Frauen in der Punk- und Postpunk-Musik: Keine Erwartungen erfüllen

Der Mode- und Musikjournalist Sam Knee hat sein neues Buch „Untypical Girls“ veröffentlicht. Es geht um Frauen in der Indie-Szene.

Die Lunachicks aus New York, 1989. Im folgenden Jahr erscheint ihre erste LP „Babysitters on Acid“ Foto: Joe Dilworth

Sam Knee's neuestes Fotobuch „Untypical Girls: Styles and Sounds of the Transatlantic Indie Revolution“ untersucht die Rolle der Frau bei der Entwicklung von Punk und Post-Punk in den USA und England, sowohl in musikalischer wie auch ästhetischer Perspektive.

Über volle 224 Seiten hat der Musik- und Modespezialist Sam Knee Fotos von Kim Gordon von Sonic Youth, von Courtney Love während ihrer Zeit bei Hole, von PJ Harvey zu Beginn ihrer Karriere und von vielen anderen einflussreichen Frauen aus Rock und Punk ausgebreitet, die sich aus den Charts heraushielten, weil sie sich auf ihre treuen Fans verlassen konnten.

Sam Knee ist auch der Autor des Vorworts und der im Buch enthaltenen Interviews. Die Einleitung stammt von Julie Cafrity von der amerikanischen Garage-Rockband „Pussy Galore“, die von 1985 bis 1990 existierte.

Das Hardcover-Buch hat eine interessante Aura, schon bevor man es öffnet – der Blick in die feminine Punkszene, ausgerechnet von einem Mann. Sam weiß, dass das komisch wirken kann. „Ich stieß auf skeptische Reaktionen. Aber es gibt nicht viele Bücher über Indie-Frauen. Einer musste es ja machen und das war dann eben ich“, sagt Sam Knee während seines ersten Kaffees in Berlin, gleich nach seiner Ankunft am Flughafen Schönefeld aus London.

In dem gemütlichen Fotobuch-Geschäft „Bildband“ in Friedrichshain fand die erste Release-Veranstaltung für „Untypical Girls“ statt, Knee's zweites Buch in diesem Jahr nach „Memory of a Free Festival: Counterculture Festivals in Britain 1966-1986.“ Aber sagt er, „die Reaktionen waren sehr positiv bis jetzt, obwohl eine Frau meinen Ansichten über Mode skeptisch gegenüber stand – sie schrieb mir, dass Anti-Mode keine Mode sei. Für mich ist es eine Art der Mode, nur eben die einer Subkultur.“

Sam Knee: Untypical Girls, Styles and Sounds of the Transatlantic Indie Revolution. Cicada Books, London 2017, 244 Seiten,21,76 Euro, ist in Berlin bei Bildband, Immanuelkirchstraße 33, erhältlich. Dort ist auch Sam Knees, „The Bag I'm In: Underground Music and Fashion in Britain 1960-1990“. Cicada Books, London 2015, 336 Seiten, 26,28 Euro, zu finden.

Es gab auch einen persönlichen Grund, dieses Projekt umzusetzen. „Ich habe zwei junge Töchter, das Buch ist auch für sie. Ich möchte, dass sie es sich anschauen und sehen, dass man keine Erwartungen zu erfüllen braucht und dass es endlose Möglichkeiten gibt.“

Wie taucht man aber so tief in den Underground der Musik der 70er, 80er und 90er ein? „Es ist wie eine Landkarte. Ich wollte eine transatlantische Perspektive haben, die beiden Musikszenen der USA und Englands zeigen, und wie diese zusammenhängen. Ich machte eine chronologische Liste meiner Lieblingsbands aus beiden Ländern und ordnete sie nach Jahren und Herkunftsregionen“ erklärt Knee.

Und dass er es interessant fände, wie in den 80ern einige wichtige Städte außen vor blieben, „zum Beispiel war in New York zu dieser Zeit nicht viel los. Alles passiert in Olympia, DC, San Francisco und den kleineren, provinzielleren Universitätsstädten. Am Anfang orientieren sie sich an der britischen Post-Punk-Szene, bauen sich aber bald eigene Identitäten auf.“

Die gesamten 80er verpasst

Der Kontakt zu den Fotografen war in England etwas einfacher als in den USA, wo die Hardcore-Szene sehr gut dokumentiert ist, andere Bewegungen aber deutlich weniger. „So nahm das Buch innerhalb einiger Monate Form an. Von einigen Bands gibt es sehr viele Fotos, von anderen so gut wie gar keine.“

Was auf der anderen Seite des Atlantiks passierte, war den Besuchern von Rockkonzerten im London der frühen 80er-Jahre eigentlich kaum bekannt. „Ich las damals einige amerikanische Fanzeitschriften und Magazine, die in England erhältlich waren, also las ich einige Kritiken, sah ein paar Fotos, aber diese Bands gingen nicht auf Tour und die wenigen hier verfügbaren Platten waren als Importe sehr teuer,“ erzählt der Autor.

Zwar wollte er unbedingt nach Amerika, „aber weil ich diesen Traum erst 1989 verwirklichte, habe ich die gesamten 80er eigentlich verpasst. Damals war die Informationsbeschaffung sehr langsam. Als ich von 1990 bis 1994 in San Francisco lebte, als Grunge groß im Kommen war, interessierte ich mich eigentlich eher für das, was davor kam, und wollte wissen, was während meiner Zeit in London passiert war.“

Was auf der anderen Seite des Atlantiks passierte, war den Besuchern von Rockkonzerten im London der frühen 80er-Jahre eigentlich kaum bekannt

Während sich der Punk in den USA zu einer von Männern dominierten Hardcore-Bewegung entwickelte, blieb die britische Szene viel länger Unisex. In Amerika wurden Frauen des Rocks mit der Riot-Grrl-Bewegung wieder sichtbarer, sowie Bands wie Bikini Kill, die in Washington in den frühen 90ern entstanden. Das Buch hört um 1993 auf, als es um die Riot-Grrl-Bewegung in den USA und die britische „Shoegaze“-Szene, die eher Unisex war, ruhiger wurde.

„Die 90er verliefen wie im Rückwärtsgang und mit Britpop kam diese Macho- und Männerkultur aus den Jahren vor dem Punk zurück, auch wenn es gute Sachen wie Elastica gab.“ Ist es heute einfacher oder schwieriger, „untypisch“ zu sein? „Schwieriger, da man isoliert keine Szene begründen kann“, meint Sam Knee.

„Damals“, sagt er, „konnte man völlig abseits des Radar etwas Eigenes kreieren, sich langsam weiterentwickeln, Fehler machen und sozusagen natürlich wachsen. Heutzutage ist dagegen alles, was man kreiert, sofort in sozialen Netzwerken sichtbar. Es ist einfacher, internationale Anerkennung zu bekommen, aber ich denke, man verliert so das ‚Ungewöhnliche‘. Aber ich bin 50, also ist meine Denkweise ein bisschen altmodisch…“

Sam Knee arbeitet derzeit an einem Buch über die Entwicklung des amerikanische Rock-Undergrounds vom Post-Punk zum Pre-Grunge in der Zeit von 1983 bis 1989. Wird es einen Punkt geben, an dem es über die 70er und 80er Jahre nichts Neues mehr zu sagen gibt? Sam lächelt, er hat sich diese Frage wahrscheinlich auch schon gestellt.

Aber seine Antwort lässt keine Zweifel durchscheinen. „Es gibt eigentlich noch viel zu sagen. Ich entdecke immer wieder Neues – neulich zeigte mir ein Freund Fanmagazine aus Schottland, die ich noch nie gesehen hatte. Ich werde mir wahrscheinlich die frühen 90er etwas genauer anschauen und ich plane ein neues Buch über Underground-Rock-T-Shirts in den 80ern.“

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