sagt sie.
Brief an den Präsidenten
Das hat auch Gonzáles Díaz in Mexiko erlebt. Er erzählt von einem Unternehmen, das im Auftrag der mexikanischen Regierung mit den Anwohner:innen an den Schienen über die Durchfahrtsrechte des Zugs verhandelte. Die Anwohner:innen berichten, dass sie betrogen, erpresst und bedroht wurden – auch mit Waffengewalt. Die Pressekonferenz ist nach wie vor online. „Wir haben das bei der Staatsanwaltschaft angezeigt“, sagt González Díaz. „Aber bis jetzt ist nichts passiert.“ Im Mai haben die Betroffenen ihre Vorwürfe in einem Brief an den Präsidenten wiederholt.
González Díaz erzählt auch, dass er selbst Todesdrohungen bekomme. „Sie rufen dich auf dem Handy an“, sagt er. „Sie sagen das nicht explizit, aber es ist vollkommen klar, was gemeint ist.“ González Díaz führt die Drohungen auf sein Engagement gegen den Zug zurück. Im indigenen Rat CRIPX seien sie aufmerksamer und vorsichtiger geworden, sagt er. „Wir arbeiten in Teams, wir benachrichtigen uns untereinander, wo wir sind und wohin wir gehen.“
Die Deutsche Bahn antwortet nicht auf die Frage, ob sie die Berichte über Drohungen und Betrug kennt.
Dawid Bartelt leitet das mexikanischen Büro der Heinrich-Böll-Stiftung. Er kennt González Díaz und die Arbeit des CRIPX. Und er macht sich Sorgen. „Es ist bisher zum Glück bei Drohungen geblieben“, sagt er. „Aber gerade Mexiko ist ein gefährliches Land für Menschenrechts- und Umweltaktivisten.“ Die mexikanische Regierung hat gerade aktuelle Zahlen veröffentlicht. Seit dem Amtsantritt von López Obrador Ende 2018 sind 68 Menschenrechtler:innen ermordet wurden.
Der mexikanische Präsident, der mit einem linksliberalen Programm angetreten war, reagiert selbst zunehmend ungehalten auf Kritik an seinem Lieblingsprojekt. Im Sommer 2020 bezichtigte er die „sogenannte Zivilgesellschaft“, für den Protest Geld aus dem Ausland zu erhalten. „Sie verkleiden sich für Geld als Umweltschützer und Menschenrechtler“, sagte er. Sein Sprecher nannte sogar mehrere Organisationen namentlich, darunter auch die CRIPX.
Dawid Bartelt von der Heinrich-Böll-Stiftung wertet das als besorgniserregendes Signal in Richtung organisierter Zivilgesellschaft – und zieht auch eine Verbindung zu den Todesdrohungen. „Die Regierung muss sich schon fragen lassen, ob sie nicht zumindest mit der öffentlichen Denunziation von Organisationen dazu beiträgt, ein Klima zu schaffen, in dem so etwas passiert“, sagt er.
Der mexikanische Präsident will den Zug bauen, ob es regnet, donnert oder blitzt. In der Lodge im Regenwald Südmexikos widerspricht Ruben Romel González Díaz. „Ich glaube nicht, dass sie es schaffen, das gesamte Projekt fertigzustellen. Es gibt immer mehr Menschen, die sich dagegenstellen. Das wird nicht einfach für sie.“
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