Frankfurter Prozess gegen Gruppe Reuß: Reichsbürger ohne Reue
Im Terrorprozess gegen die Gruppe um Prinz Reuß in Frankfurt will die Verteidigung Freisprüche erreichen – ist aber schon jetzt teils zerstritten.
„Mein Mandant steht auf der Grundlage des Grundgesetzes und der Rechtsordnung“, sagte Rechtsanwalt Roman von Alvensleben, einer von vier Verteidigern des als Rädelsführer angeklagten Prinz Reuß, am Donnerstag. Nie habe der Frankfurter Immobilienunternehmer Gewalttaten gegen den Staat geplant. Von „Märchen“ sprach der Anwalt.
Prinz Reuß, seinen acht Mitangeklagten sowie 18 weiteren Männern und Frauen, denen in Stuttgart und München der Prozess gemacht wird, wirft die Bundesanwaltschaft die Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung und Hochverrat vor. Die „Patriotische Union“ soll einen bewaffneten Angriff auf den Bundestag geplant haben. Der Aufbau von 286 „Heimatschutzkompanien“ hatte laut Anklage schon begonnen.
Ideologischer Antrieb soll dabei auch der Glaube an die antisemitische QAnon-Verschwörungserzählung gewesen sein: dass pädophile Eliten in unterirdischen Tunneln Kinder missbrauchen. Und dass jedoch schon bald ein mächtiger internationaler Geheimbund, die „Allianz“, einmarschieren und die Kinder befreien werde.
Uneinigkeit unter den Verteidigern
Reuß-Verteidiger Hans-Otto Sieg nahm dieses Hoffen auf die „Allianz“ nun zum Anlass, die Entlassung seines Mandanten aus der Untersuchungshaft zu fordern. Die „Patriotische Union“ habe erst mit dem Einmarsch dieser Geheimarmee aktiv werden wollen, erklärte Sieg: „Da es die ‚Allianz‘ nie gab, war von Anfang an objektiv klar, dass es zu einem Umsturz nie kommen würde.“
Dass es sich bei QAnon um herbeihalluzinierten Irrsinn handelt, ist unter den Verteidiger*innen indes nicht unumstritten. Am Ende des ersten Verhandlungstags hatte Martin Schwab, Juraprofessor aus Bielefeld und Verteidiger seiner Parteifreundin Johanna Findeisen-Juskowiak aus der Coronaleugner*innen-Partei „Die Basis“, der Bundesanwaltschaft einseitige Ermittlungen vorgeworfen – weil sie nicht nach den Tunneln mit den gequälten Kindern gesucht habe. Man dürfe, erregte sich der Hochschullehrer, das nicht einfach als Verschwörungserzählung abtun.
Es ist nicht die einzige Uneinigkeit. Bei Vitalia B., der Lebensgefährtin von Prinz Reuß, haben sich Pflichtverteidigerinnen und Wahlverteidiger schon so zerstritten, dass sie offenbar nicht einmal mehr miteinander reden. Wahlverteidiger Thomas Nirk nutzte sogar sein Eröffnungsstatement für Angriffe auf seine Kolleginnen. Seiner programmatischen Ansage aber widersprachen auch sie nicht: „Die Verteidigung ist angetreten, die Unschuld der Mandantin zu beweisen.“
Andreas Wölfel schließlich – ein rechtsextremer Szeneanwalt, der den ehemaligen KSK-Soldaten Peter Wörner vertritt – kritisierte das angeblich unverhältnismäßige Vorgehen der Justiz, inklusive Verschwörungsgeraune: „Es besteht der Verdacht, dass das Strafverfahren auf dem Rücken der Angeklagten missbraucht wird, um von anderweitigem Versagen abzulenken.“
Mehrere Angeklagte, darunter Prinz Reuß und die ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann, wollen sich auch noch persönlich einlassen. Wann sie das tun werden, ist allerdings offen. Weil zu den ohnehin bereits mehr als 800 Ordnern mit Akten gerade sechs weitere hinzukamen, beantragten die Verteidiger*innen die Aussetzung des Verfahrens – oder zumindest eine längere Unterbrechung. Bis zur kommenden Woche muss das Gericht darüber entscheiden.
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