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Geflüchtete aus der UkraineKrise, welche Krise?

Daniel Bax
Kommentar von Daniel Bax

Die Situation ähnelt der „Flüchtlingskrise“ von 2015. Doch die Debatte über ukrainische Geflüchtete verläuft anders. Der Grund dafür ist Rassismus.

Geflüchtete aus der Ukraine werden wesentlich besser behandelt, als Geflüchtete aus Afrika Foto: Annette Riedl/picture alliance

W as für einen Unterschied die Herkunft geflüchteter Menschen doch macht! Deutschland sieht sich zum zweiten Mal in kurzer Zeit mit einer großen Fluchtbewegung konfrontiert. Doch es geht damit völlig anders um als beim letzten Mal. Bis vor einem Jahr lautete das Mantra noch, „2015“ dürfe sich nicht wiederholen. Nun erleben wir mit der Massenflucht aus der Ukraine eine vergleichbare Krise wie zwischen 2014 und 2016, als Hunderttausende vor den Kriegen in Syrien, Irak und Afghanistan nach Europa flohen. Aber niemand kritisiert, Scholz habe „die Grenzen geöffnet“, oder zieht in Zweifel, dass ihre Aufnahme grundsätzlich „zu schaffen“ ist. Niemand fordert eine „Obergrenze“ für Geflüchtete aus der Ukraine. Nicht einmal von einer „Flüchtlingskrise“ ist die Rede – und das, obwohl allein aus der Ukraine schon jetzt mehr neue Flüchtlinge in Deutschland gezählt wurden als zwischen 2014 und 2016 zusammen.

Gewiss: Auch jetzt ächzen Städte und Kommunen unter dem Andrang so vieler Menschen, die Schutz und ein Dach über den Kopf brauchen. Auch jetzt lud die Regierung deshalb wieder zu einem „Flüchtlingsgipfel“, wo um Geld und die gerechte Verteilung von Geflüchteten gestritten wurde. Und auch jetzt regt sich mancherorts Unmut und rechter Protest. Aber im Vergleich zu 2015 verläuft die Debatte vernünftig, rational und gesittet – ganz anders als zwischen 2014 und 2016, als Gewalt und Untergangsstimmung herrschten. Damals hetzte die rechtsradikale Pegida-Bewegung auf den Straßen gegen „Bahnhofsklatscher“ und „Invasoren“. Mehr als Tausend Angriffe auf Flüchtlingsheime registrierten die Behörden 2015, im Jahr darauf nochmals genauso viele.

Namhafte Publizisten wie Rüdiger Safranski warfen der Regierung vor, Deutschland mit Flüchtlingen zu „fluten“. Der damalige Bundespräsident Joachim Gauck salbaderte, unsere Herzen seien zwar weit, doch unsere Möglichkeiten begrenzt. Und Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo entschuldigte sich quasi dafür, dass die Medien anfangs zu viel Mitgefühl gezeigt hätten.

Jetzt, wo noch mehr Flüchtlinge als damals in Deutschland Zuflucht suchen, nur diesmal aus der Ukraine, sind diese Stimmen verstummt. Selbst der spärliche Rest der Pegida-Bewegung demonstrierte zum Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine nur noch für „Frieden“ und hetzte nicht gegen die Menschen, die von dort flüchten.

Es ist nun nicht so, dass Menschen aus der Ukrai­ne keinen Rassismus kennen würden. Vorbehalte gegen Ost­eu­ro­päe­r*in­nen haben in Deutschland eine lange Tradition. Noch im Jahr 2004 musste sich die damalige rot-grüne Bundesregierung von der CSU vorwerfen lassen, „Schwarzarbeit, Prostitution und Menschenhandel“ begünstigt zu haben, weil sie die Visa-Vergabe für Ukrai­ne­r*in­nen erleichtert hatte. Seit 2017 dürfen ukrainische Bür­ge­r*in­nen sogar visumsfrei nach Europa reisen.

Ein Zwei-Klassen-Asyl widerspricht den Werten, für die Europa sich sonst so gerne rühmt

Die geopolitische Lage ist der Grund dafür, dass sich der Wind gedreht hat. Seit dem 24. Februar vergangenen Jahres gehört die Ukraine zu Europa, wenn man der offiziellen Rhetorik glauben mag. Auf Grundlage der „Massenzustrom-Richtlinie“ der EU dürfen Flüchtlinge von dort seit dem 3. März 2022 frei nach Europa reisen. Dieser humanitären Willkommenskultur möchten sich nur wenige verschließen. Und anders als 2015, als die Hilfsbereitschaft in breiten Teilen der Bevölkerung nur anfangs sehr groß war, ist die positive Stimmung gegenüber Geflüchteten aus der Ukraine auch nach einem Jahr noch fast immer ungetrübt.

Natürlich spielt es eine Rolle, dass vor allem Frauen und Kinder nach Deutschland kommen und sie vor einem Krieg in der Nähe fliehen. Aber der Hauptgrund, warum sie anders aufgenommen werden als viele Flüchtlinge vor ihnen, ist schlicht: Rassismus. Nirgendwo zeigt sich das so krass wie im Nachbarland Polen. 2015 wehrte sich Polen strikt dagegen, nur ein paar Tausend Flüchtlinge aufzunehmen, und wollte höchstens Christen Asyl gewähren. Noch im Herbst 2021 verhängte die Regierung an ihrer Ost-Grenze den Ausnahmezustand, weil dort ein paar Tausend Menschen aus dem Irak und Afghanistan campierten, die aus Belarus nach Europa gelangen wollten. Nun hat Polen in kurzer Zeit über 1,5 Millionen Menschen aus der Ukraine aufgenommen, so viel wie kein anderes Land in Europa. Polen kann also, wenn es will. Plötzlich ist es auch okay, dass Flüchtlinge einfach von dort aus weiterziehen, wohin sie wollen. Ukrainische Staats­bür­ge­r*in­nen dürfen sich frei in Europa bewegen und niederlassen. Selbst Ungarn, Tschechien oder Dänemark, die Flüchtlinge bisher mit Schikanen oder gar Stacheldraht abschreckten, nehmen jetzt Ukrai­ne­r*in­nen auf.

Im Rückblick lässt sich deshalb sagen, dass Europa 2015 nicht von einer „Flüchtlingskrise“ erschüttert wurde, sondern von einer Rassismuskrise. Denn für die Fähigkeit, Flüchtlingen Schutz zu bieten, gibt es keine objektiven Grenzen. Doch Flüchtlinge aus der Ukraine werden heute gegen andere Flüchtlinge ausgespielt. Da kann Innenministerin Nancy Faeser noch so sehr betonen, es dürfe keine Flüchtlinge erster und zweiter Klasse geben.

De facto gibt es sie, und die Bundesregierung sorgt dafür, dass es auch so bleibt. Während die Aufnahme von Flüchtlingen aus der Ukrai­ne zeigt, wie unbürokratisch es gehen könnte, müssen Flüchtlinge aus anderen Ländern weiter langwierige Asylverfahren durchlaufen, werden mit Auflagen schikaniert und an Europas Grenzen systematisch davon abgehalten, hier Schutz zu suchen. Auf dem Mittelmeer sterben deshalb fast täglich Menschen. Deutschland trägt eine Mitschuld an diesen Zuständen. Verkehrsminister Volker Wissing will die Seenotrettung aus Deutschland sogar noch erschweren. Dieses selektive Mitgefühl ist ein Skandal. Ein Zwei-Klassen-Asyl widerspricht den Werten, für die Europa sich so gerne rühmt.

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Daniel Bax
Redakteur
Daniel Bax ist Redakteur im Regieressort der taz. Er wurde 1970 in Blumenau (Brasilien) geboren und ist seit fast 40 Jahren in Berlin zu Hause, hat Publizistik und Islamwissenschaft studiert und viele Länder des Nahen Ostens bereist. Er schreibt über Politik, Kultur und Gesellschaft in Deutschland und anderswo, mit Fokus auf Migrations- und Religionsthemen sowie auf Medien und Meinungsfreiheit. Er ist Mitglied im Vorstand der Neuen deutschen Medienmacher:innen (NdM) und im Beirat von CLAIM – Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit. Er hat bisher zwei Bücher veröffentlicht: “Angst ums Abendland” (2015) über antimuslimischen Rassismus und “Die Volksverführer“ (2018) über den Trend zum Rechtspopulismus. Für die taz schreibt er derzeit viel über aktuelle Nahost-Debatten und das neue "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW).”
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9 Kommentare

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  • Der Artikel trifft einen sehr wunden Punkt unseret Gesellschaft mit dem wir uns (leider) nicht auseinander setzen wollen.



    Es gibt nun einmal anscheinend leider "gute" Flüchtlinge und "schlechte" Flüchtlinge. Genauso wie es anscheinend Menschen gibt, die in Kriegen wirklich leiden und Unterstützung brauchen und Menschen, die in Kriegen anscheinend nicht so sehr leiden und auch nicht so sehr Unterstützung brauchen.



    Und gerechtfertigt wird der Rassismus dann mit dem Totschlagargument, dass man ja nicht die ganze Welt retten kann!

  • Wir können nicht die Welt retten. Leider.

  • Im Bezug auf Polen stimme ich Ihnen zu, wie in dieser Zeitung kürzlich zu lesen war, sind push backs an der Grenze weiter üblich, mit tötlichen Folgen für die Flüchtlinge im Niemandsland.



    Was die Arbeit der Regierung betrifft, bewerte ich sie vollkommen anders.



    Viele Fehler, die während det Flüchtlingskrise gemacht wurden , wurden diesmal vermieden.



    Die direkte Aufnahme in die Sozialsysteme war ein Kraftakt, den die Ampel ganz nebenbei bewältigt hat, danke dafür!



    Der Regierung nun vorzuwerfen, es gäbe ein zwei Klassensystem und das sei Rassismus ist parteipolitisch motivierte Kritik.



    Es hätte auch einfach lauten können: beeindruckend, dass es gar nicht erst zur Krise kam, nun müssen die Erfolge auch auf die anderen AsylbewerberInnen übertragen werden.



    Aber das wäre ja eine positive Nachricht, sowas verkauft sich ja nicht...

  • Man sollte nicht dem ersten Einfall, den man zur Deutung einer Situation hat sofort vertrauen und alles drauf setzen. Es gäbe alternative Erklärungen als Rassismus, die man sich anschauen sollte auch wenn vermutlich ein großer Teil der Ungleichbehandlung tatsächlich und letzlich unbestreitbar auf inhärenten Rassismus zurückzuführen sein wird. Als jemand, der 1989 in dieses Land kam, erinnere ich mich an die regelrecht pogromhafte Stimmung in Teilen dieses Landes in den frühen 90ern. Da war es den bayerischen Kleinstadt-Nazis wie der Mehrheitsgesellschaft um mich herum relativ egal, ob man gegen weiße Osteuropäer hetzte oder PoC. Gegen letztere sicherlich viel krasser, dennoch war die Ablehnung allumfassend und gesellschaftlich kaum sanktioniert; eigentlich nicht einmal verpönt. Für mich stellte sich die Situation 2015 wie ein gewandeltes Land dar. Die später so benanne Willkommenskultur war eine kulturelle Überraschung, die weder erwartbar noch - wie in diesem Artikel - geringeschätzt werden sollte. Es war ein Novum in diesem deutschen Verhaltensrepertoire und hielt in meiner beobachtung doch länger als es hier dargestellt wird. Die widerlichen Zwischenrufe und Stacheleien von einem Rüdiger Ausfranski und die anderer Pegida-Claqueure waren gewiss rassistisch motiviert, verfingen zum einen weniger als man vielleicht glaubt, zum anderen waren sie eher eine Ablehnung in toto, nicht eine ethnisch selektive Ablehnung. Das macht es nicht besser, aber schwächt die These von einer drastischen Ungleichbehandlung. Zugleich ist es jetzt keineswegs so, dass es an solchen Diskursen "mangelt". Vielmehr haben sich diese sich "örtlich" oder "gemeindlich" (Twitter, YT) etabliert. Da ist die Hetze nicht minder aggressiv als 2015, bloß stärker abgezirkelt auf die Komplizen und weniger in die Kanäle der Mehrheitsgesellschaft hinein (da haben die Medien dazugelernt). Der Erfolg von 2015 hat vielleicht den Erfolg des aktuellen zivilen, humanen Benehmens erst vorbereitet und grundiert.

  • Die Moderation: Kommentar entfernt, diskriminierende Aussagen akzeptieren wir nicht.

    • @Horst Flugfeld:

      Achso, in Syrien, wo Putin - in der realen Welt allerdings - einen mindestens genauso schmutzigen und blutigen Krieg führt, gibt oder gab es Ihrer Ansicht nach gar keinen "richtigen" Krieg.



      Schönes Beispiel für übelsten Rassismus, ihr Beitrag

    • @Horst Flugfeld:

      Inwiefern unterscheiden die sich da von der breiten Masse der Syrer? Das ist eine über 2000 Jahre alte Hochkultur, die konnten schon alle lesen und schreiben als man hier noch verdreckt in Erdlöchern gehaust hat und nicht mal der König lesen konnte...



      Glauben Sie die Bilder aus Aleppo sind gefahrgut? Und was Afghanistan betrifft kann man beim Bund nachfragen ob da echt Krieg war und wie gut die dortige Passbehörde Dokumente ausstellt....

    • @Horst Flugfeld:

      Horst,



      Sie verfangen sich gerade genau in der Rassismus Kerbe die in diesen Beitrag beschrieben werd.



      Sie fahren die gleichen Autos wie wir und lieben sogar Schweinefleisch? Autsch…



      Der europäische Rassismus wurde in dieser Debatte auch von wirtschaftlichen Profite begleitet.



      Rüstungs- und Energie Sektor reiben sich die Hände. Die EU will erst in 12 Monaten nochmal 1 Million Atelier Munition an die Ukraine schicken.



      Falls jemand aus der Politik nochmal behauptet, dieser Krieg sollte so schnell wie möglich beendet werden, hat die Rechnung ohne den Wirt gemacht.

      Gruß Roberto

  • 1G
    164 (Profil gelöscht)

    Traurig aber wahr.