Gefechte in Ostukraine: Unter Beschuss
Die ukrainische Armee und pro-russische Kämpfer machen sich gegenseitig für Angriffe verantwortlich. Der Westen zweifelt am russischen Truppenabzug.
Offensichtlich geht es bei den jüngsten Gefechten um eine neue Qualität der Gewalt. Ein ranghoher ukrainischer Regierungsvertreter sagte, die jüngsten Beschüsse aus dem Gebiet der prorussischen Separatisten passten nicht in die Reihe der üblichen Verletzungen der Waffenruhe. Präsident Wolodimir Selenski sprach von einer „großen Provokation“. „Wir rufen alle Partner auf, diese schwere Verletzung der Minsker Vereinbarungen durch Russland in einer bereits angespannten Sicherheitslage unverzüglich zu verurteilen“, erklärte der ukrainische Außenminister Dmitrij Kuleba auf Twitter.
Auch eine Schule im Ort Wrubiwka soll von Separatisten angegriffen worden sein. 30 Kinder und 14 Lehrkräfte, so vesti.ua, hätten sich während des Beschusses in dem Gebäude aufgehalten. Einige Fenster seien zu Bruch und Türen kaputt gegangen. Acht Schulkinder und zwei LehrerInnen hätten kurzzeitig Schutz im Keller der Schule gesucht. Auch eine Gasleitung habe Schaden genommen, so dass hundert Häuser ohne Gas waren. Bei diesem Angriff seien Waffen eines Kalibers von 122 Millimetern eingesetzt worden. Dieser Waffentyp sei laut der Friedensvereinbarungen von Minsk verboten, berichtete die Verwaltung des Ortes.
Das russische Portal lenta.ru zitiert Quellen aus den „Volksrepubliken“ Lugansk und Donezk, die Kiew für die jüngste Eskalation verantwortlich machen. Nach Angaben der Separatisten hatten die ukrainischen Streitkräfte am Morgen das Feuer auf fünf Ortschaften in der „Volksrepublik“ Luhansk eröffnet. Auch zivile Ziele der „Volksrepublik Donezk“ sollen beschossen worden sein, so lenta.ru.
Häuser beschädigt
So hätten ukrainische Streitkräfte mit Granatwerfern und Handfeuerwaffen die Dörfer Kominternove, Oktyabr, Petrovske, Novolaspa und auch Außenbezirke von Horliwka und Donezk beschossen. In Donezk seien dabei zwei Häuser zu Schaden gekommen. Und das Portal strana.best berichtet unter Berufung aus Quellen der „Volksrepublik“ Lugansk von der Beschädigung von sieben Häusern im Dorf Nikolajewka durch ukrainisches Militär.
Unterdessen zweifeln Vertreter der Ukraine und der USA Moskaus Ankündigung eines Teilabzuges seiner Truppen aus der Grenzregion an. Verteidigungsminister Olexi Resnikow und Präsident Wolodimir Selenski erklärten, sie könnten nicht erkennen, dass sich die russischen Truppen von der Grenznähe zurückziehen würden. „Am Mittwoch hat die russische Regierung erklärt, sie ziehe ihre Truppen von der Grenze zur Ukraine ab. Jetzt wissen wir, dass das nicht stimmte“, sagte ein US-Regierungsvertreter. Die USA gingen davon aus, dass im Grenzgebiet zusätzlich 7.000 russische Soldaten eingetroffen seien.
US-Außenminister Antony Blinken sagt in einem Interview mit dem US-Nachrichtensender MSNBC: „Es gibt das, was Russland sagt. Und dann gibt es das, was Russland tut. Und wir haben keinen Rückzug der Streitkräfte gesehen.“ Es seien Einheiten zu beobachten, die sich auf die Grenze zubewegen, nicht von der Grenze weg.
Trotzdem wollten die USA weiter an einer diplomatischen Lösung der Ukraine-Krise arbeiten. Der zentrale Schauplatz dafür könnte die bayerische Landeshauptstadt sein, wo an diesem Wochenende die Sicherheitskonferenz stattfindet. US-Vizepräsidentin Kamala Harris und Außenminister Antony Blinken werden der Konferenz beiwohnen.
Laut Regierungsinformationen beabsichtigen beide, sich am Rande der Konferenz zu bilateralen Gesprächen mit europäischen Verbündeten zu treffen. Auch eine Delegation von US-Kongressabgeordneten und Senatoren wird in München zu Gast sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann