Friedensaktivistinnen über die Ukraine: „Endloser Hass ist keine Option“
Dana Jirouš und Inga Luther von der NGO Owen arbeiten seit Jahren mit einem Frauennetzwerk für Frieden in der Ostukraine – grenzübergreifend.
taz am wochenende: Frau Jirouš, Frau Luther, stehen Sie nach sechs Jahren Friedensarbeit im Donbass jetzt vor einem Scherbenhaufen?
Dana Jirouš: Noch ist es kein Scherbenhaufen. Aber ein sehr fragiles Konstrukt. Wir balancieren da gerade eine Art empfindliche Glasvase zwischen uns.
Was ist für die Friedensaktivistinnen vor Ort derzeit noch möglich?
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Dana Jirouš: Unser Projekt Women’s Initiatives for Peace in Donbas(s) ist ein Netzwerk von zivilgesellschaftlich engagierten Frauen von verschiedenen Seiten des Konflikts. Es gab schon vorher einen jahrelangen Krieg, und diese Frauen bleiben weiterhin in einer aktiven Position und schauen: Was ist jetzt mein Handlungsspielraum? Es ist ja auch eine ganz bestimmte Genderperspektive, die annimmt, dass Frauen jetzt verschreckt in der Metro sitzen oder flüchten und die Männer kämpfen.
Was hören Sie konkret von den Frauen?
Dana Jirouš: Natürlich ist eine Person, die jetzt in Mariupol eingeschlossen ist, mit dem nackten Überleben beschäftigt. Aber diejenigen, die nicht in dieser totalen Bedrängnis sind, organisieren Hilfeleistungen, machen Analysen und Übersetzungen.
Inga Luther: Ein wichtiger Aspekt ist auch die Aufrechterhaltung der Kommunikation über die Konfliktlinien hinweg. Einerseits, um an Informationen heranzukommen, andererseits aber auch, um Dinge organisieren zu können, etwa Medikamente.
Das heißt, Russinnen und Ukrainerinnen sprechen weiterhin miteinander?
Dana Jioruš: Für die Art von Kommunikation, die wir noch zwei Tage vor der Invasion hatten, bei der sich alle online treffen und offen miteinander reden, ist im Moment nicht der Zeitpunkt. Jetzt ist es ein individueller Austausch: Da kommuniziert eine Aktivistin aus Kiew mit einer Kollegin aus Russland, um emotionalen Support zu geben.
Dana Jirouš, NGO Owen
Das andere ist das ganz Praktische. Wir lesen viel von den großen Städten, aber es gibt viele kleine Ortschaften, wo Menschen Angehörige haben, bei denen unklar ist, ob sie in Sicherheit sind. Da kann ein Netzwerk natürlich helfen: Ich bin auf der Seite und du auf der Seite, kannst du gucken, was los ist? Da hilft ein gewachsenes Vertrauensverhältnis, auch wenn es fragil ist und im Moment von neuem Misstrauen durchtränkt.
Empfinden die russischen Aktivistinnen jetzt Rechtfertigungsdruck?
Dana Jirouš: Auf jeden Fall. In dem Moment, wo es um eine Frage von Sein oder Nichtsein geht, ist die Grenze des Anhörbaren viel enger geworden. Wo man früher sagen konnte: Okay, wir können jetzt auch mal zwei Positionen nebeneinander stehen lassen, ist das jetzt fast unmöglich.
Wie hat Ihre Arbeit im Donbass begonnen?
Dana Jirouš: Wir haben Frauen aus unterschiedlichen Konfliktregionen zu großen Dialogtreffen zusammengebracht. 2016 war die Situation noch sehr angespannt, teilweise wurde noch Gewalt ausgeübt. Viele Akteurinnen sagten: In dieser Phase des Konflikts kann es keinen Dialog geben. Aber wir haben immer die Position vertreten: „Wir müssen auch jetzt schon miteinander reden“.
Wurde es noch praktischer?
Dana Jirouš: Es gab immer das Anliegen, auch gemeinsam zu handeln und jenseits der großen, teilweise auch ideologischen Gräben ganz konkrete Probleme zu lösen: Da ging es zum Beispiel darum, dass Menschen, die in den sogenannten Volksrepubliken beziehungsweise nicht ukrainisch kontrollierten Gebiet der Ukraine lebten, nicht so einfach an ukrainische Pässe kamen.
43,ist Geschäftsführerin und Projektmanagerin bei Owen – Mobile Akademie für Geschlechterdemokratie und Friedensförderung e. V.
Hatten Sie das Gefühl, trotz der kontinuierlichen Zuspitzung der Situation etwas aufbauen zu können?
42, koordiniert die Plattform Women’s Initiatives for Peace in Donbas/s der Berliner NGO Owen – Mobile Akademie für Geschlechterdemokratie und Friedensförderung e. V.
Dana Jirouš: Wir haben eine Menge aufgebaut. Das wird jetzt alles nicht mehr reflektiert. Dort, wo wir eigentlich vorher waren, beim Minsker Abkommen, ging es um eine Roadmap zur Reintegration der Gebiete in Luhansk und Donezk in die Ukraine. Da ist nicht alles super gelaufen, aber es gab einen Raum, um zu überlegen: Was könnte man noch machen, um die Integration zu ermöglichen?
Inga Luther: Auch auf der internationalen Ebene hat sich jetzt ganz viel verschoben. Es ist überhaupt nicht mehr klar: Wer verhandelt eigentlich mit wem? Da ist es natürlich um so schwieriger für zivilgesellschaftliche Akteurinnen, sich zu beteiligen.
Sehen Sie da eine Perspektive?
Dana Jirouš: Ich habe selten so viel gearbeitet wie in den letzten Wochen. Die Arbeit muss sich immer wieder neu ausrichten, aber auch das ist nichts Neues. Friedensarbeit ist Arbeit an Beziehungen.
Inga Luther: Friedensarbeit ist ja viel mehr als Verhandlung zwischen den Kriegsparteien. Was passiert eigentlich in den verschiedenen Gesellschaften? Da gucken wir in die Ukraine, aber wir gucken auch besonders nach Russland und wie wir da unterstützen können, damit Beziehungen erhalten bleiben und nicht alles wahllos abgebrochen wird.
Haben die Protagonistinnen vor Ort ähnlich viel Zutrauen?
Dana Jirouš: Das Netzwerk besteht aus 50 bis 70 Frauen und jede hat da eine eigene Perspektive. Natürlich sind viele von den ukrainischen Aktivistinnen jetzt eher skeptisch, was Friedensarbeit angeht. Aber es kommt auch darauf an, ob man es schafft, einen Metablick zu bewahren. Es ist nicht nur die Frage: Bin ich heute bereit, mit jemandem zu sprechen? Irgendwie wird man in dieser Region wieder miteinander leben müssen; endloser Hass ist keine Option. Das wissen die meisten unserer Frauen, auch wenn sie heute keine Ressourcen haben, sich damit auseinanderzusetzen. Aber wir haben auch ukrainische Kolleginnen, die bereit sind, jetzt einen Dialog mit der russischen Zivilgesellschaft zu führen.
Inga Luther: Und dann gibt es diejenigen, die sich nicht eindeutig zuordnen können, die teilweise von verschiedenen Seiten beschuldigt werden oder Ressentiments ausgesetzt sind. Für die gibt es eine extrem hohe Notwendigkeit, sie zu hören und sichtbar zu machen.
Auf politischer Ebene wird jetzt viel Hoffnung in Waffenlieferungen an die Ukraine gesetzt. Geht das einher mit einer Relativierung der Friedensarbeit?
Inga Luther: Es gibt da glücklicherweise verschiedene Stimmen. Aber diejenigen, die sagen, diese Art von Friedensarbeit ist naiv, werden jetzt stärker. Friedrich Merz hat so etwas öffentlich gesagt, das ist schon bitter.
Haben Sie schon eine Position dazu?
Inga Luther: Wenn ich gefragt werde: „Bist du denn jetzt für Waffenlieferungen, ja oder nein?“, dann würde ich sagen: „Das ist jetzt gerade nicht mein Fokus. Mein Fokus ist es, Leute zu unterstützen, die ohne Waffen etwas tun.“
Dana Jirouš: Wir geraten in der Debatte über die militärische Aufrüstung der Ukraine auch in eine schmerzhafte Auseinandersetzung innerhalb des Netzwerks. Es gibt den Wunsch von manchen unserer Partnerinnen, dass wir für militärische Unterstützung optieren. Aber für mich heißt Dialog, dass es die Möglichkeit gibt, auszuhalten, dass wir das vielleicht anders sehen. So schmerzhaft das unter den jetzigen Umständen ist.
Die Mobile Akademie für Geschlechterdemokratie und Friedensförderung e. V. engagiert sich für die Stärkung von Zivilgesellschaft, Geschlechterdemokratie und Frieden (Ost- und Mitteleuropa).
Die Plattform Women’s Initiatives for Peace in Donbas/s hat Owen 2016 initiiert, um in einem Netzwerk von Frauen aus der Ukraine, Russland und anderen Teilen Europas den Friedensprozess voranzubringen.
Ist es eine neue Erfahrung, dass die Akteurinnen des Netzwerks eine Positionierung von Ihnen als deutscher Seite einfordern?
Dana Jirouš: Wir hatten von Anfang an die Auseinandersetzung: Führt der Weg zum Frieden auch über Waffen? Die Akteurinnen, mit denen wir gearbeitet haben, sind keine klassischen Friedensakteurinnen. Sie haben so unterschiedliche Positionen, wie sie eben in der Gesellschaft auch vertreten sind. Die andere Seite ist: Die Bundesrepublik hat ein enges Verhältnis zu Russland gepflegt. Von ukrainischen Partnern wurde das immer auch skeptisch gesehen.
Und wenn Sie die Rede von Selenski vor dem Bundestag verfolgt haben: da wird der Bundesrepublik fast schon eine Mitschuld an den Ereignissen gegeben. Das ist etwas, was im Moment Teile der ukrainischen Bevölkerung so sehen. Und damit müssen wir uns auch auseinandersetzen. Aber wir haben uns immer als Teil des Prozesses gesehen, nicht als neutrale Vermittler. Und das ist auch das, was ich meiner ukrainischen Kollegin sagen kann: Ich bin bereit, mich diesen schmerzhaften Fragen zu stellen.
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