Generation Z mag musikalischen Trash: Britney Spears muss geliebt werden
Popmusik, die als Trash galt, wird von vielen Jungen ohne ironischen Sicherheitsabstand gefeiert. Und nun auch erforscht. Muss das sein?
Es ist kompliziert, über Trash zu sprechen. Wer sich mit Musik beschäftigt, die viele hassen und noch mehr Menschen lieben, spaziert geradewegs hinein in die Vorstadt-Mall des Pop. Man befindet sich also an einem Ort, an dem die Oberflächen noch glänzender sind als anderswo, an dem die Neonreklame stressig blinkt, an dem alles – durch die bürgerliche Distinktionshornbrille betrachtet – im Ringen um Glamour und Größe extrabillig, extragewöhnlich wirkt.
Wer etwas auf sich hielt, ließ sich dort lange Zeit nicht blicken: Individualität behaupten und Massenware tragen, das passt eben nicht zusammen.
Oder eher: passte. Denn gerade Millennials und die noch jüngere Generation Z haben für sich entdeckt und gekapert, was lange als trivial und kitschig galt. Den US-Mainstream-Superstar Britney Spears zu lieben gehört inzwischen eher zur Pflicht als zur Ausnahme.
Peinliche Popkultur wird erforscht
Social-Media-Kanäle mit Hunderttausenden Followern feiern die Stars der Nullerjahre, die mit ihrem Hochglanzpop und ihren Teen-Komödien lange als Inbegriff von Bad Taste galten. Eine Schauspielerin wie Lindsey Lohan, die noch vor zehn Jahren als gescheitertes Ex-Teenidol verarscht wurde, ist nun „iconic“, genauso in Vergessenheit geratene Mainstream-Acts wie die Pussycat Dolls.
Auch und gerade in Deutschland wurde alles, was nach Pop und purer Unterhaltung aussah, als Trash abgewatscht. Als allerdings vor rund einem Jahr die Alben der Popband No Angels erstmals auf Spotify erschienen, begleitete eine Medien- und Fan-Euphorie diese Veröffentlichung. Nun wurde die Gruppe beim „Preis für Popkultur“ für ihr Lebenswerk ausgezeichnet.
Man geht also sicher nicht zu weit, wenn man sagt, das „Guilty Pleasure“ liegt im Sterben. Vormals peinliche Popkultur wird ganz öffentlich, ganz unironisch geliebt – und nun auch in Deutschland erforscht.
„Zeig doch mal die Möpse“
Vor Kurzem hat Marina Schwarz, Musikwissenschaftlerin an der Universität Leipzig, einen Essayband herausgebracht: „Das verdächtig Populäre in der Musik. Warum wir mögen, wofür wir uns schämen“ heißt die Sammlung wissenschaftlicher Texte, in denen sie und viele weitere Autor:innen Genres untersuchen, denen sich Kolleg:innen aus Forschung und Feuilleton (und vielleicht sogar Hardcore-Pop-Fans) lange nur mit Sicherheitsabstand näherten: klischeeverklebten Irish Folk, Musicalsongs, Filmmusik aus dem seltsamen „Niemandsland“ zwischen Pop und seichter Klassik und sogar die Neoklassik von Künstlern wie Ludovico Einaudi, die vielen als musikalisches Raumparfum gilt.
Marina Schwarz selbst widmet sich unter der Überschrift „Schon wieder besoffen“ dem Endgegner des stilsicheren Musikhörers: Ballermann-Schlagersound, der vor allem an einem räumlich begrenzten Ort, dem Ausgehviertel von Palma de Mallorca, unter ganz bestimmten Bedingungen gehört wird, wie Schwarz analysiert – außerhalb dieser Parallelwelt aber nicht so recht gesellschaftsfähig ist (und es auch vielleicht, hört man sich Mickie-Krause-Burner wie „Zeig doch mal die Möpse“ an, auch besser nicht sein sollte).
Cultural, Gender, Postcolonial und Queer
Die derben, sexistischen Malle-Hits sind allerdings ein Extremfall. Grundsätzlich aber, so eine Grundannahme des Sammelbandes, steht das Populäre eigentlich immer unter Verdacht; es bringt seine Fans wie auch Erforscher:innen in Verruf. Neu ist, dass heute der „Verdacht verdächtig geworden“ ist, wie José Gálvez in seinem Beitrag schreibt.
Der Musikwissenschaftler macht in seinem Buchbeitrag unter anderem die Konjunktur von Bindestrich-Fächern wie Cultural, Gender, Postcolonial und Queer Studies verantwortlich, den damit zusammenhängenden Erfolg der Forschungsfelder New und Critical Musicology – und die Etablierung der Popular Music Studies. Etwas verkürzt könnte man vielleicht sagen: Wissenschaft hat ihr Interesse an Perspektiven jenseits der Hegemonialgesellschaft entdeckt und damit auch Musik, die früher von den Hochkultur-Gatekeepern ignoriert wurde.
Susan Sontag war schon da
Sich Gedanken darüber zu machen, was guter Geschmack, schlechter Geschmack und guter schlechter Geschmack ist, ist natürlich keine neue Idee; ebenso wenig ist es der Kniff, sich mit vermeintlich Grottigem (oder dem, was die Geschmackswächter gerade dafür halten) von der Masse abzugrenzen. Susan Sontag widmete sich schon 1964 in ihrem berühmten Essays „Notes on Camp“ der Beschaffenheit von Ausdrucksformen, die viele wohl minderwertig oder kitschig nennen würden, und ihrer Aneignung unter anderem durch die queere Szene.
Auch in Deutschland provozierten und provozieren Queers gern mit ihrer offenen Liebe für Schlager und Eurovision-Kitsch. Eine prominente Rolle spielte zum Beispiel Christian Anders’ Hit „Geh nicht vorbei“ in Fassbinders Film „Warum läuft Herr R. Amok?“, wo er in einer Jukebox gespielt wird.
Guilty Pleasure ist hochpolitisch
In der Wissenschaft allerdings, selbst in den „Popular Music Studies“, hat man wirklich populäre Musik lange nicht unter klanglichen Aspekten erforscht, schreibt José Gálvez. Wie spannend oder relevant man es findet, scheinbar allzu Simples zu sezieren, darf man nach dem Lesen des Bandes entscheiden; eine der spannendsten Erkenntnisse aus den Texten ist in jedem Fall: Guilty Pleasure ist zugleich seicht und hochpolitisch, denn es gibt Auskunft über Machtstrukturen. Welche Vorlieben man stolz mit der Welt teilt und welche lieber verschweigt, hängt davon ab, wer gerade den „guten Geschmack“ diktiert.
Als der Begriff „Guilty Pleasure“ 1860 zum ersten Mal in einer Zeitung auftauchte, schreibt die Autorin Jennifer Szalai im New Yorker, war damit ein Bordell gemeint. Die australische Musikwissenschaftlerin Jadey O’Regan verortet den Ursprung des modernen Guilty-Pleasure-Begriffs – eine peinliche, uncoole Vorliebe – in den 1980ern.
„Authentisch“ ist nicht besser
Ein Beitrag im Sammelband handelt von Steven Wilson, einst Sänger der Band Porcupine Tree und einer der Säulenheiligen des modernen Progrock, der seine Karriere just in den 1980ern begann. Der Musikwissenschaftler Attila Kornel beschreibt, wie Wilson 2017 Entsetzen bei seinen Fans auslöste, da er den ultimativen Verrat am Underground beging: Er ließ sich dazu herab, im „ZDF-Morgenmagazin“ aufzutreten, und das auch noch mit seinem Album „To The Bone“. Damit war er bei vielen seiner rocksozialisierten Hörer:innen durchgefallen, weil die Musik ungewohnt poppig klang. Plötzlich stand Wilson im Verdacht, sich dem Massengeschmack anzubiedern.
Solchen Urteilen liegt der Glaube zugrunde, dass die als „authentisch“ geltende Rockmusik mehr Wert hat als Pop, dessen Unterhaltungs- und Warencharakter offensichtlicher ist. Das US-Online-Musikmagazin Pitchfork, für viele Gradmesser des guten Geschmacks, veröffentlichte kürzlich ein Special mit Albumrezensionen, die der Redaktion mit einigen Jahren Abstand unangemessen erschienen.
Marina Schwarz (Hrsg.): „Das verdächtig Populäre in der Musik. Warum wir mögen, wofür wir uns schämen“. Springer: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2021, 310 Seiten, 44,99 Euro
Darunter waren ziemlich viele Pop-Alben, deren Bewertung nach oben korrigiert werden musste. Zum Beispiel das titellose Album der Chicagoer Sängerin Liz Phair, die vor 18 Jahren mit null Punkten abgestraft wurde – weil es dem Rezensenten nicht passte, dass die frühere Indiesängerin sich radiofreundlichen Popsongs zuwandte. (Er selbst hatte sich schon vor zwei Jahren für seine damalige Arroganz entschuldigt.)
Mit zu viel Inhalt gefüllt?
Die neue, glühende Liebe zum „Guilty Pleasure“ kann man als Zeichen von Demokratisierung lesen. Denn aus der Ablehnung von bunter Berieselung spricht auch oft Verachtung für tanzende, extravagante, irgendwie queere Typen, für angeblich ferngesteuerte Pop-Girls und alle vermeintlichen Normalos, die zu „so was“ auch noch im Viervierteltakt klatschen. Je mehr Frauen, People of Colour, Schwarze und homosexuelle Menschen als Kulturschaffende und Fans zu sagen haben, desto offensichtlicher wird, dass sich das Verständnis von „guter“ Popmusik lange auf das Schaffen von ernsten weißen Gitarrenmännern beschränkte.
Camp, Kitsch und Populäre Kultur ernst zu nehmen, trotz oder gerade wegen der Beliebtheit von Kunst genauer hinzuhören, kann bereichernd sein, birgt aber auch die Gefahr, mit allzu viel Inhalt füllen zu wollen, was doch eigentlich vor allem (simple) Form sein mag.
Um zu klären, was „Trash“ überhaupt sein soll, führt Martina Schwarz in der Einleitung des Bandes einen der „bekanntesten Fürsprecher von Trash“ an: Oscar aus der Tonne. Der zottelige Diogenes aus der Sesamstraße hortet in seinem bodenlosen Heimkübel angeblich eine Kunstgalerie und ein Klavier sowie Gegenstände, die ihm aus persönlichen Gründen wichtig sind. Aber eben auch: Müll, den er einfach liebt, weil er Müll ist. Manchmal ist es nicht mehr, aber eben auch nicht weniger.
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