Galerieausstellung Berlin: Sein oder Nichtsein
Anschauen, solange es noch physisch geht: Nagel Draxler zeigen Malerei von Kirsi Mikkola und fünf ihrer Wiener Schüler*innen.
In diesen Tagen, in denen die Galerien einmal mehr bangen, bald schon wieder für den Publikumsverkehr schließen zu müssen, haben Nagel Draxler einen entscheidenden Vorteil: große Fensterfronten. Wenn die Infektionszahlen keine Besuche in Innenräumen der Galerien mehr erlauben – aktuell muss man sich dafür vorher anmelden –, dann können die Ausstellungen auch von außen betrachtet werden bei einem kleinen Spaziergang um den Rosa-Luxemburg-Platz.
Diese Tour führt derzeit tatsächlich einmal herum, auch zum neuen Suhrkamp-Gebäude. Dort, bei Daniel McLaughlin, sind Nagel Draxler zusätzlich zu den beiden eigenen Standorten zu Gast. So ist genug Platz für die vor allem großformatige Malerei der aktuellen Ausstellung.
Für „The Class of Kirsi Mikkola. The Young Painters Show in Berlin“ hat die finnische, in Berlin lebende Künstlerin Kirsi Mikkola, die erst vor Kurzem ins Programm von Nagel Draxler aufgenommen wurde, fünf Schüler*innen aus ihrer Wiener Malereiklasse, geboren zwischen 1984 und 1998, ausgewählt, gemeinsam mit ihr Arbeiten zu präsentieren.
Keine schlechte Idee ist es, den Parcours in der kleinen Galerie von McLaughlin zu beginnen. Eine große Arbeit von Mikkola begrüßt einen dort gleich neben der Tür, eine jener „Konstruktionen“, für die die Künstlerin bekannt ist und für die sie Leinwand mit unzähligen Papierschnipseln und Farbe überzieht, sodass sich komplexe Strukturen bilden.
In ziemlich interessanter Gesellschaft
Nicht gerade gut gelaunt scheint das Wesen zu sein, das Mikkola auf jene Arbeit oben draufgesetzt hat, tief nach unten gezogen sind seine Mundwinkel. Dabei befindet es sich eigentlich in ziemlich interessanter Gesellschaft.
läuft noch bis 24. April, Galerie Nagel Draxler, Berlin. Anmeldung telefonisch oder per E-Mail berlin@nagel-draxler.de
Da ist etwa der Ritter auf Laura Winters Pastellmalerei. In voller Rüstung steht er einsam in der Landschaft, den Kopf gen Himmel gerichtet, ein Seil umweht ihn, das sich gefährlich eng um seinen Hals schlingt – der Krieger bleibt verletzlich, trotz aller Panzerung.
Von Nähe und Intimität erzählen auf unterschiedliche Weise die Gemälde von Jessica Nam Kim und Alexander Basil. Die jungen, unbekleideten Frauen auf Nam Kims Bildern scheinen sich zu geheimnisvollen Ritualen zusammengefunden zu haben. Basil wiederum lässt die Betrachter*innen einem Paar beim Kartenspiel über die Schulter blicken.
Man wird auch diesen beiden, ihren rosaroten barock-üppigen Körpern noch weitere Male in der Ausstellung begegnen, in anderen alltäglichen Situationen, ineinander verschlungen, spannungsreich verbunden in jeglicher Hinsicht, wie ein Leben als Paar eben so ist.
Basils Malstil prägt sich ein
Basils präziser, erotisch-ironischer Malstil mit seinen flach auf die Leinwand aufgetragenen Motiven prägt sich sofort ein, aber nicht nur seiner. Das ist es eben, was alle fünf jungen Künstler*innen vereint, ihre jeweils unverkennbare Bildsprache, ihre eigenständige Herangehensweise an Malerei und Figuration.
Amaoko Boafo ist der bekannteste unter ihnen. Boafo, der in Accra geboren ist, hat in kürzester Zeit eine rasante Karriere hingelegt, erreicht mit seinen Porträts Schwarzer Menschen, die in der Intensität ihrer Darstellung bisweilen an Egon Schiele erinnern, inzwischen hohe Preise auf den Markt.
Das 2 mal 2 Meter große Selbstbildnis, das in der Hauptgalerie von Nagel Draxler hängt, stammt aus dem Jahr 2017. Die mittlerweile für ihn typische Art Haut mit dem Finger aufzutragen, ist dort noch nicht zu erkennen – dafür aber eine künstlerische Nähe zu seiner Professorin.
Auch Boafo hat den Hintergrund collagiert. Geht man nah heran, lassen sich die einzelnen Schnipsel lesen, Flyer, die Kulturveranstaltungen ankündigen, Bilder, Personen, Text, Schrift, die zu einem Puzzle der Zeichen verschwimmen, aus dem dann aber doch einzelne Worte hervorstechen. Und was für welche: „To Be or Not to Be“, „Stillstand“, „Doppelgänger“.
Der Kunstmarkt ist Subtext der Schau
2019, das war noch bevor Boafo die Akademie abschloss, stellte Boafos Chicagoer Galerie Mariane Ibrahim ihn auf der Art Basel Miami Beach aus – und verkaufte gleich den ganzen Stand. Von ebendiesem Messeauftritt, zu dem auch Mikkola anreiste, erzählt der Text, den Nagel Draxler als Pressemitteilung herausgeben. Er macht den Kunstmarkt und dessen eigenartige Mechanismen gewissermaßen zum Subtext der Schau.
Die Rede ist darin auch von den sogenannten NFTs, Non-Fungible Tokens, Echtheitszertifikaten für digitale Kunstwerke, die in einem Blockchainverfahren erworben werden und um die sich in jüngster Zeit ein irrer Hype entwickelt hat. Einer, bei dem es scheinbar gar nicht mehr um die Kunst an sich, um deren möglicherweise eher schwache visuelle Qualität, sondern nur noch um Tauschwerte zu gehen scheint.
Glücklicherweise ist das bei Mikkola und ihren Schüler*innen anders. Da lohnt es sich auf jeden Fall hinzuschauen, möglichst ohne Bildschirm dazwischen, solange es noch geht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind