Gebärstreik als Klimaschutz-Maßnahme: Kinderlos fürs Klima?
Die „birthstrike“-Bewegung diskutiert den persönlichen Verzicht auf Kinder für den Klimaschutz. Effizienter wären Spenden für mehr Geburtenkontrolle.
D er Verzicht auf Kinder scheint die radikalste und gemäß Studien der Lund-Universität in Schweden die effizienteste Maßnahme zu sein, die der Einzelne zum Klimaschutz beisteuern kann. Der Verzicht aufs Auto spart demnach 1 bis 5,3 Tonnen CO2-Äquivalent pro Jahr, aber der Verzicht auf ein Kind 23,7 bis 117,7 Tonnen CO2-Äquivalent pro Jahr. Es hat sich eine eigene Bewegung namens „birthstrike“ gebildet, in deren Reihen diese Fragen diskutiert werden. Was ist davon zu halten?
Wer auf freiwilliger Basis Klimagase reduzieren will, sollte das vielleicht eher da tun, wo es am effizientesten ist. Dazu ein Rechenbeispiel: Ein Jahr lang auf Fleisch verzichten spart 450 kg Emissionen ein. Das bringt eine Ersparnis von 650 Euro. Setzt man diese Summe für durchdachte Spenden in Ländern des globalen Südens ein, vermeidet man 28.000 kg CO2. Spenden ist rund 50-mal effizienter, als den eigenen Fußabdruck zu kontrollieren, dafür gibt es viele Beispiele.
ist Professor für Philosophie und Wirtschaftsethik an der Uni Mannheim und Autor.
Zuletzt erschien von ihm: „Mit kühlem Kopf. Über den Nutzen der Philosophie für die Klimadebatte“; Hanser Verlag 2020.
Nun könnte man mit den Verfasserinnen meinen, auf Kinder zu verzichten sei aber viel effizienter als auf Fleisch zu verzichten. Auch hier kann Spenden jedoch mehr. Wenn weniger Kinderkriegen das effizienteste Mittel ist, kann man es durch Spenden besser durchsetzen. Man kann für den Einsatz von Verhütungsmitteln gegen ungewollte Kinder in der „Dritten Welt“ spenden. So vermeidet man wesentlich mehr Kinder, als man je privat in die Welt setzen könnte. Das Argument hinkt, dass CO2-Vermeidung in wohlhabenden Ländern ökologisches Schwergewicht habe, während in der Dritten Welt kaum emittiert werde.
In Zukunft werden wir hier eine Energiewende erleben, während die Dritte Welt nachholendes Wachstum auslebt. Aber: Wer sind wir, dass wir bevölkerungspolitisch Einfluss auf den globalen Süden nehmen, nur um unseren (Klima-)Wohlstand nicht zu gefährden? Erstens stellen wir aber mit Verhütungsmitteln und Beratung nur ein Angebot zur Verfügung, um ungewollte Schwangerschaften zu vermeiden. Durch Aufklärung und Verhütung kämpft man auch gleichzeitig für Frauenrechte, Bildung und gegen Armut. Zweitens geht es nicht um unseren Wohlstand, sondern darum, so viele Emissionen zu vermeiden wie möglich.
Bevölkerungspolitik durch Anreize ist verantwortbar
Über den Weg des Spendens gäbe es noch viel zu sagen: etwa, dass er nur eine Zeit lang zu begehen ist und dass dies kein Ablasshandel ist, solang man nicht nur Emissionen kompensiert, sondern systematisch mehr spendet, als man selber emittiert. Wir sind einem Denken verhaftet, das besagt: Ich selbst und mein Verhalten bin der Nabel der Welt. Bei mir muss ich anfangen und das muss wehtun. Das ist falsch. Es geht nicht um meinen moralischen Masochismus, sondern darum, möglichst viel Klimagas einzusparen.
Wir sollten uns zudem freiwillig so engagieren, dass wir uns nicht überfordern. Wer sich wirklich Kinder wünscht, wird durch die Unterdrückung dieses Wunsches langfristig unglücklich werden. Jedenfalls ist dieser Weg nicht nur ineffizient, wie der ganze Ansatzpunkt am ökologischen Fußabdruck, sondern er verschleißt auch die Motivation zum Klimaschutz. Der Verzicht auf eigene Kinder für den Klimaschutz verbindet hohe Wohlergehenskosten mit mangelnder Wirkung. Keine gute Kombination.
Neben der privaten hat die Frage der Geburtenkontrolle auch eine politische Dimension. Die neue Bundesregierung will den Klimaschutz im Inland anpacken. Dabei darf sie nicht vergessen, dass sie im Ausland wesentlich mehr als 2 Prozent der weltweiten Emissionen beeinflussen kann. Deshalb hat sie den Klimaschutz ja auch zum Teil im Außenministerium angesiedelt. Ungenutztes Potenzial ließe sich dabei bei der Bevölkerungspolitik nutzen.
Geburtenkontrolle bietet sich als Stellschraube für den Klimaschutz politisch besonders deshalb an, weil sie Staaten kaum etwas kostet, ja sogar Geld sparen hilft. Sie durchzuführen bedeutet keinen globalen Wettbewerbsnachteil und sie erfordert keine technologischen Wunder und Risiken.
Gegen eine staatlich gelenkte Geburtenkontrolle spricht aber: Die freie Wahl der Nachkommenzahl ist ein Grundrecht, das etwa vom achten Prinzip der UN-Kairo-Konferenz betont wird. Eine weitere häufige Kritik an jedweder Bevölkerungspolitik ist die, dass hier die Privatsphäre der Menschen derart stark berührt sei, dass Staaten sich gänzlich zurückzuziehen hätten. Der Gedanke einer „mit Zwang“ vertretenen Bevölkerungspolitik wird von Kirchen und vielen NGOs abgelehnt. Weiterhin muss hinterfragt werden, ob weniger Kinder wirklich einen nennenswerten Beitrag zum Klimaschutz leisten. Die Antwort ist eindeutig: Dieser Beitrag soll nach Daten der US-Akademie der Wissenschaften schätzungsweise ein Fünftel einer Reduktion der Klimagase bringen, die wir benötigen.
Wie könnte man diese lohnende Politik konform mit den Menschenrechten umsetzen?
Einerseits kann man nur ein Angebot zur Verfügung stellen und es dabei bewenden lassen. Aber man könnte auch staatliche Anreize zur Verhütung zur Verfügung schaffen. Ein Verbot des Kinderkriegens, das mit hohen Freiheitsstrafen sanktioniert wird, wäre ein Zwang. Und eine Aufhebung des Rechts auf freie Fortpflanzung. Aber was, wenn die Ausübung eines Rechtes nur erschwert wird?
Staaten setzen fortwährend Anreize und Sanktionen, die bestimmte Rechtsausübungen erschweren oder erleichtern. Im Falle der Bevölkerungspolitik leben wir aktuell in einem System, das starke Anreize für das Kinderkriegen setzt, wie das Kindergeld. Niemand wird behaupten, dass derlei Anreize es verunmöglichen, sich gegen Kinder zu entscheiden. Solange aber niemand gezwungen wird, bewegt man sich im grünen Bereich- Bevölkerungspolitik durch Anreize und Sanktionen ist prinzipiell verantwortbar, ebenso ein Fonds für solche Anreize seitens der Europäer. Ob Staaten Mittel aus diesem „Populationsfonds“ abrufen, unterliegt selbstverständlich ihrer souveränen Entscheidung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Streit in der SPD über Kanzlerkandidatur
Die Verunsicherung
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit