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Gedenkstätten-Chef über AfD„Wir möchten keine Kränze der AfD“

Im sächsischen Pirna könnte die AfD nach dem 17.Dezember den Oberbürgermeister stellen. Der Stiftungschef der NS-Gedenkstätte dort, Markus Pieper, grenzt sich klar ab.

In Pirna-Sonnenstein wurden tausende Menschen durch die Nationalsozialisten in einem Euthanasie-Programm ermordet Foto: Daniel Schäfer/imago
Gareth Joswig
Interview von Gareth Joswig

taz: Herr Pieper, am Sonntag wird in Pirna ein neuer Oberbürgermeister gewählt. Im ersten Wahlgang lag der AfD-Kandidat Tim Lochner mit 33 Prozent und 10 Prozentpunkten vor den Kandidaten von CDU und Freien Wählern, im zweiten Wahlgang reicht ihm eine einfache Mehrheit. Was würde ein AfD-Oberbürgermeister für den NS-Erinnerungsort Pirna-Sonnenstein bedeuten?

Markus Pieper: Der Verfassungsschutz hat gerade auf die Bestrebungen der AfD Sachsen gegen die freiheitlich-rechtliche Grundordnung hingewiesen. Für uns ist dabei der entscheidende Punkt, dass sich das Menschenbild der AfD aus nationalsozialistischen Traditionen speist. Mit extremistischen Bestrebungen – egal aus welcher Richtung – können wir natürlich nicht zusammen arbeiten. Wir zeigen in unseren Ausstellungen konkret, was passiert, wenn zentrale Werte wie die Menschenwürde in parlamentarischen und pluralistischer Demokratien ausgehebelt werden. Entsprechend halten wir es für alarmierend, dass eine extremistische Organisation wie die AfD derzeit so großen Zuspruch findet.

Bild: Holm Helis/StSG
Im Interview: Markus Pieper

Jahrgang 1972, ist seit September 2021 Geschäftsführer der Stiftung Sächsische Gedenkstätten, die an die Opfer der nationalsozialistischen Diktatur und der kommunistischen Diktatur in der sowjetischen Besatzungszone und der DDR erinnert. Pieper hat in Oldenburg, Berlin und Warschau Osteuropäische Zeitgeschichte und Soziologie studiert, zur vergleichenden Erforschung europäischer Diktaturen geforscht und arbeitet seit 2012 in der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.

In Pirna ermordeten Nationalsozialisten in der NS-Zeit Tausende von vorwiegend psychisch kranke und gestig behinderte Patienten. Würde ein AfD-Oberbürgermeister in Pirna auf Ihre Arbeit Einfluss nehmen?

Wir haben hier immerhin den Vorteil – es gibt ja ähnliche Diskussionen und Probleme auch in anderen Orten – dass wir die Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein in eigener Trägerschaft führen. Wer in Pirna als Oberbürgermeister regiert, hat keinen unmittelbaren Einfluss auf unsere Arbeit in der Gedenkstätte, die Liegenschaften sind auch nicht im kommunalen Besitz. Wir könnten unsere Erinnerungsarbeit fortsetzen wie bisher – auch wenn es natürlich wie überall Berührungspunkte mit der Kommune gibt und in der Regel auch gemeinsame Projekte.

Wie würden Sie sich bei Veranstaltungen an Gedenktagen positionieren, sollte ein AfD-Oberbürgermeister im Rathaus sitzen?

Es ist klar, dass es keine Zusammenarbeit geben kann. Unsere Gedenkorte haben den gesetzlichen Auftrag, ein ehrendes Andenken an die Opfer der NS-Diktatur wachzuhalten. Das schließt aus, dass wir extremistischen Parteien und Organisationen Raum geben oder sie zu Veranstaltungen einladen. Kranzniederlegungen oder Delegationsbesuche von der AfD lehnen wir ebenso ab. Hier kann und darf sich niemand positionieren, der extremistische Positionen vertritt.

Was ist das Besondere an der Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein?

Das vorherige Krankenhaus für psychisch Kranke und behinderte Menschen wurde im NS zu einer Tötungsanstalt umgewandelt. Es gab hier früh eine Gaskammer im Keller mit angeschlossenem Krematorium, wo rund 14.000 vorwiegend psychisch kranke und geistig behinderte Menschen ermordet und verbrannt worden sind. Zudem wurden an diesem Ort mehr als tausend Häftlinge aus nationalsozialistischen Konzentrationslagern im Rahmen der „Sonderbehandlung 14f13“ ermordet.

Wie wurde das aufgearbeitet?

Nach dem Krieg ist vieles davon weitgehend in Vergessenheit geraten. Die Nationalsozialisten haben noch während des Kriegs versucht, die Spuren zu verwischen und die Anlagen abgebaut. Zu DDR-Zeiten war es dann weitgehend vergessen, aber nicht ganz: Denn nach 1989 haben zivilgesellschaftliche Initiativen für die Erinnerung gekämpft, was letztlich zur Gründung der Gedenkstätte geführt hat. Heute gibt es hier moderne Angebote inklusive Peer-Projekte, die Menschen mit Behinderungen einbinden und begleitete Führungen ermöglichen. Als Gedenkstätte für NS-Krankenmorde reicht die Bedeutung von Pirna-Sonnenstein weit über Sachsen hinaus.

Der AfD-Kandidat Lochner wurde im Wahlkampf unter anderem vom EU-Spitzenkandidaten der AfD, Maximilian Krah, unterstützt. Der sagte auf dem Marktplatz in Pirna, Politiker wollten den Bürgern nur einreden, dass ihre Vorfahren Verbrecher waren. Wie sehen Sie das?

Solche Aussagen stehen wie auch der „Fliegenschiss“-Vergleich von Gauland oder die Höcke-Forderung nach einer „erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad“ unseren Positionen diametral entgegen. Diese geschichtsrevisionistischen Debatten verfolgen uns seit Jahren. Einerseits sollen wir als vom Parlament eingesetzte Stiftung parteipolitisch neutral sein, andererseits stehen die Positionen der AfD im krassen Gegensatz zu unserem gesetzlichen Auftrag. Klar ist: Wir werden mit der AfD nicht zusammen arbeiten. Es ist unser Auftrag, an Geschichte und Verbrechen zu erinnern, an die Shoa, rassistische Politik, die Ermordung politischer Gegner – auch in dem Sinne, dass sich so etwas nicht wiederholt. Wir müssen daran mitwirken, die Gesellschaft gegen Rassismus und Antisemitismus zu wappnen.

Bei der Landtagswahl im Jahr 2024 könnte die AfD in Sachsen die stärkste Kraft werden. Welche Risiken sehen Sie da für die Stiftung Sächsische Gedenkstätten und die Erinnerungskultur im Land?

Natürlich erfüllen uns die Umfragen mit großer Sorge. Ich befürchte auch, die Einstufung als gesichert rechtsextrem wird daran nicht viel ändern. Die AfD ist eine starke politische Kraft auch in Sachsen. Wir sind eine Stiftung ohne Vermögen, bekommen Zuwendungen vom Land und aus dem Bund, sind abhängig von Haushaltsentscheidungen des Parlaments. Mit mehr Einfluss oder gar in der Landesregierung könnte die AfD also Gelder streichen. Ebenso ist gesetzlich geregelt, dass die Kulturministerin den Vorsitz in unserem Stiftungsrat hat und dort Einfluss nehmen kann. Mit noch größere Sorge betrachten wir aber gerade die Kommunalwahlen im Juni 2024.

Warum die Kommunalwahlen?

Es gibt in Sachsen ein unglaublich diverses Feld von Erinnerungsorten in freier oder kommunaler Trägerschaft. Für die lokale Aufarbeitung und Erinnerungskultur sind auch solche lokalen Initiativen enorm wichtig. Sollte die AfD Stadtrats- oder Kreistagsmehrheiten bekommen, droht ihnen die Streichung von Geldern. Bislang ist das noch kein Problem, aber es gibt sachsenweit sehr viele Aufarbeitungsinitiativen, die davon betroffen sein könnten. Wenn die AfD hier die Macht hätte, dezentral Gelder zu streichen, könnte viel verloren gehen – und es ist viel weniger öffentlichkeitswirksam.

Was kann man dagegen tun?

Wir beraten teilweise kommunale Träger sowie zivilgesellschaftlich engagierte Akteure und es ist kompliziert. Wir können häufig nicht einfachen übernehmen, zumal das politische System und die Parteienlandschaft dort nochmal anders aufgestellt ist. Aber natürlich wäre eine Überlegung, NS-Gedenkstätten in freier Trägerschaft in einen sicheren Hafen wie etwa unsere Stiftung zu überführen, weil man nicht weiß, wie sich die Lage entwickelt. Aber das ist zurzeit leider unrealistisch, auch wir sind finanziell alles andere als gut aufgestellt, der kommende Doppelhaushalt ist für uns fast eine Überlebensfrage.

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