Frauenfeindlicher Literaturbetrieb: Ich mach dich fertig
Die Repräsentanten des Literaturbetriebs betreiben eine Kultur des blinden Flecks. Sexismus wird ignoriert, die Männer inszenieren sich als Opfer.
Als man mir anbot, für die Welt einen Artikel über die männlich dominierte Longlist des Buchpreises 2014 zu schreiben, war ich überzeugt, gegen etwaige Shitstorms gut gerüstet zu sein. Es würde ausreichen, den Blick in den Kommentarspaltenabgrund zu vermeiden, glaubte ich. Das tatsächliche Ausmaß der Beleidigungen und Drohungen, auch seitens Kollegen, das dem Text folgte, hat meinen Blick auf das Feuilleton und seine Debattenkultur dann sehr verändert.
Wichtig scheint hier vor allem, dass Texte junger Journalisten der jeweiligen Zeitung – auch über die sozialen Medien – zu optimierten Reichweiten verhelfen, nicht aber das Aufkommen eines tatsächlichen Diskurses, der Menschen zum Nachdenken oder gar zum Andershandeln bewegen könnte. So kehrt bald wieder ein Betriebsalltag der Nachrufe und Buchkritiken ein, in denen gesetzte Kritiker sich untereinander austauschen.
Einer jener etablierten Kritiker schrieb anlässlich meines Textes, er könne „im Absurditätsgrad der Behauptungen: ’Im Literaturbetrieb werden Frauen unterrepräsentiert und diskriminiert‘ und ’Die Erde ist eine Scheibe‘ keinen Unterschied erkennen“. Ein Schelm, wer die Tatsache, dass ebenjener Kritiker für Zeit.Online 6 Werke weiblicher Autoren und 48 Werke männlicher Autoren besprochen hat, voreilig Unterrepräsentation nennt! VIDA, die Vereinigung der „Women in Literary Arts“, bestätigt mit nachprüfbaren Zahlen seit 2010 jährlich, dass es im amerikanischen Literaturbetrieb mehr männliche Kritiker als weibliche gibt und signifikant mehr Bücher männlicher Autoren besprochen werden. Für den deutschsprachigen Markt existiert (noch) kein solches strukturiertes Angebot.
Nicht dass im Journalismus Sexismus kein Thema wäre: Bespritzt der Rennfahrer Lewis Hamilton eine Hostess mit Champagner, vertreibt ein großes Versandhandelsunternehmen „In Mathe bin ich Deko“-Shirts für Mädchen, ist das Geschrei groß. Im Literaturbetrieb aber ist die Welt natürlich eine andere, unbefleckte: Viele seiner Protagonisten sehen sich gern als besonders tolerant und progressiv.
Um dieses Selbstbild haltbar zu machen, braucht es eine Kultur des blinden Flecks. Dass Kritiker „Frauenliteratur“ noch immer als Gegenstück zu regulär-anspruchsvoller, von Männern verfasster Literatur behandeln und mutmaßen, Buchverträge gewisser Autorinnen seien nur durch Sex mit dem Verleger zustande gekommen; dass Moderatoren gesellschaftskritischen Schriftstellerinnen nach der Lesung erklären, sie seien zu hübsch, um sich mit so unschönen und komplizierten Themen zu befassen; dass Veranstalter Autorinnen betatschen und für die Gegenleistung Sex den ganz großen Karriereschub versprechen; dass Kritiker Schriftstellerinnen mit anzüglichen Mails bombardieren und nach der sachlichen Bitte um Unterlassung auf Drohmails umsteigen: vertretbare Einzelfälle!
Chefs und ihre „Mäuschen“
Dass männliche Chefs ihre weiblichen Mitarbeiter „Mäuschen“ nennen; dass Journalisten auf Pressereisen lautstark Wetten darüber abschließen, wer die jüngste Kollegin als Erster ins Bett kriegen wird; dass leitende Redakteure freien Mitarbeiterinnen schon beim Versuch einer Gehaltsverhandlung über den Mund fahren, da von Frauen ein weniger unverschämtes Auftreten gewünscht sei und/oder sie ohnehin nie eine feste Stelle erhalten würden: wie humorlos, so etwas zu dramatisieren!
Solche Erfahrungen, von denen junge Autorinnen, Verlagsmitarbeiterinnen und Journalistinnen mir berichtet hatten, überzeugten mich von der Notwendigkeit einer öffentlichen Debatte. Als Vehikel diente mir die mehrheitlich mit männlichen Autoren besetzte Buchpreislonglist. Die Reaktionen auf meinen Artikel waren wie aus dem Klischeebilderbuch abgepaust. Mich erreichten zahllose Nachrichten und Erklärungen von Männern, auch Journalistenkollegen, die behaupteten, dass mein Artikel jeder Wahrheit entbehre und nur gedruckt worden sei, weil die armen Verleger auf ihre Reichweite aufpassen müssten.
Oder sie gingen gleich dazu über, persönlich zu werden: Von einem Mitglied der Buchpreisjury richtete man mir aus, dass ich mich vorsehen solle und dass ich schon sehen werde, was bei so einem Verhalten herauskomme. Man drohte mir, mich fertigzumachen. Man könne mich ganz leicht öffentlich diffamieren. Mir Steine in den Weg legen. Meine Karriere beenden, ehe sie überhaupt begonnen habe.
Ich schätze viele dieser Kollegen nach wie vor; es sind kluge, feinsinnige Menschen. Um ihre Ausfälle nachvollziehen zu können, muss man vor allem begreifen, dass im Literaturbetrieb Konkurrenzkampf nicht unbedingt auf der Leistungsebene stattfindet. In der gutbürgerlichen Betriebssuppe darf im Grunde sowieso nur schwimmen lernen, wessen Eltern oder Partner für den eigenen Lebensunterhalt aufkommen, denn von zynisch bezahlten Volontariaten kann sich niemand ernähren. Nach den klar weiblich dominierten Volontariaten kehrt sich das Geschlechterverhältnis um, und es wandern hauptsächlich Männer in Richtung fester Stellen, während Frauen sich mit freier Mitarbeit oder Schwangerschaftsvertretungen begnügen müssen.
Feinsinnige junge Männer
Doch selbst von freien Mitarbeiterinnen fühlen männliche Festangestellte sich bedroht. Das hat mit der psychischen Verfasstheit der Kollegen zu tun. Attackiert wird im Sexismusdiskurs gerne der gönnerhafte Typus des old white man, der dem Irrglauben frönt, junge Frauen wollten lieber die Brust als die Hand gedrückt bekommen. Aber das reicht längst nicht mehr.
Die Nachfolge des old white man hat nämlich der feinsinnige junge Mann angetreten: ein Vielleser, der keinen Beißerstudiengang wie Jura oder BWL, sondern lieber Literaturwissenschaft studiert hat, wo er mit erschlagenden weiblichen Mehrheiten und bürgerlichen Trauerspielen sozialisiert wurde, in denen Männer auf Erden das sind, was in der Hölle der Teufel ist. Spätestens nach dem dritten Trauerspiel war der feinsinnige junge Mann überzeugt, dass die Welt nicht nur für Lessing und Schiller, sondern für alle Menschen aus bösartigen, zu verlachenden oder gleich umzubringenden Männern und qua Geburt guten Engelsfrauen besteht. Engelsfrauen, die wie Effi Briest fremdgehen oder wie das Faust’sche Gretchen ihr Kind töten, aber trotzdem von allen gemocht werden und entspannt zum Himmel auffahren.
Seither glaubt der feinsinnige junge Mann, dass Frauen es im Leben leichter haben. Dass sie einfach nur nett lächeln müssen und sich hochschlafen können, während er, der feinsinnige junge Mann, sich halbtotschuften muss, um vorm gestrengen Cheflustmolch bestehen zu können. Dass es tatsächlich Verleger und Chefredakteure gibt, die Volontärinnen eher nach Aussehen denn Kompetenz einstellen, macht die Sache auch nicht einfacher.
Wem was zugutekommt
Der feinsinnige junge Mann hat selbstverständlich recht damit, dass es im Literaturbetrieb nicht gerecht zugeht. Nur fällt ihm nicht auf, dass diese Ungerechtigkeit hauptsächlich ihm selbst zugutekommt. Stattdessen fühlt er sich beleidigt, wenn Förderprogramme oder Quoten zugunsten von jemandem gefordert werden, der nicht er ist. Den feinsinnigen jungen Mann befällt allein bei der Vorstellung, eine Frau könnte eines Tages mehr Macht haben als er, ein akutes Gefühl der Entmännlichung. Dieses Problem lässt sich weder mit rationalen Argumentationsversuchen noch mit Schweigen und Abwarten lösen.
Seit ich journalistisch arbeite, wird mir vorgehalten, ich könne mir Kritik am Literaturbetrieb nicht leisten. Auf den Weg gegeben wird mir der Ratschlag, ich müsse erst eine festangestellte Journalistin oder eine etablierte Autorin sein, um mir das herausnehmen zu können. Missstände aufzeigen zu dürfen sollte man sich aber nicht erst durch jahrelanges Schweigen verdienen müssen. Ich bin nicht zuletzt deswegen Journalistin geworden, weil ich der festen Überzeugung bin, dass es Öffentlichkeit braucht, um etwas verändern zu können.
Sexismus ist ein Spiel, das immer die Falschen gewinnen. Es ist an der Zeit, dass wir aufhören, mitzuspielen.
Leser*innenkommentare
5393 (Profil gelöscht)
Gast
Hauptpunkte des Textes sind Angst und Sex, unhinterfragt bleibt das System. Es ist vertikal, auf einer Vertikale ändert sich nichts; ein paar Verlage und Autoren haben eine alternative Liste gegründet, welche das Vertikale ein paar Grad verschiebt, zu einer anderen Vertikalen, vielleicht sind da mehr Frauen drauf, zumindest sind mehr Frauen unter den Verlegern. Vertikal ist das System trotzdem immer noch.
Neues und Wandel laufen nur auf Horizonalen.
"Besser man will etwas nicht wissen, als man setzt das Gewusste nicht um", Konfuzius - die richtige Übersetzung lässt das "man" übrigens weg.
Die Liste ist einer der Ausdrücke eines vertikalen Systems und verfehlt Literatur und Leben, die Liste kann man nicht mit Quoten verbessern.
Der Wunsch nach Änderung bleibt so wenig glaubwürdig.
Holle
@5393 (Profil gelöscht) Ist das eine Kritik an unserem hierarchischen System? Dann teile ich sie. Allerdings haben wir es heute auf der Welt fast ausschließlich mit hierarchisch organisierten Gesellschaften zu tun. Diese zu kritisieren ist schwer, wenn eineR noch ernst genommen werden will. Denn sie gewaltlos brechen kann zur Zeit nur jede und jeder Einzelne im ganz persönlichen Rahmen - oder?!
Normalo
Es wirkt ein wenig, als habe die Autorin herausgefunden, dass die Schublade für die "old white men" und ihr angestaubtes Chauvi-Gehabe zu klein ist, um das gesamte männliche Geschlecht hineinzustopfen und dabei noch glaubwürdig zu bleiben. Dafür erst einmal Lob und Dank.
Leider geht es dann aber weiter mit einer etwas krampfigen Konstruktion, die letztlich auch den jungen Männern unterstellt, ihr Frauenbild an (literarischen) Archetypen aus dem 19. Jahrhundert auszurichten. Ich will nicht abstreiten, dass es Männer gibt, die so weltfremd denken - zumal auch noch eine Menge Frauen viel lieber auf Händen getragene Dame als selbstverantwortliche Überlebenskämpferin wären. Es gibt übrigens sogar jene Frauen, die wirklich den Anspruch erheben, auch im Arbeitsleben als das moralisch unantasbare Wesen zu gelten, das Förderung per se verdient hat. Und es gibt Männer, die diese Naivität als Schwäche sehen und diese brutal im Konkurrenzkampf ausnutzen. Und es gibt auf beiden Seiten solche, denen Geschlechter völlig egal sind, wenn es um die Arbeit geht.
Will sagen: Es gibt alles Mögliche da draußen, und aller Nase lang neue Schubladen zu kreieren, in die man möglichst große Teile des jeweiligen Geschlechts zwängen will, um die alten Gräben schön tief zu halten, führt nur dazu, dass sich die Allermeisten nicht angesprochen fühlen.
Normalo
Teli 2:
Sehr verständlich ist natürlich die Beschwerde der Autorin, dass sich Männer zu Opfern stilisieren. Das gehört sich nicht - auch nicht, wenn mann wirklich in der Situation steckt, einen Aufstieg anzustreben, zu verdienen, aber wegen nicht quotengerechten Geschlechts übergangen zu werden. Schließlich haben ANDERE Männer ungerechtfertigt überproportional diesen Schritt gemacht.Das muss doch einfach reichen, um sich auch heute noch ausreichend privilegiert zu fühlen. Wer den Artikel liest, wird darüber hinaus auch eingestehen müssen, dass Frauen das mit der Opferrolle einfach um Klassen besser, ausführlicher und - Gegenstück zur Realität in der Arbeitswelt - kompromissloser hinbekommen. ;-)
mowgli
Wenn ich diesen Text so lese, stellt sich mir die Frage, ob der deutsche "Literaturbetrieb" samt Buchpreis-Listen überhaupt zu reformieren ist. Wenn ja, wie und von wem? Wenn nein, was kann statt dessen sein?
Dana Buchzik wirkt ein wenig wie Jung-Siegfried Gerhard Schröder in jener Legende, in der er am Zaun des Kanzleramtes rüttelt und schreit: "Ich will da rein!" Was er getrieben hat, nachdem er endlich "drin" gewesen ist, ist hinlänglich bekannt.
Holle
Liebe Journalistin,
ich spreche Ihnen meine Dankbarkeit aus und zolle Ihnen Respekt für Ihren Mut. Ich stehe Ihnen bei: Sie haben Recht. Unsere Gesellschaft gründet auf Sexismus. Das zeigt sich in der Sprache (vgl. Ergebnisse der empirischen Linguistik, z.B. Friederike Braun, Elise Heise), in der Verteilung von Ressourcen zum Überleben (Zuteilung von Kapital/ Vermögen/ Macht zum „Produktionssektor“ statt zum „Reproduktionssektor“, als gesellschaftliche Grundentscheidung), in der Verteilung von Definitionsmacht in den von männlichen Prinzipien dominierten Feldern von Moral, Religion, Politik, Wissenschaft, Rechtssystem – wir sehen es überall. Aber: Wahrnehmung und Thematisierung sind tabuisiert. Das Brechen des Tabus verursacht den Shitstorm in uns und um uns herum. Wir schweigen bei frauenfeindlichen Witzen, frauenfeindlicher Werbung, frauenfeindlichen Filmen, frauenfeindlichen Gesetzen, frauenfeindlicher Diskriminierung von Müttern, Arbeitnehmerinnen, Politikerinnen, Künstlerinnen. Die Hoffnung ruht auf jeder von uns. Entwickeln Sie positive Visionen, und wir verändern zusammen die Welt!
mister-ede
"Männer inszenieren sich als Opfer"
Der Text ist doch von einer Frau geschrieben, also inszeniert sich hier doch eine Frau als Opfer.
Velofisch
Was nicht sein darf kann nicht sein.
Frauen sind immer Opfer und wenn eine Frau Diskriminierung beklagt, trifft dies immer zu und ist noch untertrieben.
Männer sind dagegen nie Opfer sondern profitieren immer. Ein Teil der Männer ist weinerlich und inszeniert sich als Opfer.
Auch wenn der Artikel viele richtige Punkte aufzeigt, so pflegt er diese Stereotypen weiter.
Wieso fällt es denn so schwer hier einen zumindest ein wenig objektiveren Artikel zu schreiben. Die Argumente sind doch nicht so schlecht, dass hier auf (Frauen-)Stammtischniveau argumentiert werden muss!?
889 (Profil gelöscht)
Gast
@mister-ede Wie nett, dass Sie uns auch gleich einen Einblick geben, mit welcher Art von Reaktionen sich die Autorin herumplagen muss.
Sage Ichnicht
@889 (Profil gelöscht) Dass Kritik an feministischen Thesen gleich immer als Angriff und Hass deklariert werden, unterstreicht genau das, was Mister-Ede geschrieben hat.
ioannis
@889 (Profil gelöscht) Wieso? Stimmt doch: "Männer inszenieren sich als Opfer" in einem gediegenen Opfertümelei-Artikel muss ja etwas komisch wirken...
mister-ede
Nette Trollversuche...
http://www.taz.de/Debatte-Gleichstellungsgesetz/!155351/