Neues Musik-Album von PJ Harvey: Banane-Erdnussbutter-Sandwich

PJ Harvey kehrt mit „I Inside the Old Year Dying“ zurück zur Selbstbespiegelung, schrammelt Gitarre und singt sperrige Lyrik. Warum das Album funzt.

PJ Harvey blickt mit Lockenpracht in die Kamera, das Foto hat einen braunen Stich

Altphilolog:Innen: hört die Signale: die mysteriöse Songwriterin PJ Harvey textet im Dorset-Englisch Foto: Steve Gullick

Einen Song zu komponieren, so erzählte die britische Musikerin PJ Harvey dem Comedian Frank Skinner in einem ihrer seltenen Interviews, falle ihr weitaus leichter, als ein Gedicht zu verfassen. Und doch hat sie mit „Orlam“ vergangenes Jahr einen ganzen, in Versform verfassten Roman veröffentlicht. Magisch aufgeladen und voll mit Abgründigem wird darin die Coming-Of-Age-Geschichte der neunjährigen Ira-Abel Ende der 1970er erzählt.

Sechs Jahre hatte Harvey an ihrer Lyrik gearbeitet – was nicht zuletzt so lange dauerte, weil sie in Dialekt verfasst ist. Klangvollen Worten wie „clodgy“, „giltcup“, „drush“, „puxy“ oder auch „chammer“ war die Künstlerin zwar schon als Kind begegnet – wie ihre Protagonistin wuchs auch sie auf einer Farm in Dorset auf, im windumtosten Südwesten Englands. Trotzdem musste sie sich die aussterbende Mundart erst aneignen: „Es war wie das Lernen einer Fremdsprache“, erklärte sie Skinner.

Nun sind aus einigen dieser Gedichte Songs entstanden, versammelt auf einem folkigen Album mit dem sperrigen Titel: „I Inside the Old Year Dying“. In der Musik gelingt ihr eine bemerkenswerte Balance von Wohligkeit und unterschwelliger Verstörung. Dem Vernehmen nach hatte Harvey lange Zweifel, ob sie jemals wieder ein Album machen würde.

Doch wieder Liebe zur Musik

Nach dem Vorgänger „The Hope Six Demolition Project“ (2016) fühlte sie sich, als habe sie die Liebe zur Musik verloren. Oder zumindest, als schaffe sie es nicht mehr, sich neu zu erfinden – was ja tatsächlich auch nicht so einfach ist, wenn man, wie die 53-Jährige, über drei Jahrzehnte mit jeder Veröffentlichung jeweils neues Terrain erschlossen hatte: Mal durch bluesigen Postpunk, dann wieder mit Kammerpop. Ob nun auf eine spill-your-guts-out-Weise expressiv („To Bring you my Love“,1995), poppig („Stories From the City, Stories From the Sea“, 2000) oder fragil („White Chalk“, 2007) – Harvey klang immer unverwechselbar.

PJ Harvey: „I Inside the Old Year Dying“ ‎ (Partisan Records/Rough Trade/PIAS)

Live: 21./22. Oktober 2023 “Admiralspalast“ Berlin

An „White Chalk“ erinnert diesmal zumindest ihr ätherischer, von der Kopfstimme dominierter Gesang. Geerdet wird er durch die archaisch anmutende Sprache: „Who’s inneath The Ooser-Rod?/Horny devil?/Goaty God?/ What is God in ethly guise?/One or mampus giant eyes? („A Child’s Question, July“).

Obwohl selbst Mut­ter­sprach­le­r:in­nen nicht jedes Wort verstehen, transportieren die Lyrics eine bukolische Atmosphäre: Kein ungetrübtes Idyll, vielmehr eines, in dem immer der drohende Verlust der Unschuld mitschwingt. Eingestreut sind Alltagsbeobachtungen: „In her satchel, Pepsi fizz/ Peanut-and-banana sandwiches“ aus (aus „Lwonesome Tonight“, eine Referenz an Elvis, der durch die Träume des Mädchens geistert). Und eine weitaus profanere Außenwelt, die Ira Abels wundersamen Kosmos bedroht: “I ascend three steps to hell/The school bus heaves up the hill“ (aus „Autumn Term“). Die Magie der Natur fängt Harvey dabei ebenso ein wie das Abgründige, das im Alltag in der Provinz eben auch immer mitschwingt. Selbst die süßesten Melodien, wie etwa das naiv anmutende „A Child’s Question, August“ haben etwas von einem Fiebertraum.

Subjektive Perspektive

Bis heute lebt die Künstlerin, die neben Musik und Lyrik auch malt, in Dorset. Ihr Rückzug auf eine subjektive Perspektive wie in diesem Versroman und auf dem Album wirkt stimmig. In ihren letzten Werken hatte Harvey sich noch an den Untiefen der Welt abgearbeitet. Zuerst mit dem gefeierten „Let England Shake“ (2011), in dessen Musik sie angespannt auf die gewalttätige Geschichte ihrer Heimat blickte; zuletzt dann mit dem weniger gelungenen Album „The Hope Six Demolition Project“.

Für das reportageartige Werk hatte Harvey sich auf Recherche begeben, unter anderem in den Kosovo, nach Afghanistan und in prekäre Ecken der US-Hauptstadt Washington – was ihr den Vorwurf einbrachte, Elendstourismus zu betreiben. Rückblickend lässt sich festhalten: Harvey widmet sich den inneren Kampfzonen vielleicht doch mit größerem Gewinn als denen der weiten Welt.

Wie viel Autobiografisches in „Orlam“ und der Musik des neuen Albums steckt, das zu recherchieren, wird ihr Publikum erneut beschäftigen – wie eigentlich immer, wenn die enigmatische, Privates konsequent abschirmende Harvey etwas preiszugeben scheint. Auch diesmal wird die Künstlerin jedwede Deutungen an sich abprallen lassen und ihr Mysterium bewahren. So oder so: In diesen zwölf Songs, die schrammelige Gitarren und eingängige Refrains mit minimalistischer Instrumentierung verbinden, klingt Harvey so bei sich, wie seit Langem nicht mehr.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.