Generalsanierung der Bahn: Schienen-Shutdown zwischen Hamburg und Berlin
Für neun Monate ist die Bahnverbindung zwischen Deutschlands beiden größten Städten gesperrt. Orte an der Strecke sind von der Schiene abgekoppelt.

Insgesamt führten die neu verlegten Gleise durch die Hoheitsgebiete von sechs eigenständigen Ländern: Neben den genannten dänischen Herzogtümern gab es das Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin, das Königreich Preußen sowie die beiden freien Hansestädte Hamburg und Lübeck.
Diese Länder schlossen damals einen Staatsvertrag, der den Verlauf der Strecke und – Achtung – die Transitzölle regelte. Die extra dafür gegründete Berlin-Hamburger Eisenbahn-Gesellschaft, eine private Aktiengesellschaft, verlegte ab 1844 die Gleise und baute die gesamte Strecke aus.
Neue Kunst in alten Bahnhöfen
Dort, wo ab 1846 die Dampfloks mit Getöse und Kohlengeruch starteten und einfuhren, ist jetzt Kunst zu sehen. In Hamburg kam die Bahn im Berliner Bahnhof an, wo heute die Deichtorhallen stehen. Die früheren Markthallen sind inzwischen Galerien für europäische Fotokunst und aktuelle Kunst. Ziel in Berlin war der Hamburger Bahnhof. Es ist eins der ältesten noch erhaltenen Bahnhofsgebäude in Deutschland und beherbergt heute die Nationalgalerie der Gegenwart, ein Museum für zeitgenössische Kunst.
Die 280 Kilometer lange Strecke führt über Spandau, Wittenberge, Ludwigslust und Büchen. Sie verbindet die beiden größten deutschen Städte und ist damit auch heute noch eine der wichtigsten Bahnverbindungen im DB-Streckennetz. Schon im ersten Jahr nach dem Bau nutzen sie rund eine halbe Million Zugreisende. Allerdings nicht unbedingt in der ganzen Länge. Reisende waren wohl sehr viel öfter auf kürzeren Abschnitten unterwegs. Etwa zwischen Spandau und Nauen, Berlin und Wittenberge oder Büchen und Hamburg.
Auch heute pendeln mehrere Tausend Menschen täglich aus Wittenberge oder Nauen nach Berlin. Oder aus Wittenberge nach Hamburg. Wenn nun ab dem heutigen 1. August diese Strecke für 9 Monate komplett gesperrt ist, damit die Bahn sie erneuern und sanieren und Bahnhöfe an der Strecke aufhübschen kann, dann sind sie es, die die krassesten Zeiteinbußen zu verknusen haben. Der Verband „Die Güterbahnen“ spricht vom „größten Schienen-Shutdown“ jemals und von „Multimillionenschäden“ für Reisende und Wirtschaft. Die Bahn versucht den Dreh ins Positive. Sie schickt viele viele Busse und errichtet an der Strecke nach eigenem Wortlaut „Deutschlands bislang größten Schienenersatzverkehr“.
Dreieinhalb bis vier Stunden Fahrtzeit
Die Sperrung wird im Hinterland weit spürbarer sein als in den Metropolen. Denn die direkten ICEs werden nach den Plänen der Bahn ein bisschen umgeleitet, über Stendal und Uelzen, und sind letztlich nur eine Dreiviertelstunde länger unterwegs. Für die Pendler*innen aus der Prignitz aber wird es heftig. Sie werden dann statt der 40 bis 80 Minuten im ICE oder Regio zwischen Wittenberge und Berlin mit dem Ersatzbus mehr als dreieinhalb oder vier Stunden brauchen.
Ludwigslust und Büchen sind ebenso 9 Monate von der Schiene komplett abgeschnitten und nur per Ersatzverkehr zu erreichen, mit entsprechend längeren Fahrtzeiten. Verschieben wird sich auch einiges im Regional- und Fernverkehr in den Bundesländern entlang der Strecke. Einiges dauert länger, aber die Verbindung nur mit Regionalbahnen von Berlin nach Lübeck wird, anders als jetzt, in weniger als 4 Stunden machbar sein.
Schneller wird es nach der Generalsanierung nicht. Die Bahn verspricht sich aber einen reibungsloseren Ablauf. Und sie kann im Jahr der Wiedereröffnung ein kleines Jubiläum feiern. Denn Hamburg-Berlin, das war auch die Strecke, auf der ab dem 7. Januar 1926 erstmals in Deutschland Reisende ein Telefongespräch aus dem fahrenden Zug führen konnten. Die Bahn machte damals schon irgendwas mit Mobil.
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