Geflüchtete zwischen Calais und Dover: Tragödie im Ärmelkanal

Seit Dienstagabend wurden über 400 Menschen aus Seenot gerettet, ein Mann ertrank. Im Winter wird die Route über den Meeresarm noch gefährlicher.

Ein Geflüchteter mit Rettungsweste und zwei Grenzbeamte

Ein Geflüchteter in Dover, der von Grenzbeamten gerettet wurde Foto: Peter Nicholls/reuters

PARIS taz | Die Nachricht vom Tod eines bisher anonymen Mannes, der während einer Rettungsaktion der französischen Küstenwache im Ärmelkanal am Mittwoch ums Leben kam, drohte in den vermischten Agenturmeldungen unterzugehen. Zu oft wiederholen sich diese Tragödien, wenn Geflüchtete aus Afghanistan, Somalia und anderen Kriegs- und Krisenherden entweder als blinde Passagiere auf einem Lkw auf der Fähre oder durch den Tunnel oder auf hochseeuntauglichen Booten versuchen, über den Ärmelkanal die britische Küste zu erreichen.

Am Donnerstag teilte die Polizeipräfektur von Dunkerque mit, dass die französische Küstenwache in der Nacht auf Mittwoch mehrere in Seenot geratene Boote mit insgesamt 400 Menschen an Bord retten musste. Einer der Verunglückten sei dabei ertrunken, und mindestens ein anderer werde noch vermisst.

Bei dem Toten handle es sich um einen zirka 30 Jahre alten Mann, dessen Namen und Staatsangehörigkeit unbekannt sei. Er habe sich auf einem der mit mehr als 40 Personen hoffnungslos überladenen Boote befunden und sei ins Wasser gefallen. Die Rettungsmannschaften hätten ihn bewusstlos aus dem Meer geholt, ihre Wiederbelebungsversuche seien jedoch erfolglos gewesen.

Die Behörden müssen befürchten, dass es nicht das letzte Todesopfer im Ärmelkanal bleibt. Allein am letzten Wochenende haben es laut Medienberichten 800 Menschen riskiert, das Gewässer in Richtung England bei Nacht zu überqueren. Etwa 450 von ihnen soll dies gelungen sein, aber mehr als 300 mussten von der französischen Küstenwache gerettet werden. Nach Angaben der Präfektur versuchten zwischen Januar und Ende August etwa 15.400 Migranten die Überfahrt über den Ärmelkanal. Im gesamten Vorjahr waren es 9.500 gewesen, 2018 waren es etwa 600.

2016 haben die Behörden das große, bezeichnenderweise „Dschungel“ genannte Flüchlingscamp in Calais dem Erdboden gleichgemacht. Die AnwärterInnen auf eine klandestine Überfahrt müssen nun in Abbruchhäusern oder draußen einen Unterschlupf und Schutz suchen. Die unzumutbaren Lebensbedingen, die häufigen Kontrollen und „Evakuierungen“ von Zeltcamps sollen abschreckend wirken. So soll nach Meinung der Regierung in Paris vermieden werden, dass Calais zu einem Anziehungspunkt für Flüchtlinge und MigrantInnen wird.

Juliette Delaplace, Secours catholique

„Die Regierung tut so, als gäbe es keine Alternative“

Mit Menschenrechten hat dies nichts gemein, erklärt Juliette Delaplace vom Hilfswerk Secours catholique: „Die Regierung tut so, als gäbe es keine Alternative zum Dschungel einerseits und zur täglichen Belästigung. Es ist eine Form von intellektueller Trägheit in der Weise, keine wirkliche Lösung zu suchen.“ Seit dem 11. Oktober protestierte der Priester Philippe Demeestère mit zwei weiteren Mitarbeitern des Secours catholique in der Kirche Saint-Pierre von Calais mit einem Hungerstreik gegen die menschenunwürdige Behandlung der Migranten. Der 72-jährige Priester brach am Donnerstag sein Fasten ab.

Eine akzeptable Lösung für bis zu 1.500 Menschen, die jeweils rund um Calais auf eine Gelegenheit einer Überfahrt nach Großbritannien warten, ist trotz der drohenden Kälte und der wachsenden Gefahren der Überquerung des Ärmelkanals nicht in Sicht. Im Gegenteil – so erschwert es der Fischereikonflikt zwischen London und Paris nach dem Brexit sowie der einwanderungsfeindliche innenpolitische Druck in Frankreich, den Betroffenen eine menschenwürdige Unterkunft zu bieten – oder sie schlicht weiterreisen zu lassen.

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