Geflüchtet aus der Ukraine: Ohne Sicherheit
Drittstaatsangehörige kämpfen in Deutschland um Bleiberecht, Job und Perspektive. Unterstützer*innen kritisieren die unterschiedliche Behandlung von Geflüchteten.

„Als die ersten Geflüchteten aus der Ukraine in Berlin ankamen, standen wir am Hauptbahnhof und haben ihnen bei der Orientierung geholfen. Dann kam die Frage auf, was eigentlich mit den Leuten ohne ukrainischen Pass ist“, erzählt Ronel Doual vom Migrationsrat Berlin. Sie ist eine der Gründerinnen der Initiative „BIPoC Ukraine“. „Ich bin aktiv geworden, weil ich es inakzeptabel fand, dass die Menschen vor dem gleichen Krieg fliehen und der eine Teil darf hier Schutz finden und der andere nicht“, sagt Doual.
Schon seit 2022 unterstützen die Ehrenamtlichen der Initiative Betroffene – auch, was die Bürokratie rund um einen Aufenthaltstitel angeht. Darüber hinaus organisieren sie Workshops und bieten Betroffenen Raum zum Austausch. Doual weiß von Menschen, deren künftiger Aufenthalt zum jetzigen Zeitpunkt unsicher ist.
Manche warten noch auf Termine oder Antworten der Einwanderungsbehörde. Zu anderen hat Doual den Kontakt verloren und macht sich nun Gedanken über ihren Verbleib. „Was Geflüchtete hier brauchen, ist Perspektivsicherheit – unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit“, sagt Doual.
Ein Leben aufgebaut
Das Bundesinnenministerium erklärt auf taz-Anfrage: „Die betroffenen Personen haben sämtlich einen Herkunftsstaat, in den sie zurückkehren können, sie sind nicht auf eine Rückkehr in die Ukraine verwiesen.“ Doch für viele Betroffene war die Ukraine trotz ihrer Drittstaatsangehörigkeit ihre Heimat. Gerade jetzt, wo die USA ihre Ukrainehilfe stoppen, ist an eine baldige Rückkehr nicht zu denken.
Einer dieser Menschen ist Arnab. Der 29-Jährige aus Indien möchte nicht, dass sein Nachname veröffentlicht wird. In der Ukraine studierte er Informatik. Zu Beginn der russischen Invasion floh er nach Deutschland. „Ich habe über fünf Jahre in der Ukraine gelebt“, erzählt Arnab. „Ich hatte dort gute Freunde. Ich kannte die Orte. Ich hatte ein Leben dort und es war wirklich schlimm, das verlassen zu müssen.“
Nach seiner Ankunft in Deutschland und langer Jobsuche konnte Arnab in einem IT-Unternehmen arbeiten. Wie andere Drittstaatsangehörige hatte zu dieser Zeit eine sogenannte Fiktionsbescheinigung. Diese galt als vorübergehender Beleg für einen rechtmäßigen Aufenthalt. Die Fiktionsbescheinigungen waren bis März 2024 befristet und wurden anschließend für ein Jahr verlängert. Allerdings erhielten Betroffene kein Dokument, das die Dauer dieser Verlängerung nachwies. „Dann musste ich entlassen werden, weil mein Aufenthaltsstatus für meinen Arbeitgeber zu unklar war“, erzählt Arnab.
Unter ihrer Qualifikation
Danach war Arnab lange auf der Suche nach einer neuen Perspektive. „Wenn man zur Einwanderungsbehörde geht, fragen sie dich nach einem Arbeitsvertrag. Wenn man zu einem Bewerbungsgespräch geht, fragen sie dich nach einer Aufenthaltserlaubnis. Ich war in einer Endlosschleife gefangen.“ Schließlich fand er einen Ausbildungsplatz in der Pflege, durch den nun auch erst mal sein Aufenthalt gesichert ist. Doch seine Fähigkeiten und seine Berufserfahrung IT-Bereich sind vorerst unbrauchbar.
Laut einer Studie des Mediendienstes Integration arbeitet die Hälfte aller Geflüchteten aus der Ukraine in Jobs, für die sie überqualifiziert sind. So geht es auch der 25-jährigen Peace, die ebenfalls nur mit ihrem Vornamen genannt werden möchte. Sie kommt ursprünglich aus Nigeria und studierte in der Ukraine fünfeinhalb Jahre Medizin, bevor der Krieg begann.
Jetzt arbeitet sie als Pflegekraft und kann darüber auch erst mal in Deutschland bleiben. Als Ärztin kann sie nicht arbeiten. Wegen eines fehlenden Praktikums wird ihr Abschluss hier nicht anerkannt. Tatsächlich ist die Anerkennung von ausländischen Abschlüssen in Deutschland oft langwierig und kompliziert – ganz besonders im medizinischen Bereich.
Viele Ehrenamtliche unterstützen Betroffene
Peace und Arnab sind beide in der Initiative „BIPoC Ukraine“ engagiert. „Man gibt einander Ratschläge und teilt Erfahrungen“, sagt Arnab. „Es ist schön, mit Menschen zusammen zu sein, die durch das Gleiche gegangen sind, wie man selbst.“ Wie er haben viele Mitglieder in der Community aufgrund des unklaren Aufenthaltsstatus ihre Jobs verloren. Initiativgründerin Doual sieht darin ein tiefgreifendes Problem: „Geflüchtete fragen mich nach ihrer Ankunft oft als erstes, wie sie hier arbeiten können. Und trotz des Fachkräftemangels werden sie wieder weggeschickt.“
Der Migrationsrat Berlin hat zusammen mit anderen gerade die Kampagne „With Honors“ ins Leben gerufen. Sie soll auf das Ende des Schutzanspruchs für Geflüchtete mit Drittstaatsangehörigkeit aufmerksam machen. Und sie soll zeigen, was dieser zweite Perspektivverlust innerhalb weniger Jahre für die Betroffenen bedeutet.
„Wir würdigen die Widerstandskraft derer, die sich hier trotz widrigster Bedingungen ein neues Leben aufgebaut haben“, heißt es in der Kampagne. „Wir fordern faire und langfristige Lösungen für gleichberechtigte Teilhabe aller – und die bedingungslose Anerkennung der Zugehörigkeit zu dieser Gesellschaft.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kursrutsch in den USA
Nicht mehr so kreditwürdig
Debatte über Solarenergie
Mentalitätswechsel nötig
Geplante Grundgesetz-Änderungen
Linke stellt Eilantrag beim Bundesverfassungsgericht
Ukraine-Gespräche in Saudi-Arabien
Was Selenskyj noch bleibt
Drohungen gegen taz-Redakteur
Chefredaktion zu Anfeindungen gegen Nicholas Potter
Maja Göpel zu Union-SPD-Sondierungen
„So wird es männlich, dominant und weiß“