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Roman „Ihr Körper und andere Teilhaber“Die Sichtbarkeit echter Frauen

Carmen Maria Machado verbindet in ihrem Debüt Fantasie und Realität. Und schreibt selbstverständlich über queeren Sex.

„Echte Frauen haben Körper“ schreibt Carmen Maria Machado in ihrem Debüt Foto: Sam Manns/Unsplash

Es gebe bei vielen Le­se­r*innen ein grundlegendes Missverständnis, erzählte Carmen Maria Ma­cha­do neulich in einem Interview dem Guardian: Sie erwarteten bei der Lektüre eines Romans oder einer Erzählung eine eindeutige Botschaft, das aber sei gar nicht die Aufgabe von Literatur. Und in der Tat bietet die 32-jährige US-amerikanische Autorin in ihrem Debüt „Ihr Körper und andere Teilhaber“ derlei nicht an.

Im Gegenteil: Ihre acht Erzählungen zeichnet gerade das Uneindeutige aus. Die Kritik feierte sie dafür, der im Original Ende 2017 erschienene Band war für den National Book Award nominiert und hat zehn Literaturpreise erhalten. Doch gibt es eine klare Themensetzung, denn es geht Ma­cha­do um die Lebensrealitäten von Frauen. Um ihre Körper, ihre Sexualität. Um Übergriffe und Gefährdungen, um Machtgefälle.

Das Buch erschien wenige Tage, bevor die Vergewaltigungsvorwürfe gegen den bis dahin allmächtigen Filmproduzenten Harvey Weinstein publik wurden, danach kam die MeToo-Bewegung in Gang. So war es in gewisser Weise ein Buch der Stunde. Und vielleicht hat das die Aufmerksamkeit und Offenheit für diese eigenwillige Erzählerin und ihre überbordende Literatur befördert – was ein Glücksfall wäre. Denn Machado erweist sich als eine überaus scharfsichtige Beobachterin, der eine feministische Weltsicht ganz selbstverständlich zu eigen und die mit einer betörenden Fantasie ausgestattet ist.

Carmen Maria Machado erzählt nicht nur von Gefährdungen und Zurichtungen, sondern zugleich sehr explizit von Begehren und Lust, und dies aus einer queeren Perspektive. Ihre Frauenfiguren – bis auf eine Ausnahme sind es Ich-Erzählerinnen – sind meist lesbisch oder bisexuell. Machado selbst hat ihre Freundin geheiratet. Im erwähnten Interview betont sie, wie wichtig es ihr sei, andere Sexualitäten literarisch sichtbar zu machen. Denn die meisten Sexszenen würden offenbar von heterosexuellen weißen Männern geschrieben, das finde sie langweilig.

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Machado schert sich wenig um Grenzziehungen

Originell sind ihre Geschichten auch aufgrund der vielfältigen Genres, die sich Machado souverän aneignet: Horror- und Schauergeschichte, Fantasy und Dystopie treffen aufeinander, Machado schert sich wenig um die Grenzziehungen dazwischen. Das Alltägliche, Rea­le und das Fantastische stehen selbstverständlich nebeneinander, ein magischer Realismus, der nicht zuletzt auf eines ihrer literarischen Vorbilder, Gabriel García Márquez, verweist.

So in der Erzählung „Echte Frauen haben Körper“, in der die Ich-Erzählerin in einer Boutique arbeitet, deren Kleider bei jungen Frauen heiß begehrt sind. Sie verliebt sich in Petra, Tochter der Schneiderin. Beide verfolgen in den Medien das Phänomen der verblassenden und schließlich verschwindenden Frauen. Sie entdecken, dass sich einige von ihnen, nur noch Schemen, in die Säume der beliebten Kleider einnähen lassen. Und dann trifft es auch Petra: „ ,Ich verblasse', sagt sie, und noch während sie es ausspricht, sehe ich, dass ihre Haut mehr Magermilch als Vollmilch ist, es wirkt, als wäre sie weniger da. Sie atmet tief durch, und das Bild flimmert, als würde sie dagegen ankämpfen.“

Nach #MeToo war es das Buch der Stunde. Originell sind ihre Geschichten aber auch aufgrund der vielfältigen Genres, die sich diese Autorin souverän aneignet: Horror- und Schauergeschichte, Fantasy und Dystopie treffen aufeinander

In einer einfachen Allegorie der Normierung weiblicher Körper, der Nichtakzeptanz ihrer tatsächlichen Vielfalt oder des Mangels an Sichtbarkeit von Frauen geht diese Geschichte nicht auf: Diese Aspekte sind darin enthalten, so wie es bei Ma­chado immer einen ganz deutlichen Bezug zur Realität gibt. Trifft es Petra gerade, weil sie so frei von konventionellen Zuschreibungen und so lebenshungrig ist? Was bedeutet es, dass die verblassten Frauen sich nicht vom Fleck rühren, so unerträglich passiv sind, als die Erzählerin sie aus den Säumen befreit?

Momente der Orientierungslosigkeit

Diese Rätselhaftigkeit zeichnet alle Erzählungen aus. Es gibt keine einfachen Antworten oder Erklärungen. Und Machados Frauen sind oft beides zugleich: fremd- und selbstbestimmt, sie schwanken dazwischen. Wie die Protagonistin in „Der Extra­stich“. Gleich einem Körperteil ist ihr ein grünes Band um den Hals zu eigen. Niemand darf es berühren oder gar aufschnüren. Sie begreift sich als sexuell emanzipierte Frau – und ist dies einerseits auch; zugleich aber erfüllt sie gegen innere Widerstände alle Wünsche ihres Mannes, der „kein schlechter Mann“ ist. Und schließlich, da es „das Alpha und Omega seiner Begierden“ ist, lässt sie ihn das Band doch lösen. Mit fatalen Folgen.

Wiederkehrend ist auch das Nebeneinander düsterer Bilder, von Sterben und Tod und der Feier von Schönheit und Lebenslust. In „Inventur“ dominiert zwar Ersteres, die Erzählerin flieht vor einer tödlichen Seuche, während sie sich aller erotischen Begegnungen und Lieben erinnert.

In der Geschichte „Mütter“ – die von einer erst glückstaumeligen, dann durch die manipulative Macht der Geliebten über die Ich-Erzählerin zerrütteten Liebe handelt – trifft beides in einem Satz zusammen: „Es gibt seltsame Abende, an denen die Sonne untergeht und es gleichzeitig regnet, dann färbt sich der Himmel gold- und pfirsichfarben, aber ebenso grau und lila wie ein Bluterguss.“

Diese bildreiche und sinn­liche Sprache zieht die Le­se­r*in­nen in die Geschichten hinein und leitet sie durch Momente von Verwirrung, ja Orientierungslosigkeit fast mühelos hindurch. Dieser Autorin zu folgen ist ein entdeckungsreicher Genuss, ein staunend machendes, abgründiges Vergnügen.

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4 Kommentare

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  • Die Angst zu „verblasse[n]“ oder sich aufzulösen geistert von je her durch die menschliche Fantasie, scheint mir. Sie ist offenbar eine Art Preis, den Menschen bezahlen für Schöpferkraft. Vor allem, wenn sie in ihr ihre große (und einzige) Stärke sehen und Stärke für sie nicht gut verzichtbar ist. Denn wenn irgendwann alles zu Ende ist, wie kann sich dann noch jemand irgendwas vorstellen?

    Noch lebe ich. Ich kann mir also vorstellen, wie es sich anfühlt, ein Alleinstellungsmerkmal zu besitzen, das unmöglich in Ewigkeit tragen kann: Nicht eben angenehm. Vor allem dann nicht, wenn man eingeredet bekommen hat, das Seelenheil hinge von Stärke ab und die Seele sei unsterblich, weswegen Vorsorge Not täte.

    Echte Menschen haben tatsächlich Körper. Aber was ist mit denen, die schon gestorben sind? Frühmittelalterliche Herrscher haben Klöster gegründet, damit ihrer Seelen gedacht werden kann, nachdem ihre Körper begraben wurden. Wer Mönch wurde, der hatte seinerzeit ausgesorgt. Er musste „nur“ beten für den, der das Essen bezahlt hatte vor seinem Tod – und sich einer strikten Normierung anheimgeben. Sein individueller Körper hatte fürderhin unsichtbar zu sein. So unsichtbar wie der Körper seines Patrons. Geschöpft wurde ausschließlich geistig. Wenn überhaupt.

    Ich finde es ziemlich riskant, in unaufgeklärte Männerdomänen einzudringen. Mir genügen meine eigenen Ängste vollkommen. Ich möchte nicht auch noch die Ängste bewältigen müssen, die man als alter, katholischer Mann haben muss. Als Mann der sich viel mehr als Mann fühlen muss denn als einmalig-endliches Individuum.

    Ich beneide weder die früheren Herrscher noch deren Notnägel. Blasser zu werden fürchte ich nicht. Ich glaube, meiner Seele kann es egal sein, ob ich verschwunden sein werde in ein paar Jahren. Sie muss ja nicht ohne mich weiterleben. Und meine Lieben, hoffe ich, schaffen das schon. Habe mich jedenfalls darum bemüht.

  • Ich würde eher sagen "Alle Frauen haben Körper". Wen soll dieses "Echte Frauen" ausgrenzen? Wer oder was sind die "Unechten Frauen".

    • @DiMa:

      Echt jetzt?

    • @DiMa:

      Es gibt eben echte Frauen und sogenannte Cisfrauen. ;-)